Mein Dienstag

Oder?

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Man kann alt sein, wie man will, aber bei Gemeinheiten unter Geschwistern hat die Drohung „Das sage ich der Mama!“ ewige Gültigkeit.

Mit diesem Satz beendete kürzlich die Schwester eine Stichelei meinerseits – bei mir dann natürlich sofort einsetzende Lautlosigkeit. „He“, habe ich aber trotzdem noch gesagt, „du Rätschkachl.“ Rätschkachl, ein herausragend schönes Wort, das wir Vorarlberger Kinder im Schulhof gelernt haben und dessen Bedeutung der bundesdeutschen Petze am nächsten kommt. Ich weiß gar nicht, ob die Ländlekinder von heute Bekanntschaft mit Rätschkachl machen, oder ob mittlerweile alles schon Yolo und Molo ist.

Eine Freundin erzählt, dass sie auf dem Bregenzer Bahnhof zufällig ein Gespräch unter Jugendlichen mitgehört habe: „Die sagen nicht toll oder schön oder grandios“, teilt sie mir mit, „die sagen amazing!“ Ein Wort, das uns wahrscheinlich der ganze YouTube-Kram in die Sprache geschleust hat, aber da muss man in aller Ehrlichkeit auch sagen: Rätschkachl fühlt sich eidgenössisch an, überhaupt kann ich mir über die Herkunft dieses Wortes keinen Reim machen. Kachl?

Jedenfalls verhält es sich mit uns Vorarlbergern ja so: Egal, wie sehr wir uns um das Extradeutsche bemühen, unser Idiom ist immer stärker. Außerdem haben wir die Angewohnheit, in der Mitte oder am Ende des Satzes ein zugegebenermaßen sinnloses „oder“ hinzustellen, und diese Angewohnheit behalten wir uns auch dann bei, wenn wir Extradeutsch sprechen. Zum Beispiel: Er isch döt angeganga, odr, und denn . . . (Er ist dort hingegangen, oder, und dann . . .). Auf dieses „oder“ werde ich oft angesprochen, und meistens reagiere ich recht österreichisch darauf („Ist halt so“), aber ein Mal war die mir gestellte Frage besonders diffizil, denn da wollte mein ehemaliger Mitbewohner aus Oberösterreich wissen: „Wos is des leicht mit eirem ,oder‘?“ Jemand, der mit einem völlig grotesken „leicht“ um sich wirft, braucht echt nicht mein „oder“ attackieren. „Hör uf bläga“, habe ich ihm geantwortet, und, um ihn zu ärgern, nicht übersetzt. Das Gute bei Gemeinheiten unter Freunden ist ja, dass sie nicht gleich bei der Mama petzen. Amazing!

E-Mails an: duygu.oezkan@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2017)

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