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Wie viel Stein und Bronze braucht Erinnerungskultur?

Taborstraße, Ecke Glockengasse: Julius-Ofner-Denkmal.
Taborstraße, Ecke Glockengasse: Julius-Ofner-Denkmal.(c) Freitag
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Tonnenschwer und doch unsichtbar: Hinweise am Beispiel des Julius-Ofner-Denkmals, Leopoldstadt.

Es geschah am helllichten Tag. Ich ging so für mich hin durch die Leopoldstadt, dort, wo sich die Glockengasse von der Taborstraße löst, und plötzlich stand es vor mir, um die vier Meter hoch, massiger Steinsockel mit Porträtbüste, ein Bronze-Sämann oben drauf, unübersehbar, und doch hatte ich es noch nie gesehen.

Das heißt, ich musste das Julius-Ofner-Denkmal, genau darum handelte es sich nämlich, schon gesehen haben, mehr als 20 Jahre hatte mich der Weg in die Redaktion fast täglich daran vorbeigeführt. Nur: Ich hatte es nie wahrgenommen, und ich hätte es auch diesmal nicht bemerkt, hätte mich nicht genau in diesem Augenblick die Korrespondenz mit einem Leser in einschlägiger Sache beschäftigt: Welche Bedeutung haben Denkmäler für unsere Erinnerungskultur?

Meine diesbezügliche Skepsis erhielt an diesem Montagvormittag unvermittelt Nahrung, und das aus eigenem Erleben. Ein tonnenschwerer Stein samt einer paar hundert Kilo Bronze hatte über viele Jahre nicht ausgereicht, meine Aufmerksamkeit zu wecken, im Kopf inventarisiert wie Parkbänke, Laternenmasten, Litfaßsäulen. Ein Mangel an Sensibilität meinerseits – oder im Grunde unvermeidlich?

Julius Ofner jedenfalls, wie ich ein paar Googeleien später wusste, hätte sich Achtsamkeit verdient. 1901 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, anschließend Mitglied der provisorischen Nationalversammlung, gilt er Nachschlagewerken als liberaler Reformator des Strafgesetzes wie als jener sozial gesinnte Rechtsgelehrte, der schon in den 1880ern ein „Recht auf Arbeit“ formulierte.

Dennoch: Wen ich auch nach Julius Ofner fragte, nicht einer, der zu sagen gewusst hätte, wer das sei. Womit die Wirkungslosigkeit von Denkmalsetzungen bewiesen wäre. Was freilich mich selbst, Julius Ofner und Sie als Leser betrifft, hiemit auch das Gegenteil.

E-Mails an: wolfgang.freitag@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2018)

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