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Frischluft an der Autobahn und andere Wiener Wunder

Vorne Flughafenautobahn, hinten „Triiiple“-Baustelle.
Vorne Flughafenautobahn, hinten „Triiiple“-Baustelle.(c) Wolfgang Freitag
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Hochhausprojekt „Triiiple“ oder: Warum sich's im hinteren Erdberg besonders gut atmen lässt.

Wahrheit wird weithin überbewertet. Schließlich: Was genau ist denn im Einzelfall wahr? Eine pluralistische Welt wie die unsere kennt sogar etwas scheinbar Singuläres wie die Wahrheit selbstredend im Plural. Und wo es statt einer Wahrheit gleich mehrere Wahrheiten gibt, tun wir uns mit Wertungen in Sachen Unwahrheit schwer, könnte doch die vermeintliche Unwahrheit, recht betrachtet, eben eine andere Wahrheit sein.

Nehmen wir ein Beispiel aus der Immobilienbranche. Auf einer durch Abriss eines Altbestands entstandenen Leerfläche sollen Wohnbauten errichtet werden. Die Position der Liegenschaft scheint wenig attraktiv: rechterhand die meistbefahrene Autobahn des Landes, vorne eine weitere Autobahn, linkerhand eine Zubringerbrücke zu beiden. „Verkehrshölle“ wäre nicht zu viel gesagt. Und grade drum: Warum einem solchen Projekt nicht einen Vorzug zuschreiben, den es äußerem Anschein nach gar nicht haben kann – etwa „Frischluft“.

„Wo trifft Karriere Frischluft?“, fragt dieser Tage ein Plakat rhetorisch, welches das Projekt „Triiiple“ bewirbt, drei in Bau stehende Wohnhochhäuser zu Wien Landstraße; und wer daselbst, eingekreist von Südosttangente, Flughafenautobahn und Schlachthausbrücke, „Frischluft“ zu finden hofft, ist selber schuld. Andererseits: Frischer als die Luft in einem, sagen wir, Braunkohlekraftwerksschlot des inneren Sibiriens ist die Luft im hinteren Erdberg immer noch. Außerdem: Was heißt schon „frisch“? Und: Was heißt schon „Luft“?

Statt lang herumzumäkeln: Sehen wir die Chancen, die uns das Wesen so anderer, relativer Wahrheit bietet! Wenn sich heute „Triiiple“ mit Frischluft annonciert, dann geht morgen der Margaretengürtel vielleicht als Luftkurort durch. Und übermorgen ein Klärbecken der EBS als Heilbad. Die ganze Welt ein einzig Paradies. Und unser Leben wird voller Marketingwunder sein.

E-Mails an: wolfgang.freitag@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2017)

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