Sex und Übergriffe an Thailänder Yogaschule

Symbolbild: Yoga ist auf der ganzen Welt beliebt und hat Millionen Anhänger, doch Übergriffe von Lehrern und Gurus erschüttern die eigentlich auf Wohlbefinden bedachte Szene.
Symbolbild: Yoga ist auf der ganzen Welt beliebt und hat Millionen Anhänger, doch Übergriffe von Lehrern und Gurus erschüttern die eigentlich auf Wohlbefinden bedachte Szene.Reuters
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Im weltweit agierenden Yogazentrum Agama in Thailand hielt vergangene Woche die Polizei eine Razzia ab. Der Guru soll eine Vielzahl von Frauen missbraucht haben. Es ist nicht das erste Mal, dass Yoga-Schulen und ihren Gründern sexuelle Gewalt vorgeworfen wird.

Wenn im Golf von Thailand die Sonne untergeht, schwappen sanfte Trommelklänge über den Zen Beach. Traveller lassen Jonglierbälle und Frisbees fliegen. Koh Phangan ist eine kleine Aussteigerinsel, berühmt für ihre Full-Moon-Partys und Tantra-Workshops. Dreadlocks sind dort häufiger als Dauerwellen. In den Cafés serviert man Magic-Mushroom-Shakes; die Detox-Sanatorien bieten Darmwäschen mit Einläufen aus Biokaffee an.

Ein Gift, das die Enklave loszuwerden versucht, ist keine Droge, sondern eine vermeintliche Sekte: Agama, eines der weltweit größten Yoga-Tantra-Trainingszentren und seit 15 Jahren ein Geschäftsmagnet auf der Insel, bricht gerade unter den Anschuldigungen sexueller Straftaten zusammen. Der Yoga-Guru Swami Vivekananda Saraswati, ein Rumäne mit bürgerlichem Namen Narcis Tarcau, ist auf der Flucht. 31 Frauen haben anonym in einem Internetartikel behauptet, Swami Vivekananda und andere führende Agama-Lehrer hätten sie sexuell belästigt und genötigt. Ein Fall beschreibt eine Vergewaltigung. Vergangene Woche berichtete der „Guardian“ über 14 missbrauchte Touristinnen im Yoga-Retreat. Die Vorfälle seien seit Jahren bekannt gewesen und von der Schule verschleiert worden. Bevor Tarcau Agama gründete, hatte er ein Yogazentrum in Indien, wo er angeblich wegen sexuellen Missbrauchs ausgewiesen wurde. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe hat er Thailand zusammen mit anderen Agama-Lehrern verlassen. Niemand weiß, wo er sich nun aufhält.

Sex sollte „heilen“. Am 17. August erstattete eine Engländerin in der thailändischen Botschaft in Melbourne Anzeige. Sie hatte Agama auf Koh Phangan jedes Jahr von 2010 bis 2015 für mehrere Monate  besucht. Ihr Leben drehte sich um die Yogaschule und den Swami. „Ich bin zu ihm gegangen, um geheilt zu werden. Er überzeugte mich, dass Sex mit ihm helfen würde“, heißt es in dem Dokument, das dieser Zeitung als Kopie vorliegt und eine anale Vergewaltigung durch den Guru beschreibt.

Weitere Europäerinnen sind unter den mehr als 40 bereits identifizierten mutmaßlichen Opfern. Laut Aussage einer Therapeutin, die den Betroffenen hilft, ist die Dunkelziffer höher; es werden weitere Anzeigen folgen. Letzte Woche ging ein australisches Vergewaltigungsopfer in Thailand zur Polizei, nachdem es sich einen Anwalt in Bangkok geholt hatte. Am gleichen Tag machte das Militär mit der Polizei eine Razzia in der Agama-Schule auf Koh Phangan. Auch wenn Vergewaltigungsvorwürfe in Thailand nach drei Monaten verjähren, sind die Behörden jetzt alarmiert.

