Jonathan Safran Foer: Böses Fleisch

Vegetarier sind besseren Menschen
Vegetarier sind besseren Menschen(c) AP (BEBETO MATTHEWS)
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Spätestens seit sich das deutsche Feuilleton mit Genuss auf Jonathan Safran Foers "Tiere essen" stürzt, ist klar: Vegetarier sind die besseren Menschen. Bloß: Wie lange?

Der durchschnittliche Mitteleuropäer mit normalem Appetit und standardisiertem Geschmacksempfinden fräst eine Blutspur durch sein Leben, von deren Ausmaß er wahrscheinlich keine Ahnung hat. Insgesamt 1094 Lebewesen hat ein allesfressender Mitteleuropäer laut statistischen Berechnungen bis zu seinem Tod zur Strecke gebracht, filetiert und in meist bekömmlichen Portionen verspeist, und wenn man etwas genauer hinschaut, dann waren es konkret: Vier Rinder und 46 Schweine, vier Schafe, 46 Truthähne, zwölf Gänse, 37 Enten und unglaubliche 945 Hühner.

Zugegeben – diese Berechnung mag ein eher absurd anmutendes Zahlenspiel aus der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“ sein. Sie ist aber auch eine gute Vorbereitung auf das, was uns in den kommenden Wochen und Monaten vielleicht begleiten wird – und wenn schon nicht als nächster großer Lifestyle-Hype, zumindest als Thema, als Fragestellung, konsequenterweise bei Abendessen in mittelgroßer Gesellschaft: Darf der Mensch für seinen Genuss töten lassen – und wenn ja, wie? Sind wir Tieren wirklich so überlegen oder von ihnen doch nur ein paar minimale genetische Abweichungen entfernt? Ist Vegetarismus vielleicht nicht nur die gesündere, sondern auch die moralisch vertretbarere Lebensform?

Auslöser der Diskussion ist „Eating Animals“, ein Buch des US-Autors Jonathan Safran Foer, der die Praktiken der Tierindustrie beschreibt. In Zuchtstationen und in Schlachthöfen hat Foer recherchiert, wie Tiere und ihre Haltung für eine industrialisierte Nahrungsmittelwirtschaft optimiert werden – und für sich festgestellt, dass er kein Fleisch mehr essen wird.


Einfach nur erzählen. All das ist nicht neu, Berichte und Dokumentationen über Massenhaltung, Tierquälerei und Schlachthöfe, die funktionieren wie die Fließbänder eines Autobauers, gibt es zur Genüge. Foers Buch ist dennoch etwas Besonderes: Denn Foer klagt nicht an, er arbeitet nicht mit dem Holzhammer und geriert sich nicht als Missionar, sondern er schreibt einfach auf,was er gesehen hat. Das reicht.

Als das Buch vor einem Jahr in den USA erschien, löste es eine neue Welle des Vegetarismus aus, und zwar nicht nur bei Hollywood-Stars wie Natalie Portman, sondern vor allem auch in der urbanen gebildeteren Mittelschicht. In der Vorwoche erschien das Buch nun mit dem Titel „Tiere essen“ auf Deutsch, und das deutschsprachige Feuilleton reagierte wie zuvor das amerikanische: Von der „NZZ“ bis zur „Taz“, von der „FAZ“ bis zur „Zeit“ – die Literaturkritiker waren begeistert, auch im „Spectrum“ wurde der Text gestern als „virtuoses Sachbuch“ gefeiert.

Zweifellos hat das Thema etwas, es ist wie geschaffen für den nächsten Hype nach Slowfood und Loha-Bewegung, selbst dann, wenn die richtigen ethischen und moralisch-philosophischen Fragen, die rund um das Buch auftauchen, vielleicht für die meisten Abendessensgesellschaften nicht leicht fassbar sind, auch nicht zwischen Vor- und Hauptspeise abgehandelt werden können.

Da ist zunächst einmal der Autor selbst: Jonathan Safran Foer, 33 Jahre alt und seit seinem literarischen Erstling „Alles ist erleuchtet“, sehr sehr erfolgreich und verheiratet mit der sehr erfolgreichen Schriftstellerin Nicole Krauss. Das laut FAZ „Glamourpaar der US-Literatur“ hat zwei Kinder und lebt in Brooklyn – wenn man so will, geht Jonathan Safran Foer also problemlos als Role Model für jene über 30-Jährigen durch, die im gesellschaftspolitischen Diskurs gerne als „Bobos“ bezeichnet werden.

Dann ist da der ökologische Aspekt. Die Massentierhaltung schadet der Umwelt, sie ist mitverantwortlich für den Klimawandel, denn Massentierhaltung produziert laut Wissenschaft direkt und indirekt bis zu 20 Prozent der CO2-Emissionen. Dazu kommen der extrem hohe Wasserverbrauch, Brandrodungen für Weideflächen und den Anbau von Futtermitteln und vieles mehr. Laut Foer würde es der Umwelt Abgase von fünf Millionen Lastwägen ersparen, wenn allein die Amerikaner auf eine Fleischmahlzeit in der Woche verzichten würden.

Dann kommen auch noch die Gesundheit und der eigene Körper ins Spiel: Laut neuesten Erkenntnissen der Ernährungswissenschaft muss Fleisch nicht mehr sein, notwendige Proteine können dem Körper auch anders zugeführt werden, und ohne Stelze und Surbraten verringern sich das Risiko eines Herzinfarkts und die Gefahr, an Osteoporose, Gicht oder Rheuma zu erkranken, erheblich. Außerdem erspart es die Kosten fürs Fitnessstudio.

Tatsächlich hat sich die gesellschaftliche Wahrnehmung von Vegetarismus ohnehin bereits deutlich verändert. 2007 waren laut Statistik Austria 1,4 Prozent der Männer und 3,9 Prozent der Frauen in Österreich Vegetarier, die Zahlen gehen aber deutlich nach oben. 2010 kann man gesellschaftlichen Status auch nicht mehr daran festmachen, wer das größte Stück Fleisch auf seinem Teller hat. Vegetarier sind heute keine Sonderlinge mehr wie noch vor wenigen Jahrzehnten, und vegetarische Restaurants sind in Wien keine spleenigen Kaschemmen für Grünwähler mit Birkenstock-Schlappen. Im Gegenteil: Vegetarier sind in der öffentlichen Wahrnehmung die verantwortungsbewussteren, umweltfreundlicheren Menschen. Es wird auch in Wien allmählich chic, Vegetarier zu sein. Spätestens, wenn Jonathan Safran Foers Buch in den Buchhandlungen aus der Gesundheitsecke zu den Bestsellerstapeln wandert, wird es wohl noch schicker.

Zumindest für einige Monate. Bis den meisten Hype-Vegetariern der Geschmack von Pilzen, Gemüse und Hirsebällchen zu eintönig wird. Und sie sich nach einem Steak sehnen. Aber dann hat die Frankfurter Buchmesse schon ausreichend neuen Gesprächsstoff auf den Markt geworfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2010)

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