Mode als Chefsache

Einen Wald ließ Karl Lagerfeld für Chanel im Grand Palais in Paris wachsen.
Einen Wald ließ Karl Lagerfeld für Chanel im Grand Palais in Paris wachsen.APA/AFP/PATRICK KOVARIK
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Bei der Semaine du prêt-à-porter erreichten die internationalen Modewochen in Paris ihren Schluss- und Gipfelpunkt. Und dies gar „sub auspiciis praesidentis“ bei den Macrons.

In Frankreich ist die Mode (wieder) im Zentrum der Macht angekommen: Vor Ende der Pariser Defilees lud das stilsichere „Couple présidentiel“, Emmanuel und Brigitte Macron, eine Schar von Granden der Branche in den Elysée-Palast und knüpfte so an die Gauche-Caviar-Gepflogenheiten von François Mitterrand an.

Macron pries bei der Gelegenheit Paris als dezidiert internationale Modemetropole; seine Gattin Brigitte, eine enge Freundin (sprich: gute Kundin) des Hauses Louis Vuitton, trug bei dem Dîner eine Abendjacke der Luxusmarke, entworfen von Nicolas Ghesquière für die Sommerkollektion.

Dass die Louis-XVI-Referenz des Designers ob dessen kopflosen Endes für Häme sorgen könnte, kam Madame Macron dabei nicht in den Sinn. Am letzten Tag der Semaine du prêt-à-porter zeigte Ghesquière seine Kollektion für den kommenden Herbst (wäre dies für eine Politikerinnengattin ziemlich, hätte man Madame Macron tags zuvor wohl mit einem Preview-Look ausgestattet): In einem Innenhof des Louvre ließ Ghesquière auf einer etwas deplatziert wirkenden Raumschiff-Kulisse seine halb historisierenden, halb futuristischen Entwürfe paradieren. Man mochte an eine Bruchlandung von Raumschiff Enterprise im Spätbarock denken.

Zu blendender schöpferischer Form läuft Karl Lagerfeld indessen als unangefochtener Doyen der Pariser Mode auf: War bereits seine in der Elbphilharmonie gezeigte Paris-Hamburg-Kollektion für Chanel ein echtes Highlight gewesen, überzeugte seine umfangreiche Herbstmode, in einem herbstlich feuchten Waldszenario im Grand Palais vorgeführt, umso mehr. Die kalte Jahreszeit ist ohnedies eine ausgezeichnete Saison für die Luxusmarke, die raffinierte Tweedkreationen als ihre große Stärke verstehen darf. Nach dreieinhalb Jahrzehnten als Kreativdirektor spielt Lagerfeld auf allen verfügbaren Registern virtuoser denn je.

Revolutionsmodus

Ein zumindest modehistorisch interessanter Vorstoß ist die Revitalisierung des Modehauses von Paul Poiret: Der Visionär der Pariser Mode Anfang des 20. Jahrhunderts und Verfechter der Reformmode schloss Ende der Zwanzigerjahre sein Maison. Nun wird es mit südkoreanischem Kapital und unter der kreativen Leitung von Yiqing Yin, die sich zuvor als Haute-Couturière einen Namen machte, wiederbelebt. Die Neuerfindung solcher „Sleeping Beauties“, wie man sie in der Branche nennt, ist eine interessante Initiative. Zugleich zeigen die vergleichbaren Fälle von Vionnet und Schiaparelli, wie schwierig es für historische Marken ist, im Jetzt wieder Fuß zu fassen.

Einen Verweis auf die – ungleich nähere – Vergangenheit leistete sich auch Maria Grazia Chiuri bei Christian Dior. Sie ließ sich von der revolutionären Energie der Studentenrevolten im Mai 1968 inspirieren: „Female Empowerment“ ist ihr ohnehin ein wichtiges Thema, und sie referenzierte das Youthquake der späten Sechzigerjahre ebenso wie die parallele Lancierung der (nicht mehr existierenden) „Miss Dior“-Zweitlinie unter Diors damaligem Kreativdirektor Marc Bohan, übrigens lange Professor an der Wiener „Angewandten“.

