Kann das Christkind überhaupt lesen?

Barbara Otto das N�rnberger Christkind 2015 auf den N�rnberger Christkindlesmarkt in der Altstadt
Barbara Otto das N�rnberger Christkind 2015 auf den N�rnberger Christkindlesmarkt in der Altstadt(c) imago/Future Image (imago stock&people)
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Das Christkind hat endlich den Brief vom Kind vom Balkon abgeholt.

Das Christkind hat endlich den Brief vom Kind vom Balkon abgeholt. Und das, obwohl wir unsere hysterisch blinkende Lichterkettengirlande als unübersehbare Orientierungshilfe in diesem Jahr wegen Unauffindbarkeit nicht am Geländer montieren konnten. (Die Nachbarn ringsum werden es uns danken.)

Hinten auf den Brief hat das Kind einen Christbaum gemalt. Aus altem Geschenkpapier hat es kleine Packerln ausgeschnitten, vor den Baum geklebt und darauf geachtet, dass die Pakete von den Maßen her jene Dinge darstellen könnten, die es auf die Wunschliste geschrieben hat. Weil die Liste innen sehr lang ist, ist auch die Zahl der aufgeklebten Packerln außen sehr groß, weswegen man den Christbaum gerade noch erahnen kann, da hinter dem Geschenkeberg nur noch seine Spitze hervorragt. Bevor es den Brief auf dem Balkon platziert, wird das Kind plötzlich von einer kleinen Panik gepackt: „Kann das Christkind denn überhaupt lesen?“

Irgendwie wird man da als Erwachsener sentimental, denn vielleicht ist dies das letzte Weihnachtsfest, an dem das Kind noch richtig an das Christkind glaubt. Die Kinder glauben lang daran, weil sie sich das bewahren wollen, sagen die einen. Die Kinder tun oft jahrelang so, als glaubten sie noch daran, um den Eltern einen Freude zu machen, sagen die anderen. Dass es an der Christkind-Story Zweifel gibt, hat das Kind jedenfalls mitbekommen. In manchen Ländern und bei der Kinderbuchheldin Connie kommt der Weihnachtsmann. Bei den „Lieben Sieben“ streiten die sieben tierischen Protagonisten, ob das Christkind die Geschenke bringt, der Weihnachtsmann oder gar beide? (Diese gretchenartige Frage wird aber bewusst offengelassen.) Dazu kommt, dass die Kinder im Kindergarten heimlich Geschenke für die Eltern gebastelt haben. Also so heimlich, wie das mit Drei- bis Sechsjährigen eben geht. „Ich verrate nicht, was es ist“, sagt das Kind verschwörerisch. „Aber ihr könnt es dann anzünden.“ In diesem Sinne: Ein schönes, überraschendes Weihnachtsfest!

E-Mails an: mirjam.marits@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2015)

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