Transsexualität: Verurteilt zu Hosen und Frauenfrisur

(c) BilderBox.com (Erwin Wodicka)
  • Drucken

Eine britische EU-Parlamentarierin outet sich als ehemaliger Mann. Über Schicksalsgenoss(inn)en einst und heute, den Umgang mit dem „dritten Geschlecht“, und warum radikale Feministinnen Transsexuellen den Tod wünschen.

Was sie durchgemacht habe, wünsche sie dem bösesten Menschen nicht, sagt sie. Depressionen begleiteten Nikki Sinclaire durch ihre Jugend und darüber hinaus. Heute geht es ihr besser, die 45-Jährige ist Europaparlamentarierin und am Montag erscheint in England ihre Autobiografie „Never Give Up“. Darin lüftet sie ihr „großes Geheimnis“, das seit ein paar Tagen keines mehr ist, nämlich, dass sie bis zum Alter von 23 Jahren ein Mann war.

Autobiografien Transsexueller haben Tradition, seit aus dem dänischen Maler Einar Wegener 1930 eine Lili Elbe wurde. Sie war eine der Ersten, die sich operieren ließen, ihre Lebensbeschreibung erschien posthum, sie selbst starb nach der Operation an Komplikationen. An der Medizin sterben sie heute nicht mehr oft, die Männer, die Frauen, und die Frauen, die Männer sein wollen. Dafür ist die Selbstmordrate erschütternd hoch. Ihr Ruf als sexuelle Avantgarde, ihre wachsende Beliebtheit in der Unterhaltungsbranche und Erfolge als Sportler und Supermodels täuschen nur darüber hinweg: Menschen, die sich in ihrem Körper fehl am Platz fühlten, finden ihren Platz oft auch in ihrem „neuen“ (nie ganz „umwandelbaren“) Körper nicht, geschweige denn in der Gesellschaft.

Bradley Manning: „Ich bin Chelsea“

Der inhaftierte WikiLeaks-Informant Bradley Manning outete sich im August, er habe sich immer schon weiblich gefühlt und wolle nun eine Hormontherapie beginnen: „Ich bin Chelsea Manning. Ich bin eine Frau.“ Warum jetzt die EU-Abgeordnete? Journalisten und ihre ehemalige Partei hätten gedroht, es publik zu machen, sagt Nikki Sinclaire.
Auch wenn es gern als politisches Statement und Beweis für verschwimmende Geschlechtergrenzen gesehen wird: Das Gefühl, biologisch das falsche Geschlecht zu haben, verbunden mit dem Wunsch, dieses zu ändern, ist selten. Einer Studie der Amsterdamer Gender Clinic zufolge betrifft es einen von 10.000 Männern, eine von 30.000 Frauen. Und man weiß nach wie vor nicht, woher es kommt – wie viel körperlich bedingt ist (hormonelles Ungleichgewicht im Embryo?), seelisch und sozial. Nur eins ist sicher: Es zieht sich durch die Kulturen, die Geschichte.

Zur Ahnengalerie gehören etwa der Gouverneur von New York Edward Hyde im 17. und der französische Diplomat Chevalier d'Eon im 18. Jh., die vor allem durch Tragen von Frauenkleidern in Erinnerung blieben.

Die Jungfrau von Orléans?

Vieles wird aus Prostituiertenkreisen berichtet, und in Zeitungen erschienen ab und zu Meldungen: etwa im 17. Jh. über den nach Amerika ausgewanderten englischen Bediensteten Thomas Hall, der gern Frauenkleider trug und angab, er sei Mann und Frau – das Gericht verurteilte ihn zu Männerhosen und Frauenfrisur; oder, 1907, über eine Amerikanerin, die 60 Jahre als Mann lebte, auch nachdem man in einem Spital entdeckte, dass sie physisch eine Frau war.

Die von Transsexuellen erstellten Genealogien enthalten aber auch höchst spekulative bis skurrile Einträge, wie die nach ihrer Abdankung als „Graf Dohna“ nach Antwerpen geflüchtete schwedische Königin Christina von Schweden oder gar die Jungfrau von Orléans. Sie kranken generell daran, dass man über die Motive der Menschen, sich andersgeschlechtlich zu kleiden oder zu verhalten, oft nur spekulieren kann.

Wollten sie z. B. nur Rollengrenzen überwinden, wie die vielen Frauen, die sich als Männer ausgaben, um Soldaten werden zu können, oder die Männer, die sich damit vor Verfolgung retteten? Bei vielen Volksaufständen zogen sich Männer Frauenkleidung an – vielleicht weil das Gewand ihrer Ehefrauen die einfachste Maskerade war.

Nordamerikanische Indianer hatten mit den „Two-Spirits“ eine eigene Kategorie für Menschen, die sich ihrem Geburtsgeschlecht nicht zugehörig fühlten. Und heute noch gibt es etwa in Indien (Hijras),  Thailand (Kathoey) oder Oman (Khanith) Gruppen von Männern, die sich als Frauen kleiden und sich auch so verhalten, zum Teil auch ihr Geschlecht medizinisch verändern lassen. Eunuchen und Kastraten sahen sich als „drittes Geschlecht“, ein solches anerkennen Indien und fünf weitere Länder auch juristisch (zum Beispiel mit einem X im Reisepass); seit 1. November gehört auch Deutschland dazu.

Ein deutscher Arzt prägte auch die Begriffe „Transvestiten“ und „Transsexualismus“. Magnus Hirschfeld, der später von den Nazis im Film „Der ewige Jude“ dämonisiert wurde und mit dem Wiener Sexualforscher Eugen Steinach zusammenarbeitete, führte in den 1910er-Jahren auch als Erster Operationen durch. Diese verbreiteten sich aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als sich etwa in Kopenhagen 1952 die erste Amerikanerin operieren ließ.

Strafe im Zug, weil „weiblich gekleidet“

Heute führen Transsexuelle trotz großer gesetzlicher Verbesserungen in den letzten Jahren immer noch ein schwieriges Leben, lösen Unbehagen und Unsicherheit aus. Da ist eine Französin, die im Mai im Zug Strafe zahlen musste, weil sie „weiblich gekleidet“ war, obwohl ihre Fahrkarte einen männlichen Vornamen anführte; da sind Vorgesetzte (in Österreich), die Menschen nach einer Operation eine „Auszeit“ nahelegen; da ist die als Mann geborene Finnin Marja-Sisko Aalto, die 14 Jahre lang eine evangelisch-lutheranische Gemeinde leitete. Nach ihrem Outing vor fünf Jahren verließen viele Mitglieder die Gemeinde, sie erhielt Todesdrohungen und trat schließlich zurück.

Purer Hass kommt von extremen Rechten, die sich glasklare Geschlechtergrenzen wünschen, aber auch von manchen radikalen Feministinnen. Sie berufen sich auf das Buch „The Transsexual Empire“ (1979) von Janice Raymond, das den Transsexualismus als Männerverschwörung deutete. Er zementiere Geschlechterrollen (auch weil Transfrauen sich besonders stereotyp verhalten würden), Männer würden sich nur zu Frauen machen lassen, um noch besser „echte“ Frauen zu unterdrücken. Erst kürzlich deklarierte eine Mitbegründerin der US-amerikanischen Radical Lesbian Feminist and Separatist Community: „Manche von uns wünschen, sie wären alle tot.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.