Vom Verzicht zum Konsum

In der Nachkriegszeit leistete man sich nach und nach neue Errungenschaften der Technik, vom Kühlschrank bis zum modernen Herd.
In der Nachkriegszeit leistete man sich nach und nach neue Errungenschaften der Technik, vom Kühlschrank bis zum modernen Herd. (c) Getty Images (Tom Kelley Archive)
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Kaffee und Zucker waren Luxusgüter, Kleidung wurde aufgetrennt und wieder verwendet. In einem neuen Buch erzählen Österreicher Konsumgeschichten aus beinahe hundert Jahren.

„Meine um fünf Jahre jüngere Schwester glaubte noch an das Christkind. Aus diesem Grunde bat ich meine Mutter schon lang vor dem Fest, sie möge mir das Zuckerstück für meinen Frühstückskaffee zum Häferl legen. Davon brach ich die Hälfte ab und sparte die andere für den Christbaumbehang, so dass ich nebst getrockneten Zwetschken vom Nachbarn etwas in Papier gewickeltes Naschwerk an den Christbaum hängen konnte.“

Es war eine Zeit, in der Zucker ein Luxusprodukt war. Judith Schachenhofer erinnert daran in einem Text, den sie aus den Erinnerungen ihres Vaters – Jahrgang 1907 – geschrieben hat. Sie ist eine von 63 Österreichern, die für einen Sammelband ihre ganz persönlichen Konsumgeschichten aufgeschrieben haben. Der Konsum ist es nämlich, der den Alltag und auch die Identität der Menschen maßgeblich prägt. „Konsummarken sind Vehikel der Vergangenheit, machen das Gedächtnis auf“, sagt die Zeithistorikerin Helene Belndorfer, die die Erzählungen über Konsum und Verzicht der Menschen aus verschiedenen Generationen für den Band zusammengefasst und eingeordnet hat. Zucker, so wie er in der eingangs erwähnten Weihnachtsgeschichte vorkam, spielt dabei eine wichtige Rolle. „Dieser war früher ein echtes Luxusprodukt“, sagt Belndorfer. Wenn eine Anschaffung anstand, war der Sonntagskaffee dann eben eine Zeit lang nicht süß.

Wobei auch der Kaffee längst nicht alltäglich war. „Den Meinl-Bohnenkaffee“, schreibt Ilse Wolfbeisser, Jahrgang 1929, „leistete sich die Familie nur am Sonntag.“ Lang beherrschten Ersatzmittel den Kaffeemarkt – vom Zichorienkaffee, der das unterste Preissegment abdeckte, bis zum Malz- oder Feigenkaffee. Es waren Marken wie „Kathreiner“ oder „Imperial“, die damals auch Werbung machten – die alten Emailschilder werden mittlerweile um viel Geld gehandelt. Erst das „Wirtschaftswunder“ in den 1950er-Jahren beendete den Höhenflug der Ersatzkaffees und machte den Weg für den Bohnenkaffee frei.

Sparen war lang das Schlagwort, das über dem Konsum der Menschen schwebte. Aus der Zwischenkriegs-, der Kriegs- und der Nachkriegszeit berichtet etwa die Tirolerin Hanni Steixner, Jahrgang 1926. Zwar sei die Familie, die eine mittlere Landwirtschaft betrieb, nie ganz arm gewesen, doch für Steixner und ihre acht Geschwister gehörte eisernes Sparen dazu. „Es musste eben alles das ganze Jahr reichen.“ Zu den Ritualen des Sparens gehörte auch, dass das selbst gemachte Brot nie gleich gegessen wurde. Das frische Brot war viel zu verlockend – es musste altern, damit man nicht zu viel davon isst. „Ofenwarm und mühlwarm macht den Bauern arm“, erinnert sich Steixner, hat ihre Mutter immer gesagt.


Lebensgefühl Sparen. Was für Lebensmittel galt, galt für Kleidung sowieso. Da wurde alles, was ging, mehrfach verwendet. So berichtet Steixner, dass ihre Mutter Herrenhemden selbst nähte – und Reste vom Stoff aufbehielt, um damit flicken zu können, wenn ein Hemd kaputt wurde. So mancher kaputte Janker wurde aufgetrennt, die Wolle gewaschen und dann für neue Kleidungsstücke wieder verwendet. Das Lebensgefühl schlug sich auch in so manchem Sinnspruch nieder. „Sparen muss man mit dem Zündholz anfangen“ etwa, wie Steixners Vater sagte. Sehr verbreitet, das ist auch der Titel des Sammelbands, war der Spruch „Wegwerfen ist eine Sünde“.

Sparsamkeit musste aber nicht unbedingt nur Verzicht bedeuten. Denn so manches schmackhafte Essen entstand gerade deswegen, weil es billig war – so kauften etwa die Hausfrauen billigen Bauchfilz und ließen daraus Schmalz aus. Das kam dann unter anderem bei Mehlspeisen zum Einsatz, die dann auch immer wieder als Hauptgericht auf den Tisch kamen. „Skubanki, Powidltascherln, alle Arten von Strudeln“, erinnert sich Gertrud Jagob, Jahrgang 1930, an die Mehlspeisen ihrer Großmutter, die zu ihren Lieblingsspeisen gehörten.

Die Jahre des Aufschwungs nach dem Krieg veränderten die Konsumgewohnheiten. Nach und nach wurden Lebensmittel erschwinglicher. Zum neuen Luxus wurde unter anderem die Technik – ein Luxus aber, den man sich zunehmend leistete. „Es gab dann“, erzählt Belndorfer, „einen richtigen Plan, was man als Nächstes braucht, zum Beispiel einen Kühlschrank.“ Und kaum hatte man sich den einen Luxus geleistet, plante man schon die Anschaffung des nächsten. Nicht abrupt, sondern nach und nach. „Man hat den Wohlstand auf Raten erworben.“

Ob Kaffee aus Zichorien oder Hemden flicken – manche Konsumgewohnheiten sind heute kaum mehr vorstellbar. Oder aber sie sind wiedergekommen, nur unter anderen Vorzeichen. In Krisenzeiten etwa war die Eigenversorgung mit Nahrung elementar – der Schrebergarten half, das Überleben zu sichern. Heute zählt das Züchten von eigenem Gemüse im Garten eher zum Bereich Lifestyle. Das Konservieren in Rexgläsern machte Lebensmittel für mehrere Monate haltbar – auch sie wurden nun als bürgerliches Accessoire wiederbelebt.

Der Mangel als Begleiter zu Weihnachten hat als Massenphänomen in Österreich weitgehend ausgedient. Längst ist der einst religiöse Anlass zu einem Hochamt des Konsums geworden. So mancher Autor beklagt auch, dass die Packerln unter dem Baum dominierten und die Magie des Fests zurückgegangen sei. Aber, schreibt Ilse Wolfbeisser, sie habe sich mittlerweile daran gewöhnt, dass Weihnachten bei der nachfolgenden Generation eben anders abläuft. Und: „Hauptsache, die Familie ist beisammen und feiert.“

BUCHTIPP

„Wegwerfen ist eine Sünde“.

Von Helene Belndorfer. Böhlau-Verlag, 29 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.12.2018)

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