Der Kampf gegen die Verpackung

Andrea Lunzer
Andrea LunzerDie Presse
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Millionen Tonnen an Verpackungsmaterial landen jedes Jahr im Müll. In Wien eröffnet im Jänner das erste Lebensmittelgeschäft, das bewusst auf Verpackung verzichtet – sogar noch vor Berlin.

Wirklich neu ist die Idee ja eigentlich nicht, eher im Gegenteil. „Ich habe das meinen beiden Großmüttern erzählt, die waren äußerst unbeeindruckt“, sagt Andrea Lunzer. Immerhin waren die Damen schon in ihrer Jugend mit einem schlichten Korb einkaufen, die Milch wurde mit einem Behälter vom Bauern oder aus dem Kühlhaus geholt und die heute üblichen, in Styroportassen gelegten und in Plastikfolie eingeschweißten geschnittenen Obst- oder Gemüsestücke wären ihnen nicht im Traum eingefallen.

Andrea Lunzer plant genau so ein Geschäft, wie es ihre Großmütter früher erlebt haben – eine Greißlerei. Das allein wäre, wenn heutzutage auch nicht alltäglich, so doch nicht ungewöhnlich. Aber Lunzers Maß-Greißlerei, wie das Geschäft heißen wird, will komplett auf Verpackungen verzichten. Am 25.Jänner eröffnet sie im zweiten Wiener Bezirk, in der Heinestraße 35, ihre Greißlerei. Zeitgleich arbeiten auch in Berlin drei junge Damen an einem Supermarkt – der Name: Original unverpackt. Und auch sie wollen dort auf Einwegverpackung verzichten. Im Frühling soll es so weit sein.


Vorreiter London. Alle vier Neo-Händlerinnen dürften schon einen Abstecher nach London gemacht haben. Denn dort war Catherine Conway mit ihrem Lebensmittelgeschäft namens Unpackaged im Jahr 2007 die Erste, die auf ein solches Konzept setzt.

Aber zurück in die Wiener Leopoldstadt. Das noch nicht ganz fertige Geschäft von Andrea Lunzer – die zuvor im Verpackungsbereich und Marketing einer großen Biokette tätig war – erinnert nämlich auch optisch an den Unpackaged-Shop in London. Dunkle Regale, in denen Nudeln, Getreide oder Nüsse in Plexiglasbehältern darauf warten, in kleine Glasbehälter abgefüllt zu werden, reduziertes Design und dazwischen ein paar alte Möbel, wie etwa ein großer Klostertisch, der Ess- und Arbeitstisch in einem war. Zu Mittag wurde der Tisch einfach zugeklappt und so die Handarbeiten der Nonnen verstaut. In einer Ecke des rund 100 Quadratmeter großen Lokals befindet sich ein kleines Café, mit Bistrotischen und den derzeit so beliebten, großen Industrielampen.

So weit, so chic. Aber wie funktioniert nun der Einkauf ohne Verpackung? „Ganz einfach“, sagt Lunzer, „man nimmt seine eigenen Behälter mit, geht als Erstes zur Kassa, lässt das Leergeschirr abwiegen und füllt dann auf, was man braucht.“ Und wer nichts dabeihat, kann bei ihr auch die passenden Glasbehälter kaufen. Notfalls gibt es auch kostenlose Papiersackerln. Und der Käse aus der Feinkostabteilung kann ebenso in umweltfreundlichem Papier verpackt werden.

Damit speziell die Kundschaft aus der Nachbarschaft nicht den ganzen Tag die Behälter bei sich haben muss, um abends einzukaufen, bietet Lunzer ein spezielles Service an. „Man kann in der Früh seinen Korb und seine Behälter vorbeibringen, inklusive Einkaufsliste, und am Abend dann alles fertig eingepackt abholen.“ Bei jenen Produkten, die schwierig ohne Verpackung auskommen – etwa Milch und Milchprodukten –, setzt sie auf Mehrwegflaschen. Auf Fleisch wird gleich ganz verzichtet. Weniger aus logistischen Gründen als aus persönlicher Überzeugung. Dass die Produkte aus biologischem Anbau kommen und einen möglichst kurzen Transportweg zurücklegen mussten, versteht sich von selbst. Lunzer hat dabei einen kleinen Heimvorteil, sie ist auf einem Biobauernhof im burgenländischen Seewinkel aufgewachsen.