Der Skandal im Tropenparadies ist die Spitze eines Eisbergs. Nicht nur das Film- und Mediengeschäft hat seine Weinsteins, sondern auch die auf Heilung setzende Wellness-Industrie. „#MeToo ist mit Verspätung in der Yoga-Welt angekommen“, sagt Donna Farhi, eine auf Kongressen auftretende Yogalehrerin, die sich seit Langem hinter den Kulissen für mehr Aufklärung und Sicherheit in der Yoga-Branche einsetzt. „Wir werden uns schämen, wenn wir auf diese Ära zurückblicken, genauso wie die Zunft der Therapeuten sich an die 40er- und 50er-Jahre erinnert.“

Die 59-jährige Amerikanerin, die in Neuseeland lebt und in ihrer ersten Heimat Whistleblowerin gegen einen führenden Iyengar-Yogalehrer war, überarbeitet zurzeit den ethischen Verhaltenskodex der Yoga Alliance, des größten professionellen Yoga-Verbands mit über 80.000 Mitgliedern weltweit. Auf Instagram hat auch US-Bestseller-Autorin Rachel Brathen (#yogagirl) eine #MeToo-Kampagne gestartet und ihre zwei Millionen Follower aufgerufen, ihr vertraulich Erfahrungen mit übergriffigen Yogalehrern zu schildern. Über 300 Meldungen hätten sie erreicht: „Mir sind seit Jahren Frauenfeindlichkeit, Missbrauch und Belästigung in der Yoga-Szene bekannt.“

Verfahren gegen Bikram-Pionier. Es ist nicht das erste Mal, dass Yoga-Größen in Verruf geraten. Vor Agama gehörte der Thron in der „Yoga Hall of Shame“ dem Inder Bikram Choudhury, Pionier des schweißtreibenden Bikram-Yoga. Er wurde 2013 mehrfach der Vergewaltigung bezichtigt, die Verfahren in den USA laufen. Choudhury hat die Vorwürfe als „Lügen, Lügen, Lügen“ bezeichnet und ist geflohen.

Ebenfalls ein Eklat, der die Yoga-Welt heimsuchte, war der posthume Sturz von K. Pattabhi Jois – ein Sanskrit-Gelehrter, der den populären Ashtanga-Yoga-Stil erschuf, der auch in vielen österreichischen Studios praktiziert wird. Jois starb 2009 in Indien, lang bevor eine seiner ehemaligen Spitzenschülerinnen in einer explosiven #MeToo-Anschuldigung beschrieb, wie sie jahrelang körperlichen und sexuellen Übergriffen ihres Meisters ausgesetzt war. Um ihre Yogaposen zu korrigieren, kletterte Jois auf sie und machte dabei Beischlafbewegungen. Acht weitere Frauen vertrauten ihre verstörenden Erfahrungen dem kanadischen Sektenexperten und Autoren Matthew Remski an. Jois platzierte nicht nur seine Hand auf ihrem Schritt und rieb sie dort, sondern fuhr mit dem Finger bis in die Genitalien.

„Anders als bei den #MeToo-Fällen aus der Entertainment-Welt ist der Grad an Rechtfertigung und ,Verspiritualisierung‘ von Missbrauch dabei einzigartig“, sagt Matthew Remski. „Macht ist hier genauso wie in Hollywood die Hauptwährung und ,Rape Culture‘ die Landschaft, in der sich das abspielt.“ Verschleierung sei der Grund, warum es bisher so wenig Anzeigen im Yoga-Bereich gebe. In einem Fall redeten ältere Schüler nach einem Übergriff von Jois dem Opfer im Yogastudio aus, die Polizei zu rufen. „Er hatte einen Puffer dank derer, die ihn abgeschirmt und verteidigt haben.“

Nun betrifft es also die Agama-Schule im Dorf Srithanu in Thailand. Dort befindet sich hinter dem buddhistischen Tempel der Agama-Campus – eine selbst ernannte Universität mit einer „Erleuchtungshalle“ und einem „Heilungszentrum“. Neben dem rigiden einmonatigen Hatha-Yoga-Training mit Reinigungsriten, das über 24 Stufen geht, bot die Schule Tantrakurse, Community-Veranstaltungen und separate Workshops an – eine Insel auf der Insel, mit sektenhaften Zügen. Die meisten Agamis tragen nur Weiß. Viele arbeiten als Freiwillige. Ihr Guru hielt ihnen Vorträge auf Videos, wenn er nicht abkömmlich war. Weil er seinen engsten Zirkel vom Bevorstehen eines dritten Weltkriegs überzeugen konnte, hatten Getreue ihm Tausende an Dollar für einen Ashram auf einem Berg in Neuseeland gespendet. Er wurde nie gebaut.

