Mein Samstag

Singendes Tagebuch

Ein klassisches Tagebuch wäre weniger nervig.
Ein klassisches Tagebuch wäre weniger nervig.(c) imago/Niehoff
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Das Kind hat sich zum Zeugnis ein Tagebuch ausgesucht. Wunderbare Idee, werden Sie jetzt sagen.

So ein altmodisches Büchlein, in das das Kind seine Erlebnisse hineinschreiben kann. Bestimmt hat es ein Schloss dran und dazu einen kleinen Schlüssel (den man ganz leicht verlieren kann und wird). Wie schön, dass es das noch gibt.

Nun: Sie haben keine Ahnung. Natürlich gibt es diese alten Tagebücher noch, wir haben sogar welche daheim (alle gut versperrt dank der kleinen, verlorenen und nie wieder aufgetauchten Schlüssel), in eines hat das Kind mit etwa drei Jahren auf jede Seite seinen Namen in Großbuchstaben geschrieben. Jetzt aber hat sich das Kind ein ganz modernes Tagebuch ausgesucht, türkis, mit Glitzersteinen drauf und einem Mädchen mit riesigen Augen und einem flauschigen Hündchen (wer sind die, bitte?). Geöffnet wird es nicht mit einem Schlüssel, sondern mit einem vierstelligen Code, der auf einem Miniaturzahlenfeld eingegeben wird. Das alles wäre nicht so schlimm, wäre das Tagebuch nicht auch akustisch voll ausgestattet worden. Wenn du den falschen Code eingibst (was leicht passiert), ertönt eine warnende Frauenstimme, die dir mitteilt, dass du „the wrong password“ eingegeben hast und sich dieses Tagebuch folglich keinesfalls öffnen werde. Von der Tonalität in etwa so, als würde bei nochmaligem Fehlversuch das Buch explodieren oder sich in Luft auflösen. Noch schlimmer aber ist es, wenn man den korrekten Code eingibt. Dann ertönt ein höchst origineller Popsong, der in etwa so klingt wie die Lieder, die beim Song Contest schon vor der Vorauswahl ausgeschieden sind.

Unnötig zu erwähnen, dass dem Kind an dem Tagebuch natürlich insbesondere das Eintippen des Codes, das Erklingen des Liedes und das Wiederverschließen des Buches gefällt. Anders gesagt: Das Buch wird ständig auf- und zugemacht. Hineingeschrieben hat das Kind noch nicht übertrieben viel. Eigentlich erst einen Eintrag: „1. Juli: Ich bin im Urlaub. Juhu.“ Für mehr Einträge blieb im Urlaub keine Zeit. Für das permanente Eintippen des Codes aber natürlich schon. Juhu.

E-Mails an: mirjam.marits@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2017)

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