Rettet den D-Wagen!

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Man weiß, wer im J sitzt und wer im 5er und kann Wetten abschließen, wer wo aussteigt.

Die Wiener Linien haben das sehr klug gemacht. Erst einmal die Fußball-EM abgewartet, während der die Straßenbahnlinien 1, 2, D und J ihre gewohnten Routen teils verlassen mussten und jetzt, wo keiner richtig aufpasst, die Bombe gezündet. Die Ring-Bims fahren ab Herbst nicht mehr rund um den Ring, der J wird abgeschafft, der D-Wagen ab 2009 nicht mehr so heißen, und mit dem 71er können Sie nicht mehr zum Zentralfriedhof fahren. Genau genommen können Sie mit dem 71er überhaupt nirgends mehr hinfahren. Weil er dann „Linie 4“ heißt. Wenn Sie sich auch bei dieser Nachricht niedersetzen mussten, dann sind Sie entweder Wiener oder gehören zu den Zuagrasten, die manche Wiener Eigenheit zu lieben gelernt haben. Etwa, dass die Straßenbahn zwar wahlweise die Bim sein kann, aber ihre Namen immer männlich sind: „Der 5er, der J“. Und dass nur der D-Wagen „D-Wagen“ heißen darf. Wien-Anfänger, die irren („Wo fährt denn hier die 43?“), werden so erstaunt auf ihren Fehler hingewiesen („Meinen Sie DEN 43er?“), dass sie ihn nicht noch einmal begehen. Wer gerne und viel Straßenbahn fährt (das schließt sich manchmal aus), lernt rasch, dass die Gleise die wahren Blutgefäße dieser Stadt sind. Auch wenn Autofahrer dies nicht gern hören. Man weiß, wer im J sitzt und wer im 5er und kann Wetten abschließen, wer wo aussteigt. Und wer ein Schwarzkappler ist.

Wenn schon die neue Linienführung angeblich unheimlich effizient sein wird, so möge doch bitte wenigstens der D-Wagen gerettet werden. Wer will schon ab 2009 mit der „Linie 3“ nach Nußdorf schaukeln? Wie, das macht keinen Unterschied? Seit 1907 hat der D-Wagen die Stadt geprägt. Ihm den Namen zu nehmen, ist nicht effizient, sondern einfach nur traurig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2008)

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