Gabriela von Habsburg: "Riesenvorteil, heute zu leben"

Gabriela Habsburg Riesenvorteil heute
Gabriela Habsburg Riesenvorteil heute(c) REUTERS (MICHAELA REHLE)
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Gabriela von Habsburg, Bildhauerin und Georgiens Botschafterin in Berlin, erinnert sich an ihren in der Kapuzinergruft beigesetzten Vater Otto und ihre Respekt gebietende Großmutter Kaiserin Zita.

Was waren die prägendsten Erlebnisse, die Sie mit Ihrem Vater hatten?

Gabriela von Habsburg: Es gab so unendlich viele. An etwas Grundsätzliches werde ich aber immer denken. Egal, wie schwierig die Zeiten waren, mein Vater blieb immer optimistisch.

Hat sich Ihr Vater in Ihrer Kindheit viel Zeit genommen für Sie und Ihre Geschwister?

Wir durften immer in sein Arbeitszimmer. Kinder spielen normalerweise laut. Aber ich erinnere mich nicht, dass er uns jemals rausgeschmissen hätte.


Ihre Familiengeschichte ist ein wesentlicher Teil der Geschichte Österreichs. Haben Sie die Gelegenheit genutzt und Ihren Vater darüber ausgefragt?

Absolut. Mein Vater hat immer gesagt: „Wenn wir nicht wissen, woher wir kommen, wissen wir nicht, wohin wir gehen, weil wir nicht wissen, wo wir sind.“ Small Talk konnte mein Vater nicht ertragen. Ich kann mich an kein einziges Essen erinnern, bei dem nicht über Politik diskutiert wurde. Das gemeinsame Essen war immer ein wichtiger Treffpunkt. Alle mussten ganz pünktlich beim zweiten Gong mit gewaschenen Händen und halbwegs anständig frisiert bei Tisch sein.


Ich nehme an, Sie hatten als Jugendliche Auseinandersetzungen mit Ihrem Vater.

Eines ist meinem Vater in seiner Erziehung unglaublich gut gelungen: Alle sieben Kinder sind praktizierende Katholiken und politisch in einer Richtung eingestellt, die ich als die richtige bezeichne.

Was ist die richtige Richtung?

Wertekonservativ.

Funktioniert das bei Ihren eigenen Kindern?

Bisher erstaunlich gut.

In der Todesstunde Ihres Vaters war die Familie angeblich großteils versammelt ...

Es waren am letzten Abend fast alle Geschwister dabei, auch meine Kinder und etliche Enkelkinder. In den letzten Tagen, als wir gemerkt haben, dass es dem Ende zugeht, sind alle gekommen. Und er hat sie noch alle wahrgenommen und gestrahlt über jeden einzelnen, den er gesehen hat.

Hatte er noch eine letzte Botschaft, die er seinen Nachkommen vermitteln wollte?

Er hat seine Überzeugung immer so gelebt, dass es sein letzter Atemzug hätte sein können. Deswegen hat es keiner letzten Botschaft bedurft. Seine letzte wirklich große Freude war natürlich, dass Kroatien den Weg in die EU gewiesen bekommen hat.

Es ist auffallend, dass sich in Österreich einiges verändert hat im Vergleich zum Begräbnis Ihrer Großmutter Zita. Damals gab es viel mehr Kritik an den Feiern.

Es ist auch eine Zeit vergangen, in der sich die Dinge entspannt haben. Kritische Stimmen gibt es immer. Das hat mein Vater auch stets geschätzt.

In Österreich polarisieren die Habsburger immer noch stärker als in anderen Ländern. Woran liegt das Ihrer Ansicht nach?

Ich finde keine wirklich gute Erklärung dafür. Denn wenn man sich hier in Wien umschaut, ist so viel auf meine Vorfahren zurückzuführen.

Kann es an gewissen Fehlentscheidungen liegen, die zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs führten und Millionen Menschen das Leben kostete?

Ich glaube nicht, dass man der Geschichte gerecht wird, wenn man sagt, dass die Habsburger die Schuldigen waren am Ersten Weltkrieg.

Das Misstrauen rührt vielleicht auch daher, dass Ihr Vater Otto in der Zwischenkriegszeit Restaurationsversuche unternahm.

Da mein Vater 1961 die Verzichtserklärung unterschrieben hat, weiß ich jetzt nicht, worauf sich das Misstrauen gründet. Mein Vater als Kronprinz ist natürlich nicht als überzeugter Republikaner herumgelaufen. Doch jeder muss den Wandel sehen, den er zum frei gewählten Abgeordneten im Europaparlament vollzogen hat, wo er 20 Jahre voll integriert in ein demokratisches System gearbeitet hat. Die EU ist, vor allem nach ihrer Osterweiterung, ein Äquivalent für einen Vielvölkerstaat der Habsburger.

Es heißt, dass Kaiserin Zita absolut gegen die Verzichtserklärung war.

