Abnehmen, weil es finster ist: Kritik an »Pseudodiäten«

Ernährungstipps gibt es, seit es Menschen gibt. Diät bedeutet ursprünglich Lebensweise. Was heute angeboten wird, ist meist das Gegenteil.

Das gute Gewissen ist teuer. Sehr teuer, wenn man bedenkt, wie viel Geld wir für Ratgeber und Diätbücher ausgeben. Bücher, die uns Ratschläge erteilen, die wir selbst vom besten Freund niemals annehmen würden. Aber wird das Ganze mit Schlagworten à la „Studien belegen“ unterlegt, von einem (meist selbst ernannten) „Ernährungsexperten“ empfohlen, der das selbst ausprobiert hat, funktioniert es offenbar – besonders dann, wenn die Anleitungen auch noch ein „maximales Ergebnis bei minimalem Aufwand“ versprechen. Vielleicht kaufen wir Diätbücher ja aus genau demselben Grund, aus dem wir uns ein Stück Torte, ein Glas Bier oder sonst eine – wie es in solchen Momenten schönfärberisch genannt wird – „kleine Sünde“ gönnen: dafür nämlich, dass wir uns für einen kurzen Moment gut fühlen. Was danach kommt, kommt danach.


Vom Speicheltest bis zur Steinzeitdiät. Nicht, dass die Schokotorte gesünder wäre als das Diätbuch. Erstere macht aber wenigstens Spaß. Fakt ist aber, dass Diätbücher derzeit Hochsaison haben. Zu Jahresbeginn erscheinen stets Unmengen an Publikationen, die einen schlankeren und somit schöneren Körper versprechen – inklusive dem ganzen Rattenschwanz an Nebeneffekten, die das Leben lebenswerter machen. Und da Individualität derzeit besonders wichtig ist, gibt es mittlerweile schon für beinahe jeden Menschentyp das ideale Diätbuch.

Für die Technikaffinen gibt es etwa „Genetic Balance. Die Diät-Revolution“. Da erfährt man nach ein paar Rechenaufgaben, Tabellen, Speicheltests und Ähnlichem, ob man ein Fett- oder Kohlenhydratverbrenner ist – und dank des Rezeptteils, ob man Grissini-Schinken-Stangen oder Pizza Hawaii essen darf. Die Anhänger des Retrotrends werden bei der Steinzeitdiät oder bei den Rohkost-Vertretern fündig, etwa im Buch „Intelligente Ernährung. Lebendige Vitalkost mit Wildkräutern“, das „absolute Gesundheit“ verspricht. Wer es hingegen eilig hat, setzt auf Bücher wie „3 echte Kilo weg“ – in zehn Tagen. Und diejenigen, die immer schon alles besser gewusst haben, werden „Schlank ohne Diät“. Und wer einen Hang zum Skurrilen hat, sollte bei Ratgebern à la „Schlank im Dunkeln“ fündig werden. Wer sich wiederum bestätigen lassen will, dass all diese Methoden nichts taugen, könnte dann noch einen Blick auf die „50 größten Diät-Lügen“ werfen – keine Angst, im Anhang erfährt man dann schon, wie man richtig abnimmt.


Erstes Diätbuch aus 1558. Neu ist all das jedoch nicht. Diäten und absurde Versprechen für ein besseres Leben gibt es beinahe so lange, wie es Menschen gibt. Die britische Medizinhistorikerin Louise Foxcroft hat in ihrem im Vorjahr erschienenen Buch „Calories & Corsets. A history of dieting over two thousand years“ einen Blick in die Geschichte gewagt – und dabei einiges entdeckt, was heute als brandneu verkauft wird. So hat etwa 1558 der venezianische Kaufmann Luigi Cornaro sein Diätbuch damit beworben, dass er durch die Diät seine „Männlichkeit“ zurückgewonnen hat. Ein Argument, das heute immer noch Zugkraft hat.

Im 19.Jahrhundert hat der Bestatter William Banting eine Wunderdiät präsentiert, bei der auf Kohlenhydrate verzichtet wurde. Low-Carb ist also weder neu, noch eine Erfindung der 1970er-Jahre. Die Trennkost kam Anfang des 20.Jahrhunderts auf. Ähnlich verhält es sich übrigens mit den entsprechenden Hilfsmitteln – von Trainingsgeräten über Pillen und Cremes. Auch die reichen weit in die Geschichte zurück. So wurden etwa um 1650 die ersten Diätdrinks in Form von Kräuterwässerchen verkauft. Nicht selten waren in solch zweifelhaften Mitteln eher ungesunde Inhaltsstoffe enthalten – wie Arsen oder Strychnin.


Pseudodiäten. Der Diätwahn, wie wir ihn heute kennen, dürfte aber in den 1950er-Jahren in den USA entstanden sein. Wobei das Wort „Diät“ heute kaum noch etwas mit seiner ursprünglichen Bedeutung – nämlich einer gesunden Lebensweise – zu tun hat. Zumindest nicht bei jenen Anbietern, die laut Andrea Hofbauer „Pseudodiäten“ anbieten. Sie ist Präsidentin des Verbands der Diätologen Österreichs und sieht die populärwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema naturgemäß skeptisch. „Natürlich kann man nicht alle in einen Topf werfen. Aber das Problem ist, dass Pseudodiäten nicht für jedermann und jedefrau gemacht sind“, sagt Hofbauer. „Wenn jemand zum Beispiel sehr übergewichtig ist und Diabetes hat, kann eine Hochproteindiät gefährlich sein und zu Niereninsuffizienz führen.“

Sie kritisiert auch, dass Diäten heute beinahe ausschließlich mit Gewichtsreduktion in Verbindung gebracht werden. „Aus medizinischer Sicht geht es aber darum, bei einer Erkrankung eine Verbesserung durch eine Ernährungsumstellung zu erzielen. Dazu wird der Patient aber genau untersucht“, erklärt Hofbauer. Wer dennoch den unzähligen Pseudodiätbüchern verfällt, sollte zumindest darauf achten, dass dahinter ein Diätologe oder ein Ernährungswissenschaftler steht. Versprechungen a la „X Kilo in y Tagen“ können nicht funktionieren. Im Gegenteil – sie machen meist den Leser dick. Dafür ernähren sie die Autoren ganz gut.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2013)

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