Mode: Mit der Natur verbunden

Plakativ. Eine ­zen­trale Installation ­versammelt Mode mit Protestcharakter.
Plakativ. Eine ­zen­trale Installation ­versammelt Mode mit Protestcharakter.(c) Daniel Kalt
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Nicht erst die Protestbewegung ließ die Mode ihr Naturbewusstsein entdecken: Eine Ausstellung in London blickt weiter zurück in die Vergangenheit.

Eine Modeausstellung mit historisch angelegten Kapiteln, das ist alles andere als unüblich. Umso mehr verwundert es, dass das Thema Mode, Natur und Nachhaltigkeit noch nie anhand eines begleitenden Rückblicks in die Kostümgeschichte aufgearbeitet wurde. Die Ausstellung „Fashioned from Nature“ im Victoria and Albert Museum in London schließt diese Lücke und blickt zurück bis ins frühe 17. Jahrhundert.

Dass man diesen Zeitpunkt gewählt hat, hat in erster Linie mit der Museumssammlung zu tun. Ohnehin sind es aber das 18. und 19. Jahrhundert, die im präindustriellen Abschnitt den ressourcenintensivsten Zeitraum darstellen: Die Bevölkerung wuchs, ihre Ansprüche in puncto Kleidungsgewohnheiten ebenfalls, und die Mode begann, ohne große Bedenken die Natur zu strapazieren. Ja, man hat beim Betrachten der Exponate aus dieser Ära fast den Eindruck, der Mensch habe sich in der Natur ohne jeden Vorbehalt bedient und sie sich zum Zweck des eigenen Aufputzes untertan gemacht.

Materialmix. Upcycling bei Ferragamo: Textilien aus Orangenschalen.
Materialmix. Upcycling bei Ferragamo: Textilien aus Orangenschalen. (c) Ferragamo

Ein weiter Bogen. Geradezu skurril muten Hüte, Fächer oder Ohrringe an, die als dekorative Elemente (ganze!) ausgestopfte Vögel oder Vogelköpfe beinhalten. Nicht minder bizarr sind freilich die bis weit ins 20. Jahrhundert gebräuchlichen Pelzstolen, bei denen Damen von Welt einfach ein Fuchs oder sonst ein flauschiges Tier um den Hals baumelte: Diese Art von leblosen Begleitern ist heute glücklicherweise nicht mehr salonfähig.

Der weite thematische und historische Bogen, den die Ausstellung spannt, ist ehrgeizig: Eben dies führt mitunter dazu, dass der Besucher dem roten Faden durch das, wie Museumsdirektor Tristram Hunt sagt, „bittersüße Verhältnis zwischen Natur und Mode“ nicht mehr vollumfänglich folgen kann. Abschnitte, die sich der Baumwolle verarbeitenden Industrie aus historischer Perspektive nähern (Baumwolle kommt wegen ihrer Menschenleben fordernden Geschichte und ihres wasserintensiven Anbaus nicht besonders gut weg; den europäischen Leinenverband, Sponsor der Ausstellung, dürfte dies freuen) oder die das riesige Thema der von Naturmotiven inspirierten Mode nur oberflächlich anreißen können, erweisen sich als weniger ansprechend. Wer kein Vorwissen mitbringt, könnte sich überfordert fühlen – oder enttäuscht angesichts eines nicht vertieften und doch spannenden Gebiets.

In seiner Gesamtheit ist das Themenpanorama der Ausstellung aber löblich: „Unser Ziel war es, andere Disziplinen der Wissensproduktion mit einzubinden. Darum haben wir eng mit benachbarten Museen wie jenem für Naturgeschichte zusammengearbeitet. Wir wollten in die Tiefe gehen und auch kritische Seiten aufzeigen, nicht nur das Schöne“, fasst Sonnet Stanfill, Chefkuratorin für zeitgenössische Mode, die Hintergründe zusammen.

Pionierin. Aus Überzeugung macht Stella McCartney nur vegane Mode.
Pionierin. Aus Überzeugung macht Stella McCartney nur vegane Mode.(c) McCartney

Wie sehr bereits die Verarbeitung von Fischbein aus Walknochen oder Biberfell die Natur beanspruchten, ist interessant zu sehen. Andererseits experimentierte man schon überraschend früh mit neuen Materialien: Schillernde Panzer von Käfern dienten als exotische Schmuckelemente auf Kleidern, und auch nach Alternativen zu tierischem Elfenbein suchte man schon im 19. Jahrhundert: Als rosa schimmernder Ersatz kam der polierte Samen einer Zwergpalme zum Einsatz.