Das kann man so nicht sagen. Sobald mein Vater großjährig war, hat sie alle seine Entscheidungen akzeptiert.

Was für eine Frau war Ihre Großmutter?

Sie war zierlich, immer zu hundert Prozent korrekt, seit dem Tod ihres Mannes (Kaiser Karl; Anm.) immer schwarz gekleidet, immer hochgeschlossen, mit einer leisen Stimme. Aber selbst wenn man mit dem Rücken zur Türe stand, als sie eintrat, spürte man, dass eine große Persönlichkeit den Raum betreten hatte. Wir Enkelkinder haben sie selbstverständlich gesiezt. Das kommt auch aus dem Französischen, wo man eher „vous“ sagt und nicht „tu“.

Waren Sie frei in der Wahl Ihres Studiums und Ihres Berufs als Bildhauerin?

Meinen Sie, dass sich Eltern wünschen, dass ihr Kind Künstlerin wird? Glücklich waren sie wohl nicht darüber. Letztlich aber haben mein Vater und meine Mutter uns in allem, was wir ernsthaft machen wollten, unterstützt.

Welche Rolle hat Ihre Mutter gespielt?

Sie war die Seele und das Zentrum der Familie. Unendlich bescheiden, mit viel Humor, sie hat meinem Vater immer den Rücken für alles freigehalten und ihn zum Schluss überallhin begleitet. Die Zeit nach ihrem Tod war sehr schwer für meinen Vater. Doch es war immer jemand von uns bei ihm, lückenlos. Er war nicht einen Tag allein.

Sie sind in Bayern aufgewachsen und haben lange dort gelebt, welchen Bezug haben Sie persönlich zu Österreich?

Wenn meine Schulklasse nach Tirol gefahren ist, durfte ich nicht mitfahren, obwohl ich Österreicherin war. In Bayern war ich Ausländerin, nach Österreich, das theoretisch mein Heimatland war, durfte ich nicht. Es gibt nicht ein einzelnes Land, in dem ich mich zu Hause fühle. Ich bin Europäerin.

Waren Sie je deutsche Staatsbürgerin?

Nie. Was mir jetzt zugute kommt, sonst wäre es schwierig, Botschafterin Georgiens in Berlin zu sein. Ich hatte einen österreichischen Pass. Da stand zunächst drin: Für alle Länder gültig, außer für die Einreise nach Österreich.

Bis 1961, bis Ihr Vater die Verzichtserklärung unterschrieb.

Das dauerte noch. Am Anfang bekam nur mein Vater einen Pass. Ich erhielt den Pass erst 1971 oder 1972.

Wohin hat Sie Ihre erste Reise nach Österreich geführt?

Zum Skifahren nach Tirol.

Sind Sie nicht gleich nach Wien gefahren?

Nein, erst später. Wir sind nach Schönbrunn gegangen. Ich habe meinen Schülerausweis gezeigt, wo Habsburg drinnen stand und musste Eintritt zahlen. Es war ein großes Amusement, zu sehen, wie sich ein System verhält gegenüber einer Familie, die mit Sicherheit in Wien die Basis jedes touristischen Einkommens stellt.

Geht Ihnen manchmal durch den Kopf, wie Ihr Leben verlaufen wäre, wenn die Monarchie in Österreich nicht gefallen wäre?

Ich hätte persönlich viel weniger Freiheiten gehabt. Unter meinen Vorfahren gab es einige hervorragende Künstler, die nie ihre Berufung ausleben konnten. Es ist ein Riesenvorteil, heute zu leben.

Stimmt es, dass Sie in Ihrer Geburtsurkunde als Erzherzogin eingetragen sind?

Ich habe vor ein paar Jahren den ehemaligen Rektor der Münchner Universität bei einem Abendessen getroffen. Er hat zu mir gesagt: „Es ist mir sehr peinlich, darf ich fragen, wann Sie geboren wurden.“ – Kein Problem, sagte ich: 1956 während des Ungarn-Aufstands. „Dann habe ich damals als Jurist ein Gutachten geschrieben, welchen Namen man Ihnen geben kann.“ Er kam damals zu keinem Schluss. Daraufhin hat meine Mutter kurz vor ihrer Niederkunft ein Köfferchen gepackt und ist mit mir nach Luxemburg gefahren, wo mein Großonkel Großherzog war. Deshalb sieht meine Geburtsurkunde anders aus als die meiner Geschwister.

Was steht in Ihrer Geburtsurkunde?

Gabriela von Österreich-Ungarn. Das war mein Name. Habsburg ist ein Konstrukt, eine Bezeichnung für den Familienstamm, nicht ein Familienname.

Sie heißen eigentlich Österreich?

Was heißt eigentlich? Das steht in meiner Geburtsurkunde. Im Endeffekt ist es nicht so wichtig, wie man heißt. Ich bleibe derselbe Mensch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.07.2011)

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