Die Kollektion mit einer – selbst für Chiuris Dior-Vorstellungen – untypischen Ästhetik kommt freilich zu einem Zeitpunkt in den Handel, da das Mai-1968-Jubiläum wieder Schnee von gestern sein wird. Es ist charakteristisch für die verzweifelte Suche der Mode nach dem richtigen Zeitpunkt für derlei Referenzierungen, dass nicht gewiss ist, ob eine Anfang März gezeigte Herbstkollektion unter Umständen für ein im Mai aktuelles Thema nicht doch etwas zu spät kommt.

Die engagierte Haltung von Chiuri bei Dior mochte diesmal noch mehr als sonst an die Verve ihrer Geistesverwandten, der Feministin (und einst Kommunistin!) Miuccia Prada, erinnern. Hatte diese in Mailand noch die Frau als selbstbestimmte und kämpferische Kreatur der Nacht zelebriert, schickte sie mit ihrer Zweitlinie Miu Miu eine deutlich leichtlebigere (man könnte sich fast versucht fühlen zu schreiben: „lässigere“) Kollektion, die ebenfalls einen Mai-68-Esprit erahnen lassen könnte, über den Laufsteg.

Abschied von Philo

Anderswo mussten sich in zitternder Vorahnung alles Kommenden die eingefleischten Fans des Modehauses Céline nach dem Abschied von Chefdesignerin Phoebe Philo und in Erwartung von Hedi Slimane mit einer vom Designteam verantworteten Übergangskollektion bescheiden. Dass Philo, die man nach ihrem Weggang etwa bei Burberry sehen hätte können (wo nun Riccardo Tisci als Kreativdirektor übernehmen wird), für ein anderes großes Pariser Maison als künftige Designerin aufgebaut werden könnte, hörte man hinter den Kulissen munkeln.

Übergangsweise könnten sich verlorene Adeptinnen der „Philomania“ – den Neologismus prägte die digitale Branchenplattform Business of Fashion – etwa bei Hermès gut aufgehoben fühlen: Nadège Vanhee-Cybulski entwirft für das Haus an der Rue Saint-Honoré geschmackssichere Kollektionen, die einer weltweit gültigen Vorstellung von gehobenem Pariser Chic entsprechen.

Spuren der Arbeit eines anderen Designers, der weiland für Hermès am Werk war, sind derzeit vielerorts zu finden: Eine Retrospektive, die das Musée Galliera derzeit Martin Margiela widmet, rufen Facetten seines einflussreichen Schaffens in Erinnerung. John Galliano, mit den Kollektionen der Marke Margiela betraut, muss, was paradox anmutet, derzeit Anschluss finden an einen engagierteren Erben Margielas. Demna Gvasalia knüpft an dessen Vorstellungen von Mode an, und zwar mit seiner eigenen Marke Vetements und als Kreativdirektor von Balenciaga. Das Überblenden von konstruierten Silhouetten und einer betonten Streetwear-Anmutung mag sich auf Margiela zurückführen lassen, ist aber in seiner aktuellen Ausprägung das Ergebnis der kreativen Vision von Gvasalia.

Wiener Veteranen

Die Gunst der Stunde, wenn man so will, nutzte in Paris wieder das Wiener Modegespann Wendy Jim: Helga Ruthner und Hermann Fankhauser starteten mit ihrem Label, damals noch „Wendy & Jim“, in den späten Neunzigerjahren durch. Sie galten als „die ersten Österreicher in Paris nach Helmut Lang“ und sind seit damals Mitglieder der einflussreichen Fédération française de la mode, was ihnen einen Startplatz auf dem offiziellen Schauenkalender sicherte – und eine Einladung zum Abendessen „chez Macron“. Die Herbstkollektion von Ruthner und Fankhauser wurde in Kellerräumlichkeiten des Palais de Tokyo gezeigt: In dieser kühlen Nachtclub-Atmosphäre fand die Präsentation eine natürlich anmutende Verortung.

Neonfarbene Outfits, die an Workwear oder Technoklamotten auf Raves erinnerten, oder ein Look mit prominentem Slogan-Print „Chaos Making a New Chaos“ entsprechen ganz dem hippen Zeitgeist in Paris. Dass Wendy Jim mit ihrer vor beinah zwanzig Jahren entwickelten Ästhetik durchaus als Vorläufer von Gvasalia gesehen werden können, ist eigentlich Nebensache. Was zählt, ist in der Mode – siehe auch den anders gelagerten Fall von Paul Poiret – einzig die Relevanz in der Gegenwart.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.03.2018)

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