„Sie bleiben für sich und tun überlegen“, sagt Sunny McGill, die seit sechs Jahren auf Koh Phangan lebt und dort ein Yogastudio betreibt. Sie hält die Agamis für kulturell unsensibel gegenüber ihren thailändischen Nachbarn, die weniger freizügig sind.

Laut Ex-Agama-Schülern passierten die Übergriffe nicht im Yogaunterricht, sondern in der Grauzone von privaten Tantra-Sessions und intimen Begegnungen mit Lehrern – oft verschrieben von Ananda Maha, der Homöopathin und Mutterfigur der Community, die eigentlich Mihaiela Pentiuc heißt und Narcis Tarcaus frühere Partnerin aus Rumänien ist. „Die Einheimischen betrachten Yoga jetzt leider als etwas Böses oder Schmutziges“, sagt McGill, die aus Bangkok stammt.

Als sich der Skandal vor einem Monat entzündete, tauchte die örtliche Polizei nicht nur bei Agama auf, um Arbeitspapiere zu überprüfen, sondern beendete kurzerhand einen anderen Tantra-Workshop auf der Insel. Das befreiende Stöhnen dort wurde für Exorzismus gehalten. Nacktbaden am Zen Beach – seit eh und je der inoffizielle FKK-Strand auf der Insel – ist ab sofort wieder untersagt. Der Exodus der Farangs, wie die Fremden heißen, ist hart fürs Geschäft, sagt Yogalehrerin McGill. „Die Menschen sind hin- und hergerissen zwischen Geld und Moral.“ Die veganen Restaurants, die Jade-Eier zur Stärkung der Beckenbodenmuskulatur verkaufen, die Massagestudios und Hausvermietungen sind auf die Tausenden von ausländischen Yoga-Touristen angewiesen, die jede Saison kommen – manche für Monate oder Jahre.

„Aggressiv und manipulativ“. Doch die Vorwürfe gegen Agama wiegen schwer. Eine Neuseeländerin (sie will anonym bleiben), die mehrere Jahre bei Agama war, sagt, dass sie „einiges an Abartigem“ gesehen hätte, das sich unter einer „großartigen Yogapraxis“ verbergen würde. „Der Swami ist sehr aggressiv und manipulativ. Es gab diesen unterschwelligen Druck, mit ihm und anderen Lehrern zu schlafen, je höher man in der Schule aufstieg. Männern wurde gesagt, dass Frauen genommen werden wollen.“ Einmal besuchte sie den Swami, wie Narcis Tarcaus dort von allen genannt wird, in seinem Haus, um mit ihm zu meditieren. „Nach der Meditation begann er mich zu küssen und mir die Kleider auszuziehen, ohne mich zu fragen. Ich habe Nein gesagt und bin gegangen.“ Was sie daran besonders verstörte, waren die Reaktionen anderer: „Es sei ein Wunder, dass ich ihn besucht hätte, ohne Sex zu haben. Ich fühlte mich ziemlich naiv. Wenn ungewollte sexuelle Annäherungen passierten und eine Frau das nicht wollte, dann wurde ihr gesagt, dass sie sich mehr ,öffnen‘ und an ihrem Herz-Chakra arbeiten müsse, oder dass sie diese Erlebnisse anziehe. Es sei ihr Karma, damit umgehen zu lernen.“

Geschlechtskrankheit in der Schule. Eine Europäerin (Name der Redaktion bekannt), die bis vor Kurzem Managerin bei Agama war, hörte dort von den Vorwürfen der sexuellen Belästigung. „Ich habe darauf geachtet, dass ich nie allein mit dem Swami in einem Zimmer war“, sagt sie. „Es wurde kein Safer Sex praktiziert, und Chlamydien zirkulierten in der Schule.“ Sie bekam mit, wie ein Beschwerdeprozess von oben unterbunden wurde, damit nichts ans Licht kam. „Aus den Dokumenten, die noch dort waren, war deutlich zu sehen, dass das bereits mehrfach vorgekommen war.“ Sie kündigte dieses Jahr und verließ Agama mit zwei anderen Managern.

