Paninis: Jetzt übernimmt Papa!

Auch in der wöchentlichen Tauschbörse in der Westside Soccer Arena in Wien helfen Eltern ihren Kindern, an die richtigen Pickerln zu kommen.
Auch in der wöchentlichen Tauschbörse in der Westside Soccer Arena in Wien helfen Eltern ihren Kindern, an die richtigen Pickerln zu kommen. (c) Stanislav Jenis
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Sie sind keine Kinder mehr, aber hier dürfen sie es wieder sein: In Büros versuchen Eltern derzeit verzweifelt, die letzten fehlenden Fußballpickerln aufzutreiben. Eine Beobachtung.

Seltsame Dinge passieren dieser Tage in manchen Büros in Österreich. Da sitzen die Kollegen schon in der Früh wie Schulkinder über eine ausgedruckte Excel-Liste gebeugt und streichen ganz aufgeregt Nummern durch. Vor ihnen liegen auf dem Tisch ein Stapel Pickerln mit Fußballern drauf. „148, 219, 270 hab ich schon“, werfen sie sich konzentriert Informationen zu. Der Ton ist rau und präzise – in den Gängen, vor den Schreibtischen. Ohne zu zögern unterbricht da der eine Kollege die Besprechung des anderen, knallt ihm wortlos eine Schachtel auf den Tisch und sagt: „Gib deine her.“ Der schaut ihn entrüstet an. „Sicher nicht. Die sind sortiert!“ Es ist ihm ernst. Abzug Kollege zwei. Er wird später wiederkommen. Fix.

Was machen die da? Nun ja. Pickerln tauschen, wie man in der Volksschule sagt. Der Anlass? Die Fußball-Weltmeisterschaft. Der Grund? Bis zum Start am 14. Juni sollte das Panini-Album fertiggeklebt sein. 682 Sticker mit den Köpfen von Griezmann, Ronaldo, Messi, Neymar müssen dafür gekauft und gesammelt werden.

Die meisten Kinder, die das ernst nehmen, haben schon gute Vorarbeit geleistet und selbst alle bis auf ein paar wenige Pickerln zusammengetauscht. Sofern sie alt genug sind. „Aber zum Schluss muss man den Kreis erweitern“, erklärt eine Mutter.

Im Endspurt übernehmen also die Eltern. Und die tun das derzeit mit sportlicher Leidenschaft – und Zug zum Tor. Da werden berufliche Kontakte genutzt oder aber auch Kollegen, mit denen man eigentlich nie zu tun hat, per E-Mail angeschrieben. Betreff: „Heeeelppp!“, „Panini!!“ oder „Großes berufliches Problem!!!“ Je mehr Rufzeichen desto länger die Liste der fehlenden Pickerln. Danach folgen fast wortlos Zahlenreihen: 432, 455, 592, 652, 673 etc. Mehr braucht man nicht sagen, verstehen einander alle sowieso.

Österreich und die Panini-Pickerln – das ist Liebe. In kaum einem Land wird so viel gesammelt wie hier. Am Flughafen in Barcelona muss man die Sticker suchen. Hier stehen die Boxen in Trafiken ganz vorn an der Kassa.

Dabei ist der Spaß ein teurer. Zwischen 120 und 150 Euro schätzen Eltern zahlen sie mindestens für ein vollgeklebtes Album, in dem dann die 32 Nationalmannschaften zu finden sind. Spanien, Portugal, Brasilien, nur nicht Österreich. Das ist ja heuer (wieder einmal) nicht dabei. Würde man nicht tauschen, sondern alle Sticker kaufen, müsste man 869,76 Euro ausgeben. Das hat Paul Harper, Professor für Mathematik an der Universität Cardiff unlängst berechnet. Besonders beliebt sind die Glitzerpickerl, also jene Sticker, die am Anfang jeder Mannschaftsseite das Wappen abbilden. Sie sind auch am wertvollsten, wenn getauscht wird.

