Mein Freitag

Wenn der Horizont in der Helligkeit verschwindet

Die Bestie und das „Whiteout“.

Die Kälte hat uns zum Reden gebracht. Die Handys sind großteils erfroren. Warum, war eine Frage, ist der Unterschied zwischen, sagen wir, zwei Grad und minus ein Grad um so viel spürbarer als der Unterschied zwischen minus eins und minus elf? Sobald man den persönlichen Gefrierpunkt erreicht hat, sind die Abstufungen offenbar fließend. (Ähnliches trifft vielleicht auch auf Launen zu.) Finger lassen sich hingegen nicht täuschen, und von den Handschuhen waren nur noch zwei linke zu finden. Die sind wie Socken, irgendwo muss es ein gigantisches Depot an verlorenen Hälften geben, die nie mehr gefunden werden.

„Beast from the East“ nannte die britische Boulevardpresse die sibirische Kälte und rief ein „Whiteout“ aus. Warum haben wir im Deutschen kein Wort für dieses Phänomen, das Bergsportlern geläufig ist, die nicht nur bei Sonnenschein unterwegs sind? Wenn die Helligkeit von Schnee mit diffusem Licht verschwimmt und alle Konturen ausradiert, verschwindet der Horizont und der leere Raum scheint einen zu schlucken. Ein beängstigender Zustand. Auch im Flugverkehr ist das „Whiteout“ gefürchtet.

Nirgends friert man mehr als in Ländern, die nicht dafür gewappnet sind. Durch undichte Fenster pfeift der Wind, auf eiskalten Böden helfen auch die dicksten Socken kaum. Während hier auch bei tiefsten Temperaturen in Innenräumen kaum ein Unterschied zu sonst zu spüren ist, die Wollpullover also eher aus modischen Gründen getragen werden denn aus Notwendigkeit, gleichen die Briten ihr zugiges Leben mit undurchdringbaren Jacken aus. Und Wolldecken.

Im Sommer werden es dann oranger Sand und tropische Temperaturen sein, die das Leben kurz aus der Bahn werfen. Sahara-Sand und Sibirien-Kälte sind eigentlich der beste Beweis dafür, dass man sich von der Welt nicht abschotten kann.

E-Mails an: friederike.leibl-buerger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2018)

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