Ökonomie des Gemeinsamen: Meins ist deins ist gut für alle

Wir teilen Musik, Autos und Betten. Firmen leiden darunter, aber langfristig profitiert die Wirtschaft, wenn Güter besser genutzt werden.

Phillip Gloeckler will heuer nichts mehr kaufen. Wozu auch? Egal, was er wollen könnte, irgendeiner seiner Freunde besitzt es sicher – und teilt vielleicht gerne. Auf dieser Idee hat der 28-Jährige auch sein Unternehmen aufgebaut. Gemeinsam mit Freunden entwickelte er die Smartphone-App „whyownit“, mit deren Hilfe der Nutzer nachsehen kann, ob einer seiner Facebook-Freunde und Kontakte zufällig die Bohrmaschine oder das Motorrad zu Hause herumstehen hat, das er selbst gerade bräuchte.

Willkommen in der Ökonomie des Teilens. Für die Generation der heute 20- bis 30-Jährigen ist das nichts Besonderes mehr. Aufgewachsen mit dem Internet ist ihnen die Idee des Teilens gut vertraut. Erst wechselten über das Netz Lieder und Filme den „Besitzer“, heute sind es eben auch Wohnungen, Autos und Gärten. Die Ökonomie des Teilens ist zu einem ernst zu nehmenden Wirtschaftszweig geworden. Das Wirtschaftsmagazin „Forbes“ schätzt, dass die Branche heuer 3,5 Milliarden US-Dollar (2,6 Mrd. Euro) Umsatz machen wird. Ein Plus von 25Prozent.

Schöpferische Zerstörung. Wie YouTube das Fernsehen und Napster die Musikindustrie verändert haben, so stellt dieser Trend heute erneut gestandene Industrien auf die Probe. Was das bedeuten kann, hat die Skibranche schmerzlich erlebt. Verkauften die Hersteller zu ihrer Blüte in den Achtzigern acht Mio. Paar Skier im Jahr, so sind es heute nur 3,5 Mio. Zwar haben da das Snowboard und wärmere Winter einiges dazu beigetragen. Hauptgrund ist aber: Die Kunden kaufen nicht mehr so gerne Skier, sondern leihen sich lieber jedes Jahr das neueste Modell aus.

Beispiele wie dieses legen die Frage nahe: Schafft die Ökonomie des Teilens überhaupt neue Werte oder ersetzt sie nur existierendes Geschäft? Die Antwort gab der österreichische Volkswirt Joseph Schumpeter mit seiner Theorie der schöpferischen Zerstörung schon vor hundert Jahren. Natürlich werden alte Branchen verdrängt, gleichzeitig eröffnet das erst jedoch Raum für Neues und Fortschritt.

Anders als in den Neunzigern, als die Musikindustrie mit allen Mitteln gegen Tauschbörsen im Internet vorging, haben die Großkonzerne diesmal erkannt, dass sie in die Offensive gehen müssen. So ist etwa der deutsche Autohersteller Daimler einer der Vorreiter der neuen Branche. In 20 Großstädten weltweit vermietet er mit seinem Unternehmen car2go Smarts zum Minutenpreis. Damit läuft der Konzern einerseits Gefahr, mögliche Kunden zu vergraulen. Nach einer Studie der Universität Berkeley veranlasst jedes Auto, das über derartige Carsharing-Modelle genutzt wird, neun bis 13 Autofahrer zur Aufgabe ihres eigenen Vehikels. Andererseits ist Daimler überzeugt, dass sich die meisten car2go-Nutzer ohnedies keinen Mercedes gekauft hätten.

Volkswirtschaftlich ist die Sache da schon einfacher. Kaufen Menschen weniger Autos, mag das kurzfristig die Wirtschaft bremsen. Langfristig ist das Gegenteil der Fall. Denn das Auto zählt zu einem der teuersten und am ineffizientesten genutzten Produkte. 95Prozent der Zeit steht es im Schnitt herum.


Mehr Geld für anderes. Je effizienter Autos und andere Produkte genutzt werden, umso besser ist es für die Volkswirtschaft, da Geld für andere Dinge frei wird. Zahlen zur Bestätigung dieser These liefert Airbnb, der digitale Marktplatz für Privatunterkünfte. In San Francisco, so das Ergebnis der – zugegebenermaßen nicht ganz unverdächtigen – Studie, hätten viele Branchen von Airbnb profitiert. Da die Privatquartiere der Nutzer meist günstiger sind als Hotels, gaben Airbnb-Urlauber im Schnitt 260 Dollar mehr aus als andere Besucher. 14Prozent der Befragten wären ohne Airbnb gar nicht gekommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2013)

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