Nicht nur mangelndes Vertrauen ins thailändische Rechtssystem hat Agama-Frauen bisher davon abgehalten, Anzeige zu erstatten. Dazu kommt auch Angst vor Tarcau. Laut einer australischen Therapeutin, die den Opfern hilft, hat er als Hypnotiseur und NLP-Therapeut Macht über viele von ihnen. Sein eigener Guru war Gregorian Bivolaru, der in Rumänien die Esoterik-Sex-Sekte Misa betrieb, die in Europa als Natha-Yoga Ableger hat. Bivolaru war wegen Vergewaltigung einer Minderjährigen zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden und hatte Mitglieder seiner Organisation in die Prostitution und den Menschenhandel gezwungen. Ein Sumpf, dem Swami Vivekandanda mit Maha entstieg. Auf Agamajustice.com ist eine Tonaufnahme abrufbar, in der er sich als Sextherapeut und „Doktor der dritten Art“ bezeichnet, der „Medizin“ gegen den Willen seiner Patienten verabreiche und Frauen gegen ihren Willen „nehme“.

Eine der schärfsten Stimmen in der Kommentarlawine aus der ganzen Welt ist Nancy Miller aus Kanada, die ein Jahrzehnt lang bei Agama aktiv war. „Ich war immer angeekelt von Narcis und habe diese Gefühle unterdrückt“, sagt sie. „Nach ein paar Jahren dort fing ich an zu glauben, dass der Feminismus schuld an der Zerstörung der Mann-Frau-Beziehungen ist. Das ist kein Tantra dort. Das ist Sexismus.“

Vor drei Jahren begann Miller, offen über den Missbrauch bei Agama zu reden. Jetzt wird sie darüber und über die bizarren Praktiken der Schule ein Buch schreiben – wie zum Beispiel diese, tagelang isoliert in einer stockdunklen Hütte zu verbringen und nur Milch zu trinken. „Einige sind danach in der Psychiatrie gelandet. Ich schäme mich enorm für diese Schule.“ Die Vorstellung, nach Koh Phangan zurückzukehren, bereitet ihr Übelkeit. „Wenn Agama geschlossen ist, wird ein Besuch leichter fallen.“

Agama war bis vergangene Woche noch offen, hat aber alle Videos des Swami auf YouTube und der Webseite gelöscht. Dort vermerkte die Institution, dass sie durch eine „temporäre Restrukturierung“ gehe. Maha, die jetzt die Geschäfte führt, schrieb in einem offenen Brief: „Wir verändern uns. Veränderung braucht Zeit. Wir haben unser tiefes Bedauern ausgedrückt.“ Sie wollte nicht für diesen Artikel interviewt werden, so lange eine von ihr in Auftrag gegebene „unabhängige interne Untersuchung“ und der offizielle Polizeibericht noch nicht abgeschlossen seien. Diese Woche veröffentlichte die Schule ein Statement, dass sie in der Nebensaison für drei Monate geschlossen sei. Man entschuldige sich bei den Schülern für jedes Leid, das ihnen Agama-Lehrer eventuell zugefügt hätten. Außerdem gebe es neue Regeln – Sex zwischen Lehrer und Schüler ist nun untersagt.

Schon im August wurde Agamas Mitgliedschaft bei der Yoga Alliance bis auf Weiteres suspendiert. Hunderte von Yogis, die in den letzten 15 Jahren Agama-Kurse absolviert haben, stehen jetzt unter Generalverdacht, eine Sex-Sekte unterstützt zu haben. Die emotionale Entladung in den Social-Media-Gruppen reicht von Angriff über Scham und Buße zu Verteidigung. Doch der Sturm in der Neo-Tantra- und Yoga-Szene offenbart nur einen der vielen Abgründe auf dem ausgetrampelten „Eat Pray Love“-Pfad. Im Jänner 2018 verurteilte ein tschechisches Gericht Jaroslav Dobeš, Guru Jara genannt, und seine Helferin Barbora Plaskova zu über sieben Jahren Gefängnis wegen Vergewaltigung von sechs Frauen. In seiner Esoterikschule hatte Dobeš versprochen, sie durch Geschlechtsverkehr von „Blockaden“ zu befreien – in einem Zustand, in dem die Frauen nach tantrischen Atemübungen keine volle Kontrolle mehr über ihren Körper hatten.

