Mein Dienstag

In der digitalen Ausnüchterungszelle

Kennen Sie Cambridge Analytica?

Cambridge Analytica: Den Namen dieser schattenhaften Firma, die sich rühmt, anhand des digitalen Nutzerverhaltens die Neigungen und Vorlieben einer Gesellschaft in Hunderttausende Einzelprofile zu zerlegen und daraus individuelle Werbebotschaften destillieren zu können, kennt nun vermutlich jeder, der auch nur flüchtig sich für das Weltgeschehen interessiert. Mir kam dies erstmals im Herbst 2015 unter, während meiner Zeit als Washington-Korrespondent. In mehreren Berichten wurde erläutert, wie der texanische Senator Ted Cruz seine Hoffnungen, Präsidentschaftskandidat der Republikaner zu werden, mithilfe der Dienste von Cambridge Analytica zu fördern versuchte. Doch wie wir nun dank der Enthüllungen der „Guardian“-Journalistin Carole Cadwalladr wissen, hat der gespenstische Erfolg von Cambridge Analytica in der Förderung der Brexit-Bewegung und der Wahl Trumps (für den Cruz bloß als Versuchskaninchen getaugt haben soll) nicht auf genialer Technologie beruht, sondern darauf, die Verhaltensdaten von gut 50Millionen Facebook-Nutzern vereinbarungswidrig abgesaugt und damit Desinformation und Manipulation betrieben zu haben.

Vielleicht hat dieser Skandal sein Gutes. Die sozialen Medien, auch Facebook, haben schon ihr Gutes, vor allem, wenn man Freunde und Verwandte hat, die rund um den Erdball verstreut sind. Aber ich denke, dass man kritisch mit ihnen umgehen muss. Und das erfordert auch Handlungen des Selbstschutzes. Seit ich vor zwei Wochen die Facebook-App auf meinem Telefon gelöscht habe, merke ich, wie ich tagsüber aufmerksamer bin, Wichtiges konzentrierter lese. Einmal am Tag via Browser hineingeschaut, wie es den Freunden so ergeht: Das reicht. Wie schreibt der Papst in seinem neuen Buch? „Das Netz lässt die Jugendlichen in der Luft hängen und macht sie daher extrem flatterhaft.“ Nicht nur die Jugendlichen. Der Rausch digitaler Verheißungen hat alle Altersgruppen überkommen. Es ist Zeit, sich ab und zu in der Ausnüchterungszelle einzuschließen.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2018)

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