Ebenso experimentierte man schon damals mit zu Stoff verwobenen Ananasfasern, die sich heute im Kontext einer veganen Mode wieder wachsenden Zuspruchs erfreuen. „Auch die Tierrechtsbewegung und erste Proteste gegen das Verwenden von Pelz oder Vogelfedern, die manche Populationen deutlich gefährdeten, gehen auf diese Zeit zurück“, unterstreicht Stanfill und fügt hinzu: „Mit recycelten Kunststoffen begannen manche Designer wiederum bereits in der Protestbewegung der 1970er-Jahre zu spielen: Es lohnt sich also immer, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen.“

Pilzfasern. Wegen ihrer aktuellen Relevanz sind es aber wohl die versammelten Positionen aus dem zeitgenössischen Modeschaffen, die am meisten faszinieren. Zuvor kommt noch das 20. Jahrhundert in einem Schaukasten, der von toxischen Kunststoffen bis hin zu unverwüstlichen Nylonstrümpfen einige unrühmliche Innovationen umfasst, nicht gut weg.

Und auch jene Exponate, die zeigen sollen, wie sich Designer in der jüngeren Vergangenheit von der Natur auf bloß gestalterischer Ebene inspirieren ließen, machen sich im Zusammenhang einer weitgehend um die Substanz bemühten Schau als störend aus – so apart ein Blumenhut von Philip Treacy oder die bizarren Vogelkrallen-Schuhe des jungen Japaners Masaya Kushino auch sein mögen.

Denn es sind hauptsächlich die Materialinnovationen der vergangenen Jahre, die überraschen. Nach eher plakativen Protesten – Vivienne Westwood als unermüdliche Bannerträgerin und paradoxerweise als Modeunternehmerin von Modekonsum abratend, oder natürlich Katharine Hamnett als nimmermüde Sloganspezialistin – ist nun die Zeit der wissenschaftlich fundierten Suche nach alternativen Lösungen gekommen.

Dass Stella McCartney etwa aus Pilzfasern gewonnenes Leder verarbeitet, ist ebenso bemerkenswert wie in Italien aus Fruchtresten erzeugter Lederersatz oder die Initiative von Salvatore Ferragamo, Stoffe aus Orangenschalen zu erzeugen. Die vom Fashion-Tech-Unternehmen Bolt Threads aus Hefe, Zucker, Wasser und Salz gefertigte Kunstfaser, deren Struktur an jene von Spinnenseide angelehnt ist, lässt überhaupt Scifi-Herzen höherschlagen. Auch die Versuche der Niederländerin Diana Scherer, aus den Wurzeln von Haferpflanzen in der Erde Gewebe mit der Anmutung von 3-D-Drucken zu schaffen, verblüffen als faszinierende Vorstöße.

Initiativen wie das Green-Carpet-Projekt wiederum, bei dem namhafte Designer für die Red-Carpet-Auftritte von Berühmtheiten ökosensible Kreationen entwerfen, machen sich als eher publicityträchtig denn wahrhaft innovativ aus. Auch sie sind aber wichtig und notwendig, um da­rauf hinzuweisen, dass die gigantische Textilindustrie ihren Beitrag zum Umweltschutz leisten muss. Denn Sonnet Stanfill ist in Folgendem beizupflichten: „Erst, wenn sich unsere Konsumgewohnheiten radikal verändern, wird es auch in der Modeindustrie zu entscheidenden Entwicklungen kommen können. Deshalb hoffen wir, mit der Ausstellung besonders viele junge Besucher zu erreichen.“ Und selbst wenn „Fashioned from Nature“ manche Aspekte des Nachhaltigkeitsgedankens etwas beliebig aufgreift, ist es doch gerade das auch der Ausstellung hoch anzurechnende Bemühen um eine bessere Welt, die der Modebranche heute mehr denn je ihre Seele verleiht.

Der Autor reiste auf Einladung des Musums nach London.

Tipp

„Fashioned from Nature“. Die Ausstellung ist bis Jänner 2019 im Victoria and Albert Museum zu sehen, www.vam.ac.uk

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