Im Februar wurde ein Workshop des Engländers Newman Alexander abgesagt, der zuvor als „London Faerie“ mit extravaganten Angeboten zwischen Abartigem und Bewusstseinstraining durch die Welt getourt war. Im Gegensatz zu den Yoga-Patriarchen unter #MeToo-Verdacht war er jedoch in der Lage zu Selbstreflexion. „Nachdem ich über all das nachgedacht habe, was mir mitgeteilt wurde, stimme ich damit überein, dass ich im Lauf der letzten zehn Jahre eine Reihe nicht akzeptierbarer Handlungen begangen habe.“ Nach dem Mea-Culpa-Statement hörte Alexander auf zu arbeiten und ging in Therapie. Eine einsame Ausnahme.

Im Juni musste das Oberhaupt von Shambhala International abtreten, eine der größten westlichen buddhistischen Organisationen mit Meditationsstätten in über 30 Ländern. Es hatte Anhängerinnen über Jahre sexuell missbraucht und ausgebeutet. Vor Kurzem wurde Sri Prem Baba, ein Guru aus Brasilien, mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert.

Klare Grenzen. „Es ist verrückt, was ich nach zehn Jahren in meinem Beruf sehe“, sagt Matthias Schwenteck aus Berlin. „Mich turnt dieser ganze Eso-Kram nur noch ab.“ Er und seine Partnerin Robyn Dalzen sind Mitbegründer der School of Consent der amerikanischen Sex-Aufklärerin Betty Martin. Ihr „Wheel of Consent“ bringt klare Grenzen und Selbstwahrnehmung für Beziehungen und Berührungen jeder Art bei – etwas, das laut Schwenteck schon Teenagern in der Schule beigebracht werden sollte. „Falls sich mein Workshop nur für eine Person unangenehm anfühlt, dann stimmt etwas mit der gesamten Dynamik nicht. Viele, die Bodywork-Kurse anbieten, haben das nicht verinnerlicht – vor allem, wenn das Angebot an ,Frischfleisch‘ groß ist.“

Als er aufstrebender Tantralehrer war, hatte der 49-Jährige etliche grenzwertige Situationen erlebt. „Wir brauchen dringend eine selbstregulierende professionelle Organisation.“ Um die Frage „Warum habe ich das zugelassen?“ besser zu verarbeiten, startete er die Facebook-Gruppe Tantra Not Trauma, die mit über 5000 Mitgliedern zur inoffiziellen #MeToo-Plattform der Szene geworden ist. „Einiges, was ich mitbekomme, sollte an die Polizei weitergeben werden“, sagt Schwenteck. Was dem oft im Weg stünde, sei die „spirituelle Umgehungsstraße“ der Täter, die der missbrauchten Person sagen, es sei alles „ihre eigene Story“, sie müsse sich „aus dem Opferbewusstsein befreien“. So wie es bei vielen Agama-Frauen geschah.

#MeToo-Yoga-Pionierin Donna Farhi hat die gleichen Ausweichmanöver bei ihren Kollegen erlebt, bei denen aus spirituellen Gründen dem Lehrer vergeben wird, statt ihn zur Rechenschaft zu ziehen. „Den meisten fehlt das Wissen darüber, dass hier ein unausgewogenes Machtverhältnis zugrunde liegt. Schülerinnen gelingt es in dieser komplexen Dynamik schwerer, Nein zu sagen.“ Sie nutzt ihre eigene Macht, um Studios und Veranstalter zu boykottieren, die Lehrern mit angreifbarem Verhalten ein Podium geben. „So lange ihr Einkommen nicht leidet, werden sie ihr Verhalten nicht ändern.“

„We wash your brains“. Zumindest Agama hat schwer gelitten. Das Gelände ähnelt Anfang September einer Geisterstadt. Die Schule hat ihren Kleiderladen geschlossen und eine Lehrerausbildung abgesagt. Der Slogan „Choose Evolution“ ist von der weißen Außenmauer verschwunden. Vor zwei Jahren sprühte dort jemand „We wash your brains“ an die Wand. Der Österreicher, der den Bioladen nebenan betreibt, streitet erst ab, dass er zu Agama gehöre, verteidigt es dann und tut die Sex-Vorwürfe als „Eifersüchteleien der Konkurrenz“ ab. Er klingt eher verzweifelt als wütend. „Wir sind so gut wie am Ende“, rutscht es ihm heraus.

Vermutlich wirklich. Freitagnacht brannte eine der Yogahallen der Schule aus, niemand wurde verletzt. Das Dach ist verschwunden, die weißen Wände sind rußschwarz. Nur ein paar Yogamatten blieben unversehrt. 

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2018)

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