Der Retter meines Großvaters: Eine jüdische Familiengeschichte

Anna Goldenberg vor dem Porträt von Josef Feldner, der ihren Großvater versteckte.
Anna Goldenberg vor dem Porträt von Josef Feldner, der ihren Großvater versteckte.(c) Gabriele Paar
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Die Journalistin Anna Goldenberg hat das Schicksal ihrer Familie in der NS-Zeit aufgearbeitet – eine Geschichte von Tod, Verzweiflung und Hoffnung.

Es war nicht wie bei Anne Frank, verborgen hinter einem drehbaren Bücherregal und immer darauf bedacht, nur ja nichts zu machen, was auf sie aufmerksam machen könnte. Es war eine andere Situation, in der Anna Goldenbergs Großvater einige Jahre im Krieg verbrachte. Und doch waren es „versteckte Jahre“ – so wie die Autorin auch das Buch nennt, in dem sie die Geschichte erzählt. Die Geschichte ihrer jüdischen Familie, wie sie die Anfänge des Nationalsozialismus erlebte. Wie einige fliehen konnten. Und andere es nicht schafften.

Im Mittelpunkt stehen ihre Großeltern – Helga und Hansi, die einander während dieser Zeit noch gar nicht kennen. Ihre beiden Familien werden deportiert – Helga mit ihrer Mutter und Schwester nach Theresienstadt. So wie zunächst auch Hansis Eltern und sein Bruder Herbert, die ins Sammellager gebracht werden. Nur Hansi selbst bleibt in Wien – aufgenommen von Josef Feldner, genannt Pepi. Ein Freund, der anbietet, dass der Bursche bei ihm unterkommen kann.

„Der Mann, der meinen Großvater rettete“ ist dann auch der Untertitel des Buchs, in dem die 29-jährige Wienerin aufarbeitet, was ihr mittlerweile verstorbener Großvater über diese Zeit notiert hat. „Er hat damit Ende der 1980er begonnen“, erzählt sie, „es war die Waldheim-Zeit.“ Damals war in ihrem Großvater offenbar der Wunsch gereift, über seine Vergangenheit zu schreiben. Der letzte Eintrag im Computerdokument stammt von 1995, im Jahr darauf starb er. Anna Goldenberg war damals erst sieben Jahre alt. Und es sollte dauern, ehe sie sich den Aufzeichnungen widmen sollte.

„Es gibt noch Juden in Österreich?“

„Ich war in der Schule die einzige Jüdin in der Klasse“, erzählt sie. Was etwa bedeutete, dass sie alle Jahre wieder erklären musste, warum sie als Einzige nicht Weihnachten feiert. Noch mehr begann sie ihre jüdische Identität zu hinterfragen, als sie nach New York ging und Mitarbeiterin bei einer jüdischen Zeitung wurde. „Dort wurde ich oft angesprochen – viele wussten gar nicht, dass es in Österreich noch Juden gibt.“ Aus all dem heraus setzte sie sich mehr und mehr mit ihrer Familiengeschichte auseinander. Irgendwann, zurück in Europa, entstand schließlich ein Artikel – und es war „Falter“-Chefredakteur Florian Klenk, der sie fragte, ob sie nicht gleich ein Buch daraus machen wollte.

Mehrere Jahre sollte es dauern, in denen sie neben ihrer Arbeit als Journalistin, die bei mehreren Medien Erfahrungen sammelte, an diesem Projekt arbeitete. Die Aufzeichnungen des Großvaters waren eine wichtige Quelle, so wie auch viele Gespräche mit ihrer Großmutter. Und Archive, in denen sie nach Dokumenten suchte, die all die Erzählungen ergänzen und in einen Kontext setzen konnten.

„Mein Großvater hat viel über Pepi geschrieben.“ Einen alleinstehenden Arzt, der das Risiko auf sich nahm, den jungen Hansi aufzunehmen. Woher sie einander kannten? Das kann sie nur vermuten, vielleicht von der Zeit, in der er Schularzt war. Gemeinsam lebten sie jedenfalls in einer Wohnung in der Neubaugasse. Mehr oder weniger offen, Hansi konnte sich frei bewegen, ging in die Bibliothek, aß gemeinsam mit Pepi im Gasthaus und besuchte abends öfter die Oper. Pepi galt als unauffällig, niemand schöpfte Verdacht – und die Nachbarn schwiegen.

Brenzlige Situationen gab es dennoch. Eine Personenkontrolle im Zug, die Pepi weglächelte. Eine Schießerei, bei der Hansi und Pepi einer Militärstreife entkamen. Doch abgesehen davon war es ein weitgehend normales Leben, sofern man das in einer solchen Situation haben kann. Dank Pepis Hilfe überlebt Hansi den Krieg. Seine Mutter, sein Vater und sein Bruder kamen nicht mehr zurück.

Für Anna Goldenberg war es ein Spagat. Die bewegende Familiengeschichte, persönliche Momente, all die grausamen Details von Krieg und Verfolgung, die Rückkehr der Großmutter, die Geschichte, wie Helga Hansi kennen und lieben lernte – und auf der anderen Seite die nötige Distanz, um all das überhaupt zu Papier bringen zu können. Die Vergangenheit, sagt Goldenberg, hat sich für sie wieder abstrahiert. Und doch, es sei wichtig für sie, die Geschichte ihrer Familie erzählt zu haben. „Ich habe jede Minute des Schreibens genossen.“ Wenn ihr dabei auch ein Wunsch verwehrt blieb: „Ich hätte noch gern mit meinem Großvater darüber gesprochen.“

Buchtipp

Anna Goldenberg: Versteckte Jahre
Zsolnay, 192 Seiten, 20,60 €

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2018)

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