Kirschblütenmassaker in Washington

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Nichts wird es heuer aus der strahlend weißen Pracht, mit der die Blüten Tausender japanischer Zierkirschen Amerikas Hauptstadt schmücken.

Ein später Frosteinbruch, aus dem neuenglischen Nordosten herangestürmt, habe mindestens die Hälfte der zarten Knospen zerstört, musste das National Park Service vor ein paar Tagen vermelden. Die unzeitgemäße Revanche des Winters, der Washington heuer großteils ignoriert hatte, sorgte einmal mehr dafür, dass die Beamten der Bundesbehörden Sonderurlaub nehmen oder von zu Hause aus arbeiten durften, während zahlreiche Schulen in der Stadt sowie in den angrenzenden Teilstaaten Maryland und Virginia teils drei Stunden später als gewöhnlich mit dem Unterricht begannen.

Diese schneebedingten Auswirkungen auf Unterricht und Amtsdienst irritieren mich jeden Winter aufs Neue. Als österreichisches Voralpenkind, das täglich 15 Kilometer bergauf durch brusttiefen Schnee in die Schule marschieren musste (auch im Sommer, auch auf dem Rückweg), kann ich dieser Überforderung mit den Elementen wenig Verständnis entgegenbringen. Zumal es ja nicht so ist, dass man hier kollektiv kälteempfindlich wäre. Während Eisschollen die ungeräumten Gehsteige zum Alptraum jedes Haushaltsversicherungsmaklers machten, sah ich junge Damen in Ballerinas dahineilen und junge Herren in kurzen Hosen dem Frühsport nachgehen (beziehungsweise -laufen).

Der Kälteeinbruch ist nun vorüber, die Hörnchen balgen sich bereits wieder um sorgsam vergrabene Nüsschen, und in den Schanigärten der Bars und Restaurants drängt man sich an den Tischen („Patio“ nennt man das hier und spielt damit auf eine mediterrane Grandezza an, die Washington bei all seinen sonstigen Reizen ganz gewiss nicht hat). Der Präsident verbrachte, ungeachtet des Frühlingsbeginns, auch das vergangene Wochenende in seinem Nobelklub Mar-a-Lago. Den nennt er übrigens gerne „The Southern White House“. Googlen Sie beizeiten einmal, was man einst noch genau so nannte.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2017)

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