Es geht ums Geschäft. Und um Geld geht es hier. Kostete ein Packerl 2014 noch 60 Cent, sind es jetzt schon 90 (!). Also um 50 Prozent mehr. In einem Packerl sind gerade einmal fünf Pickerln. Wer größere Spezialpackungen kauft, bekommt sie etwas billiger. Die größte Einheit ist eine Box mit 100 Pickerln, „Ziegel“ heißt sie im Fachjargon. „Dass die auf Amazon um 30 Euro billiger ist als im Panini-Online-Store, ist eigentlich eine Frechheit“, sagt ein Vater.

Alles, was dann kommt, ist eine Glaubensfrage oder eher eine der Strategie. „Man braucht zwei Boxen mit je 100 Stück, um das Album vollzukriegen“, erklärt ein pragmatischer Vater. Mit den übrigen Stickern tauscht man sich die fehlenden zusammen. Alles andere, meint er, wäre Geldverschwendung, weil man beim Kaufen sowieso nie die bekommt, die man braucht.

Freilich gibt es auch die Möglichkeit, direkt bei Panini zu bestellen. Aber das, lassen einen die sammelnden Eltern unisono wissen, käme einem Verrat gleich. Damit wäre der Wettkampfgeist verraten. Und der wird bitte hochgehalten. „Auf den Kollegen X. musst du aufpassen. Der hat sich schon einmal fünf aus meinen ausgesucht und mir dafür nur welche angeboten, die ich schon hatte“, wird da den eigentlich sonst lieben Kollegen vorgeworfen.

Nach mindestens einem Jahr kennt man die Dealer im Büro, weiß, wer 1:1 tauscht, wer bereit ist, zwei Pickerl gegen eines herzugeben – und wer dafür sogar Geld nimmt. „Das war früher total verpönt, ist aber mittlerweile gang und gäbe“, erzählt ein erfahrener Vater.

„Es ist alles professioneller geworden“, sagt Stefan Kreuzer, Geschäftsführer der Westside Soccer Arena im 14. Bezirk, wo zwei Mal die Woche derzeit eine Panini-Sticker-Tauschbörse stattfindet (siehe Infokasten). Auch bei ihm stehen jede Woche Erwachsene mit unzähligen Pickerln bereit, die sie verkaufen, statt tauschen wollen. Dass die Eltern live dabei sind, sei aber nicht ganz neu. „Die haben ja als Kinder oft selbst gesammelt und haben jetzt eine Ausrede, es wieder zu tun“, sagt er.

Am Pickerl-Abkaufen scheiden sich jedenfalls die Geister. „Das Kaufen ist verboten. Ich habe noch nie für ein einziges Pickerl gezahlt“, rühmt sich ein Vater, der selbst seit den 1980er-Jahren sammelt. Dass ihm im eigenen ersten Album der spanische Tormann fehlt, schmerzt ihn übrigens bis heute.

Auch die Coca-Cola-Pickerl, die auf der letzten Seite einige Fußball-Legenden abbilden, werden von vielen als Abzocke empfunden, weil man die nur bekommt, wenn man Coca-Cola kauft. Eltern mit mehr als einem Sammelkind setzen nicht nur aus Kosten-, sondern auch aus emotionalen Gründen (wer bekommt welches langgesuchte Pickerl?) oft auf ein gemeinsames Album. „Dabei kann man bei zweien sehr lang untereinander tauschen“, wirft ein Vater ein. Warum er beim Tauschen hilft? „Es ist schon schön, wenn man für die Kinder was lang Gesuchtes findet.“ Nicht alle sehen das gleich: „Ich will damit gar nichts zu tun haben“, brummelt ein Vater, während er sich dennoch durch den unsortierten Pickerlhaufen eines Kollegen wühlt. Nachsatz: „Von mir hat sie das nicht.“ Warum er trotzdem für die Tochter sammelt, kann er nicht sagen. Es muss wohl mit Elternliebe zu tun haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2018)

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