Sexting: Wenn das Nacktvideo im Netz landet

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Es beginnt ganz privat: Verliebte schicken einander intime Bilder, am Ende hat sie die ganze Schule gesehen. Mit den Folgen des Sexting kämpfen in Österreich hunderte Jugendliche. Oft vergeblich: Das Internet vergisst nicht.

Eine 12-Jährige schickt einem 13-jährigen Burschen ein Oben-ohne-Foto, um ihm zu gefallen. Doch er behält das Foto nicht für sich. Ein anderes Mädchen dreht ein Selbstbefriedigungsvideo – es wird in der Schule publik. Ein weiteres Mädchen wechselt die Schule, nachdem ein Video, das ihre Vergewaltigung zeigt, verbreitet wurde. „Nach einer Woche war das Video wieder da. Dieses Mädchen weiß genau: Das Video wird sie ein Leben lang einholen“, sagt Barbara Buchegger von der Initiative Saferinternet.at. Und sie fügt hinzu: „Man braucht ein gutes psychologisches Rüstzeug.“

So ein Rüstzeug haben nicht alle Jugendlichen, von denen erotisches Bildmaterial erst im Freundeskreis, dann im Netz die Runde macht. 150- bis 200-mal im Jahr meldet sich bei der Beratungshotline Rat auf Draht ein verzweifelter Teenager mit diesem Problem, meist sind es Mädchen ab 15, aber auch Burschen, von allen Schultypen, aus Stadt oder Land.

Dabei beginnt es meist ganz harmlos: Verliebte Teenager schicken sich gegenseitig aufreizende Nachrichten, Nacktfotos, explizite Filme von sich selbst. Sexting nennt sich das. Eigentlich ein Privatvergnügen.

Zum Problem wird es, wenn die Dateien nicht privat bleiben. Expertin Buchegger beschreibt ein typisches Szenario: Ein Mädchen schickt ihrem Freund via WhatsApp ein Nacktfoto von sich. Er verbreitet es ohne ihr Einverständnis weiter. Entweder, weil er so stolz ist, dass er es auch seinen Freunden zeigen will, oder irrtümlich, weil etwa ein Freund sein Handy in die Hand bekommt. Manchmal passiere es auch nach dem Ende der Beziehung aus Rache. Oder zur Erpressung: Monika Pinterits von der Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien erzählt von Fällen, bei denen intimes Bildmaterial als Druckmittel eingesetzt wurde, nach dem Motto: „Wenn du mit mir Schluss machst, stelle ich das Video ins Netz.“ Oder auch für ganz banale Zwecke: „Wenn du mir nicht bei der Hausübung hilfst . . .“

Unfreiwillig Pornodarsteller. Wenn es erst passiert ist, wenn das Foto erst einmal seine Kreise gezogen hat, ist die Verbreitung meist nicht mehr aufzuhalten. Bisweilen landet die Nacktaufnahme einer 15-Jährigen auch auf einschlägigen Seiten für Kinderpornografie: Irgendwann gelangt das Foto in die Hände eines Pädophilen, und dieser „hat ein frisches Foto für den Tauschring“, so Buchegger.

Die Geschichte hat auch eine strafrechtlich relevante Seite: Abbildungen der Geschlechtsorgane, geschlechtlicher Handlungen oder expliziter Haltungen von minderjährigen Personen gelten als Kinderpornografie, Herstellung und Besitz solcher Bilder sind nach § 207a StGB strafbar. Eine Ausnahme gibt es: Die Darstellung darf mit Einwilligung der gezeigten Person und zu deren eigenem Gebrauch hergestellt werden. Soll heißen: Ein 14-Jähriger darf erotische Fotos von sich selbst machen. Ohne seine Einwilligung darf das Foto aber niemand weiterverbreiten oder auch nur besitzen. Wer ein Nacktfoto einer minderjährigen Person geschickt bekommt, müsse es dem Gesetz nach sofort löschen, sagt Buchegger – freilich ein frommer Wunsch.

Astrid Winkler, Geschäftsführerin von ECPAT Österreich, der „Arbeitsgemeinschaft zum Schutz der Rechte der Kinder vor sexueller Ausbeutung“, kritisiert, dass nicht genau definiert sei, was alles unter Eigengebrauch fällt: „Darf ich es an die beste Freundin schicken? Darf ich es an meinen Intimpartner schicken?“ Wirklich geregelt sei dies nicht. Und so kam es schon dazu, dass eine Minderjährige, die erst ihren Expartner anzeigte, weil er die freiwillig und zum Eigengebrauch gemachten Fotos weiterverbreitet hatte, schließlich selbst angezeigt wurde – wegen Herstellung von Kinderpornografie.