Das System umkrempeln.
Die junge Frau ist überzeugt, dass das Konzept funktionieren wird. Immerhin gibt ihr der Erfolg der Kollegin aus London recht. Andererseits bemerkt sie auch in ihrem Umfeld, dass sich immer mehr Menschen darüber Gedanken machen, wie viel (unnötige) Verpackung verwendet und weggeworfen wird. „Manche Dinge sind ja absurd, etwa einzeln eingeschweißte Äpfel mit einer Serviette. Als bräuchte es das, um zu sagen: Das ist ein Snack.“

Sie selbst ist auf das Thema durch ihre berufliche Tätigkeit gestoßen. „Ich habe mich viel mit Kunststoffalternativen beschäftigt, die biologisch abbaubar sind. Irgendwann hat es aber Klick gemacht und mir ist bewusst geworden, dass ich mir weniger Gedanken über das Material, sondern lieber über die Verpackungsvermeidung an sich machen sollte. Man muss das System anders sehen.“

Im Lebensmittelhandel, wo sie zuvor tätig war, hat sie zu wenig Willen zur Veränderung gesehen. „Die wollen teilweise etwas tun, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich das auf kleine Veränderungen beschränkt, indem eine normale Folie durch eine Bioplastikfolie ersetzt wird.“


Zweifelhafter Weltmeister.
Ähnlich sieht das Elmar Schwarzlmüller von der Abteilung Ressourcen und Abfall der Wiener Umweltberatung. „Bei der Abfalltrennung steht Österreich im internationalen Vergleich sehr gut da, bei der Abfallvermeidung haben wir noch sehr viel Potenzial“, sagt er. „Ich krieg immer ein bisschen Bauchweh bei der Meldung, dass wir wieder Abfalltrennweltmeister sind. Das bedeutet ja, das wir auch wahnsinnig viele Tonnen Plastik in Umlauf bringen.“ Laut dem Statistischen Amt der Europäischen Union (Eurostat) stieg in Österreich die Zahl des Verpackungsabfalls insgesamt von 1,103.000 Tonnen im Jahr 1997 auf 1.232.059 Tonnen im Jahr 2011. Begründet sieht Schwarzlmüller den Anstieg nicht nur in der wachsenden Bevölkerungszahl und in den immer kleiner werdenden Haushalten (Stichwort Singlehaushalte), sondern auch in immer aufwendigeren und kleinteiligeren Verpackungen. Besonders drastisch ist übrigens der Abfall aus Kunststoff gestiegen, nämlich von 180.000 Tonnen (1997) auf 264.152 Tonnen (2011). Papier hingegen – immer noch der größte Anteil im Verpackungsmüll – blieb bei rund 500.000 Tonnen.

Bei diesen 1,232 Millionen Tonnen Verpackungsabfall handelt es sich allerdings nur um jene Verpackungen, die getrennt gesammelt werden. Christian Pladerer vom Österreichischen Ökologie-Institut schätzt, dass die doppelte Menge, also zwei Millionen Tonnen, pro Jahr im Restmüll landen.


Keine Mehrwegflaschen mehr.
Ein besonders großes ökologisches Problem sieht er genauso wie Schwarzlmüller in der Einwegflasche, die erst Mitte der 1990er-Jahre aufgekommen ist. „Damals hatten wir bei Mineralwasser einen Mehrweganteil von fast 100 Prozent, heute liegt er bei unter 18 Prozent“, sagt Schwarzlmüller. Er macht den Handel dafür verantwortlich und fordert seit Jahren eine verpflichtende Mehrwegquote. Die gab es nämlich schon einmal, wurde aber im Jahr 2000 gesenkt beziehungsweise auf null gesetzt. „Dass das rechtswidrig ist, wurde sogar vom Verfassungsgerichtshof bestätigt. Da aber nie eine neue Quote festgelegt wurde, liegt sie heute immer noch bei null“, so Schwarzlmüller, der von der freiwilligen Selbstverpflichtung der Unternehmen nur wenig hält.

