Mein Dienstag

Kundenservice

(c) Clemens Fabry
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Der Kunde ist König, heißt es ja, und man weiß nie, in welchem Geschäft diese Regelung gilt, bei meinem Schuster jedenfalls nicht.

Mein Schuster ist der Beste seines Fachs innerhalb eines groß angelegten Wiener Radius, aber er ist halt auch recht furchteinflößend. „Wie gehen Sie denn?“, schimpft er beim Anblick meiner geschundenen Absätze, dann keift er laut durch den Laden, dass da überhaupt nichts mehr zu machen sei, ich könne mich quasi gleich verduften, es fehlt nur noch, dass er einen kaputten Stiefel nach mir wirft. Diese Eskalation mehrmals schon miterlebt habend, warte ich ab: Erst spielt's Granada, dann geht es um die Sache. („Ich kann den Absatz ein bisschen kürzen, kostet nicht viel“, und dann: „Wo geht's denn hin im Urlaub?“) Kurze Zeit nach der atmosphärischen Auflockerung verwickelt er mich in ein Gespräch über Politik und Religion, zwei definitiv wenig Small-Talk-kompatible Themen, aber ich kann einfach nicht widerstehen, und dann folgt das nächste Donnerwetter, bevor es zu einem extrem herzlichen Abschied kommt. Mein Schuster verpasst mir jedes Mal einen Jetlag.

Subjektiv betrachtet, denke ich, dass es viel öfter die Kunden sind, die den Verkäufern oder Servicedienstleistern das Leben schwer machen. Eine junge Frau, die in der Innenstadt in einem nobleren Supermarkt arbeitet, erzählt mir von ihren Erlebnissen: Da bestellen Männer und Frauen, deren sachliche Kleidung eher auf einen höher bezahlten Job hinweisen, ihre Semmel mit Prosciutto aus einer italienischen Spezialregion, um sie dann halb gegessen in die Supermarktregale zu verstauen. Am Ende bezahlen sie nur eine Kaugummipackung. Die junge Frau erzählt von abgepacktem Käse, die sie regelmäßig aus den Regalen filtert, weil jemand den Parmesan (!) ausgepackt, abgebissen und wieder in die Folie gewickelt hat. „Wer macht so etwas?“, frage ich, und sie sagt nur: „Das glaubst nie.“ Über ihre amüsanten Erzählungen muss ich zwar lachen, aber ein bisschen Paranoia kann man mir seitdem nicht absprechen. „Ist der Bergkäse eh nicht angeknabbert?“, frage ich mich im Supermarkt und suche lange nach Bissspuren.

E-Mails an: duygu.oezkan@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2017)

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