ECPAT will solche Anzeigen vermeiden, die sexuelle Selbstbestimmung von Jugendlichen soll nicht strafbar sein. In einer Stellungnahme an jene Arbeitsgruppe, die im Justizministerium für die Generalüberholung des StGB zuständig ist, schlägt die Organisation daher vor, künftig zwischen primärem und sekundärem Sexting zu unterscheiden. Ein Jugendlicher, der erotische Aufnahmen von sich selbst macht und mit einzelnen Personen teilt, sollte nicht bestraft werden. Teilt er die Aufnahme mit seinen Facebook-Freunden, wünscht sich Winkler eine „Verwarnung im Sinne des Schutzes der Person. Das sollte als Verwaltungsdelikt behandelt werden“. Erst, wenn die Aufnahme von dritten Personen weiterverbreitet wird (sekundäres Texting), soll laut ihrem Vorschlag das Strafrecht zuschlagen.

Schadensbegrenzung. Ungeschehen macht eine Verurteilung ein Foto aber nicht. Was also tun, wenn die eigene Sexualität im Internet erst entmystifiziert wurde? „Nicht in die Ohnmachtsfalle stürzen“, rät Buchegger. Auf Saferinternet.at gibt die Organisation Tipps zur Schadensbegrenzung: Betroffene sollen aktiv nach den Aufnahmen suchen, die Person, die sie hochgeladen hat, konfrontieren und die Seitenbetreiber aufforden, sie zu entfernen. Auf sozialen Netzwerken wie Facebook hätte man da gute Erfolgschancen: „Bei Nacktaufnahmen ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Anbieter ein Foto rausnehmen. Die Rechtslage in den USA ist in dieser Hinsicht wie bei uns“, weiß Buchegger.

Dennoch kann eine Aufnahme immer wieder hochgeladen werden. Schulen sollen das Problem daher offen ansprechen. „Je offensiver eine Schule damit umgeht, desto besser bekommt man es in den Griff“, so Buchegger. Geht man dabei nicht das Risiko ein, dass auch noch der letzte Schüler vom Sexvideo der verzweifelten Fünftklässlerin erfährt? „Der letzte hat es schon erfahren.“

Glossar: Sexting, Rachepornos und Cybermobbing

Sexting, zusammengesetzt aus den Wörtern Sex und Texting (englisch für smsen), beschreibt das private Versenden von erotischen Texten, Fotos oder Videos per Smartphone – quasi multimediales Dirty Talk. Revenge Porn, (Racheporno) bezeichnet zunächst private Sexaufnahmen, die vom Expartner nach Ende der Beziehung aus Rache online gestellt werden. Es gibt eigene Portale, die es sich zum Geschäftsmodell gemacht haben, unerwünschte Aufnahmen gegen Geld wieder zu löschen. Cybersex ist seit den 1990er-Jahren ein Begriff und beschreibt unterschiedliche Formen der virtuellen Erotik, vom Austausch intimer Nachrichten in Chatrooms über Webcam-Sex bis hin zur sexuellen Stimulation mittels Datenhelmen und -handschuhen. Snapchat, eine App, bei der verschickte Bilder dem Empfänger nur für wenige Sekunden angezeigt werden, hat bereits 100 Millionen Nutzer. Im Äther verschwinden die Bilder aber nicht, man kann sie per Screenshot oder mithilfe anderer Apps speichern. Bei Jugendlichen in Österreich sei Snapchat daher kaum mehr in Verbreitung, sagt Barbara Buchegger von Saferinternet.at. Sextortion bezeichnet unter anderem eine Betrugsmasche, bei der Jugendliche von Chatpartnern zu Cybersex via Webcam eingeladen werden. Der Chatpartner (oder ein Video vom Band) ermuntert sie zu sexuellen Handlungen, die ohne das Wissen der Betroffenen aufgezeichnet werden. Mit den Videos werden die Opfer dann erpresst. In Österreich seien vor allem junge Burschen betroffen, sagt Buchegger. Man vermutet, dass kriminelle Organisationen hinter Sextortion stecken. Cybermobbing betrifft laut einer Umfrage von Rat auf Draht 26 Prozent der Jugendlichen. Man versteht darunter die Schikanierung in sozialen Netzwerken, das Veröffentlichen unangenehmer Fotos oder das Posten unter einem Fake-Profil im Namen des Betroffenen. Das Hauptproblem: Cybermobbing endet nicht mit dem Läuten der Schulglocke, die Inhalte verbreiten sich rasant, und die Täter sind oft anonym. Cybergrooming ist die Anbahnung sexueller Kontakte im Netz. Meist sind dabei die Versuche von Erwachsenen gemeint, unter der Verwendung von Nicknames sexuelle Kontakte zu Minderjährigen zu knüpfen. Das ist seit 2012 in Österreich verboten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2014)

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