Mein Dienstag

Verkleidungskunst

Halloween
HalloweenAPA/AFP/SERGEI SUPINSKY
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Die Kinder werden immer origineller mit diesem Halloween. Ich verstehe ihre Verkleidungen gar nicht mehr, sie kommen mir sehr, ich möchte sagen: sophisticated vor.

Zum Beispiel sehe ich einen kleinen Buben, der einen weißen Rauschebart trägt, ein Buch und Blutspritzer, und ich möchte ihn dringend fragen: Was bist du, Kindswesen? Bist du eine Hommage an den fünfjährigen Karl Marx als hypothetischer Axtmörder? An der Hand seines Elternteils geht ein anderer Minderjähriger die Straße entlang, er trägt einen ausgebeulten Anzug, die Krawatte hängt traurig an seinem Hals herunter, er bemüht sich mit aller Ernsthaftigkeit um einen trüben Blick. Bist du Josef K.? Willst du aller leidgeplagten Opfern der Jurisprudenz gedenken? Ein dürres Mädchen sehe ich auch, es schaut leidend und umweltbewusst zugleich aus, die Haare stehen in alle Himmelsrichtungen, es trägt kunterbunte Kleider und ein Messer im Bauch. Möglicherweise eine Performance Art über die letzten Stunden einer in Berlin umgebrachten Veganerin? Aber wer hat sie getötet? Raskolnikow?

Man möchte bei diesen Partys dabei sein, wenn die Kleinen die Philosophie ihrer Verkleidungskunst erklären, nur um anschließend Einzelheiten aus den Tagebüchern der Sylvia Plath zu erörtern. Aber gut, ich will da jetzt auch nicht überinterpretieren. Ich will nur sagen: Dieses Halloween verwirrt einen ja wirklich (seit wann genau feiern wir das eigentlich?), aber ich erkenne den Unterhaltungswert an. Die Kinder scheinen es zu lieben, die Gruselstimmung, die Süßigkeiten, und okay, nicht alle waren kafkaesk, ich habe auch Graf Draculas und Minivampire gesehen, wie sie ihre Aufregung in die U-Bahn hineinbrachten, wie sie wildfremde Erwachsene angruselten und die Großen ihnen bühnenreife Angstszenen darboten, bis alle lachen mussten. Ich selbst bin aber mit meiner passiven Rolle zu Halloween ganz zufrieden. Ich war der Freundin mit Kind nicht neidig, die mir schrieb: „Musste abgehackte Hände besorgen.“ Am nächsten Tag schrieb sie wieder: „A bissl abgestürzt gestern bei der Halloween Feier“, und da war natürlich klar: Dieser ganze Spuk ist gar nicht für die Kinder.

E-Mails an: duygu.oezkan@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2017)

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