Mehrwegflaschen, die im Schnitt bis zu 40 Mal befüllt werden, werden heute nämlich kaum mehr verwendet. Der Mineralwasserhersteller Römerquelle hat 2008 zum letzten Mal PET-Mehrwegflaschen verwendet. Mitbewerber Vöslauer hat zwar eine Pfandflasche im Sortiment, die ist allerdings keine Mehrwegflasche. „Das ist ein weitverbreiteter Irrtum. Diese Pfandflasche wird nicht wiederbefüllt, sondern recycelt. Das ist zwar ein bisschen besser, weil sortenrein gesammelt wird und es eine höhere Rücklaufquote gibt, aber es ist keine Mehrwegflasche.“

Auch von Bioplastik halten die beiden Experten nur bedingt etwas. Denn Bioplastik bedeutet nur, dass es nicht aus fossilen Rohstoffen, sprich Erdöl, hergestellt wurde und dass das Produkt biologisch abbaubar ist. Mit den Grundsätzen des biologischen Anbaus hat es aber wenig zu tun. „Ich sehe das eher kritisch, wir wissen nicht, woher das kommt und ob zum Beispiel der Mais, den man dafür verwendet, gentechnisch verändert wurde“, sagt Pladerer. Außerdem müssen unterschiedliche Kunststoffe auch getrennt gesammelt und recycelt werden. Besser wäre es, schlicht Verpackung zu vermeiden.

Genau das versucht Micky Klemsch seit mehreren Jahren. „Ich führe seit fünf Jahren ein ziemlich anderes Leben, als ich es in den ersten 40 Jahren geführt habe“, sagt Klemsch, der sich auch beruflich – er arbeitet bei dem Magazin „Biorama“ und ist politisch bei den Grünen aktiv – mit dem Thema befasst. Heute erledigt er die meisten Einkäufe bei einem Bäcker und einem Bioladen in seiner Nachbarschaft am Wiener Stadtrand. Die besucht er nie ohne Einkaufskorb, Stofftaschen für Obst und Gemüse, (bereits verwendetes) Papier fürs Brot und Tupperware für Wurst, Käse oder Fleisch. „Ich wollte das eigentlich auch nicht verwenden, aber wenn ich es schon habe, bringt es ja nichts, das wegzuschmeißen.“


Mit der Lunchbox im Supermarkt.
In seiner Umstellungsphase hat er damit auch „provokativ“, wie er sagt, im Supermarkt eingekauft. „Die haben mich immer angeschaut, als wär ich ein Außerirdischer, wenn ich sie gebeten habe, dass sie die Wurst gleich da reingeben.“ Brot und Gebäck hat er ohne Sackerl verlangt. Die Pickerl, auf denen der Preis stand, klebte er sich auf den Ärmel. „Irgendwann habe ich damit aufgehört. Die haben mich angeschaut, als wäre ich der Komische. Heute meide ich Supermärkte“, sagt Klemsch. Ganz so streng nimmt er all das aber nicht. „Ich bin nicht päpstlicher als der Papst. Wenn es einmal nicht anders geht, nehme ich auch die Verpackung in Kauf. Aber ich bemühe mich.“ Auch er beobachtet, dass diese Art des Einkaufens in seinem Umfeld positiv aufgenommen wird. „Es gibt viele Leute, die ich durch mein Tun mitreiße.“

Weihnachtsgeschenke, auf die er mittlerweile aber auch verzichtet, hat Klemsch früher mit Zeitungspapier verpackt. Wobei Geschenkpapier ohnehin nicht das größte Übel rund um Weihnachten sein dürfte. Viel eher steigt in den Geschäften das Angebot an bereits fertig und besonders aufwendig verpackten Geschenken. Und auch der Konsum von Lebensmitteln und Getränken steigt in der Zeit vor Weihnachten an. Experte Pladerer meint darauf nur trocken: „Natürlich gibt es saisonale Schwankungen. In der Weihnachtszeit werden zusätzliche Behälter für Glas aufgestellt.“

In Zahlen

Unverpackt

4 Milliarden Getränke werden pro Jahr in Einwegflaschen in Österreich konsumiert.
40 Mal wird im Schnitt eine Mehrwegflasche verwendet.
Lunzers Maß-Greißlerei
Am 25. Jänner eröffnet Andrea Lunzer eine Bio-Greißlerei, die ohne Verpackungen auskommt. Heinestraße 35, 1020 Wien, www.maß-greißlerei.at

Original unverpackt
Im Frühling 2014 eröffnen drei Frauen in Berlin einen Supermarkt, der auf Einwegverpackungen verzichtet.
www.original-unverpackt.de

Unpackaged
Bereits seit 2007 betreibt Catherine Conway in London einen Shop, in dem nichts verpackt ist. www.beunpackaged.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2013)

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