Ein Forrest Gump der NS-Zeit

Er habe „die Nazis bitterernst genommen“, sagt Peter Keglevic über sein Buch.
Er habe „die Nazis bitterernst genommen“, sagt Peter Keglevic über sein Buch.(c) Clemens Fabry
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Regisseur Peter Keglevic drehte jüngst nach 30 Jahren wieder in Österreich. Ebenso lang sammelte er Material für sein erstaunliches Romandebüt.

Eine gutbürgerliche Berliner Familie, Vater Zahnarzt, Sommerferien in Berchtesgaden, doch plötzlich, ab dem Jahr 1932 geht das nicht mehr. Und natürlich, sagt Peter Keglevic, ist der Familie da schon bewusst, dass es „gegen die Juden“ geht, aber wirklich betroffen fühlt man sich trotzdem nicht. „Die meinen, das sind die Ostjuden, die mit den Beikeles, den dreckigen Mänteln und verfilzten Bärten. Dass ihr Todesurteil schon gesprochen ist, begreifen sie nicht, und es ist dann immer viel zu spät, wenn sie reagieren.“

Manchen freilich gelingt es, unterzutauchen und ihr Leben zu retten, und diesen Zustand beschreibt Keglevic an seinem jugendlichen Helden – den er sein ganzes Leben lang um sein Leben laufen lässt. Zunächst über die klassische Route: Dänemark, Belgien, Niederlande, Frankreich. Wo immer er hinkommt, ist einen Tag später „der deutsche Stiefel schon da“. Zwei Jahre lang lebt Harry Freudenthal als U-Boot in Wiener Neustadt und Wien, um dann doch wieder verschwinden zu müssen. So landet er wieder in Berchtesgaden, wo zum 13. Mal dem Führer zu Ehren ein Volkslauf stattfindet: 1000 Kilometer für das tausendjährige Reich. Weil man aber Frühling 1945 schreibt, sind junge Läufer Mangelware, und als Leni Riefenstahl den blonden Harry wiederzuerkennen glaubt, findet er sich unversehens im Laufteam wieder – und letztlich gar im Führerbunker.

Mit Hitler vor dem Altar

„Ich war Hitlers Trauzeuge“ ist der Titel des großen Romans, den der Salzburger Peter Keglevic nach Jahren der Regie für Film und Fernsehen im Herbst vorgelegt hat. Der Titel darf spöttisch verstanden werden. „Ich war Hitlers Friseur, Hundehalter, Chauffeur, Diätköchin, Sekretärin – das gibt es en masse.“ (Keglevic hat das in seiner Vorbereitung auch alles gelesen). Der Lauf ist das Grundskelett für – der Autor hat es selbst nachgezählt – 93 andere Geschichten, die in die Biografie des laufenden Helden hineinreichen.

Der erste auslösende Funken für den Roman ist dabei mehr als 30 Jahre alt. 1986 hatte Keglevic in New York gedreht, am oberen Broadway im heruntergekommenen Haus eines Eisenwarenhändlers. Eines Tages fand er in dessen spartanisch eingerichtetem Zimmer ein polnisches Psalmenbuch, das der Mann als eine Art Tagebuch verwendet hatte. Später erfuhr er, dass der alte Jude täglich bei jedem Wetter zum Central Park lief. „Da habe ich mich gefragt, was ist mit ihm, warum kann er nicht aufhören zu laufen?“

So entstand die Figur seines jüdischen Forrest Gump oder Simplicissimus; eines „reinen Toren, der immer irgendwie auf vier Pfoten landet.“ Auch er, sagt Keglevic, sei irgendwie so ein Tor: Auch bei ihm habe immer das eine das andere ergeben, alles sei ihm „passiert“. Schon früh hatte er zu schreiben, mit 16 beruflich als Buchhändler begonnen. Nach vier Jahren wechselte er in die neue Regieklasse am Mozarteum, im gleichen Jahrgang saßen Michael Schottenberg oder Robert Meyer.

Er selbst ging bald nach Deutschland, „weil ich hier nicht drehen konnte und man mich dort eingeladen hat“. Wer aus der Provinz kam, habe damals wenig Chancen beim ORF gehabt. In Bochum diente er kurz als Peter Zadeks „17. Regieassistent“, eine ebenso lehrreiche Erfahrung wie auf Tour als Beatle in einer Schauspiel-Produktion. „Ich war sicher, dass ich ein genialer Schauspieler bin.“ In Wirklichkeit sei er „miserabel“ gewesen, habe jeden Tag verflucht – aber rückblickend viel für seine spätere Arbeit mit Schauspielern mitgenommen.

Lange galt er als „Piefke“, weil er mit den Deutschen so gut konnte. Besonders gut konnte er mit einem anderen Exil-Österreicher, Christoph Waltz. In Köln hatte er ihn kennengelernt, neun Mal mit ihm gedreht, „es war Zuneigung auf den ersten Blick.“ Nicht immer wurde ihm seine Wahl von den Produzenten genehmigt, schon damals sei der kluge, spitzzüngige Waltz bei manchen Regisseuren als zynisch verschrieen gewesen. Von wegen, es hätten damals alle schon gewusst.

Beruflich heim nach Österreich führte Keglevic 2014 Konstanze Breitebners Heimatdrama „Die Fremde und das Dorf“ – nach drei Jahrzehnten eine erfolgreiche Rückkehr; inzwischen gibt es zwei weitere Teile. Aktuell wälzt Keglevic Pläne für einen Kinofilm nach einem Roman von August Schmölzer – und arbeitet selbst schon an einem neuen Roman: „Ich bin sehr auf den Geschmack gekommen.“

ZUR PERSON

Peter Keglevic wurde 1950 in Salzburg geboren, begann zunächst als Buchhändler und studierte dann am Mozarteum Regie. Er drehte u.a. „Du bist nicht allein – Die Roy Black Story“ oder „Der Tanz mit dem Teufel – Die Entführung des Richard Oetker“, beides mit Christoph Waltz. In Österreich drehte er zuletzt „Treibjagd im Dorf“ mit Manuel Rubey und Franziska Weisz. „Ich war Hitlers Trauzeuge“ erschien bei Knaus. Keglevic bereiste dafür selbst die ganze Route des Romans: Die steilen Etappen im Auto, bergab zu Fuß, in der Ebene fuhr er mit dem Fahrrad.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2018)

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