Die Hilflosigkeit vor der unsichtbaren Gefahr

Radioaktive Strahlen, bösartige Viren oder der Weltuntergang – unsere großen Ängste vor Dingen, die mit unseren Sinnesorganen nicht wahrnehmbar sind.

92 Prozent der Österreicher sind über die Natur- und atomare Katastrophe in Japan „schockiert“, 81 Prozent haben auch mit Angst auf die Berichte reagiert. Bei 14 Prozent hat sich sogar ein „Panikgefühl“ eingestellt. Die Ergebnisse einer Umfrage des Klagenfurter Humaninstituts unter 850 Personen zeigen, wie sehr die Menschen von einem Ereignis in fast 9000 Kilometer Entfernung in ihren Bann gezogen werden. Einem Ereignis, das apokalyptische Züge in sich trägt – das Aufbäumen der Erde und des Wassers. Und mit der Atomenergie auch noch eine gewaltige Kraft, die sich der Bändigung durch den Menschen anscheinend entwunden hat.

Selten zuvor durften sich Untergangspropheten derart bestätigt fühlen wie in den Tagen seit dem Ausbruch der Katastrophe am 11. März. Tatsächlich fällt es schwer, ein Ereignis dieser Tragweite zu finden, bei dem die kollektive Angst eine tatsächliche Grundlage hat, bei der die Propheten der Apokalypse sich stolz auf die Brust klopfen durften. Denn allzu oft verschwinden die von ihnen entfachten Ängste nach einiger Zeit einfach wieder. Entsorgt im „Endlager der falschen Alarme“, wie „Die Zeit“ es nannte.


Vogelgrippe und Millennium-Bug. Vogelgrippe, Schweinegrippe, Gentechnik, Finanzkrise – davor fürchtete man sich zuletzt fast zu Tode. Wer weiter zurückblickt, wird sich an den Millennium-Bug erinnern, der mit Silvester 2000 den Weltuntergang bringen sollte. Oder an das Waldsterben in den Achtzigern, das ebenfalls für so manche apokalyptische Vision herhalten musste. Allerdings – wirklich geblieben ist von all diesen Ängsten nicht viel.

Blickt man auf all die mehr oder weniger ernstlichen Bedrohungen, vor denen wir uns zuletzt gefürchtet haben, fällt vor allem eines auf: Es handelt sich häufig um unsichtbare Gefahren. Genau jene Dinge, die unsere Wahrnehmungsorgane nicht erfassen können, bereiten uns die meiste Furcht. Seien das radioaktive Strahlen, seien das Viren oder Bakterien, oder seien es obskure Voraussagen über das Ende der Welt, wie sie etwa rund um die Inbetriebnahme des Teilchenbeschleunigers bei Genf zu hören waren.

„Menschen wollen alles unter Kontrolle haben“, sagt der auf Ängste spezialisierte Psychologe Mario Lehenbauer von der Uni Wien. „Vorkommnisse wie jetzt in Japan sind außerhalb der eigenen Kontrolle – das bereitet Angst.“ Ein Kontrollverlust, der nicht einmal Viren oder radioaktive Strahlen braucht. Es genügt beispielsweise schon eine Steuererklärung. Angst tritt auf, wenn man vor einem komplexen System steht, das man nicht durchschaut. „Darum“, sagt Medienpsychologe Peter Vitouch vom Institut für Publizistik der Uni Wien, „kaufen sich die Menschen jetzt Geigerzähler, um sich ein Wahrnehmungsorgan zu schaffen, das aus der Hilflosigkeit führt.“

Eine ähnliche Aufgabe erfüllen auch die Medien: Mit der Information der Bevölkerung, dem Erklären komplexer Sachverhalte, kann den Menschen viel an Angst genommen werden. Allerdings wirkt das natürlich auch in die Gegenrichtung: Erst durch die Information über bestimmte Vorkommnisse erfahren Zuseher, Zuhörer und Leser von einem bedrohlichen Phänomen. Und Boulevardmedien neigen auch noch dazu, mit alarmistischen Botschaften eher zusätzlich zur Angst beizutragen, als sie zu lindern. Auch dadurch, dass sie gern zweifelhafte „Experten“ zu Wort kommen lassen, die in der wissenschaftlichen Community ob ihrer Ansichten belächelt werden.

Im Fall von Japan braucht es aber nicht einmal derartige Propheten des Untergangs. Die japanischen Behörden selbst liefern mit ihrer Ratlosigkeit und der schleppenden Informationspolitik eine Steilvorlage. „Um Panik zu vermeiden, wird möglichst wenig konkrete Information herausgegeben“, sagt Medienpsychologe Vitouch. „Was dazu führt, dass die Menschen noch mehr Angst bekommen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2011)

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