Mein Dienstag

Berliner Tage

Brandenburger Tor
Brandenburger Tor(c) imago/Steinach (Sascha Steinach)
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Auf der Straße steht ein, ich möchte wirklich nicht beleidigend sein, etwas übergewichtiger Mann, er hat eine ausgefranste Afro-Perücke mit schwarzen Locken auf, er trägt Tennissocken, Sportschuhe und einen Bikini. Sonst nichts.

Ja, es ist kalt. Mir kommt der Mann nicht sonderlich betrunken vor, im Gegenteil, er tippt eifrig und konzentriert in sein Smartphone, als würde er gerade Aktien kaufen. Überrascht mich der Anblick? Kurz ja, weil die Farbe des Bikinis unerwartet gut zu den Schuhen passt, aber dann schon wieder nicht, denn wir befinden uns gerade in Berlin, hier sind sich die Coolness und der Wahnsinn handelseins. Mitten auf einer Party in Kreuzberg packt Freundin Ebru den Nagellack aus und bemalt sich im allgemeinen Gewimmel die Fingernägel, und zwar ziemlich professionell, wie ich zugeben muss. „Daheim komme ich halt nie dazu“, sagt sie schulterzuckend, „gib deine Hand her, erledigen wir das auch gleich.“ Sie erzählt mir, dass sie sich kürzlich aufgrund von akutem Zeitmangel im Aufzug die Fingernägel lackieren musste, dann leider das Telefon klingelte, glücklicherweise aber ein Foodora-Lieferant im Lift zugegen war, der ihr netterweise das Handy aus der Tasche fischte. „Wenn du nagellackst, kannst du nicht twittern, Windeln wechseln oder streiten“, klärt sie mich auf, „es ist die Meditation unserer Zeit.“

Absolut nicht Zen ist der Flughafenbus von Tegel in die Stadt, hier steigt man als Fahrgast ein und kommt als Klaus Kinski wieder raus, also wüst fluchend. Die Koffer liegen auf dem Gang quer übereinander, die aufgekratzten Jungtouristen quer darüber, nie kann es hier jemals genug Platz für all die vielen Ankommenden geben. „Gehen sie weiter nach hinten!“, ruft die Busfahrerin über das Mikrofon in das Gefährt hinein, aber keiner rührt sich, weil erstens die Kofferberge ein Fortkommen verhindern und zweitens nur ein Teil der Insassen die Fahrerin verstanden hat. „Die können kein Deutsch“, schreit ein junger Mann Richtung Bus-Cockpit. „Solln wa jetzt alle Türkisch lernen, oder watt?“, donnert ein genervter Fahrgast durch die Reihen, während die Touristen unter sich fröhlich weiterquäken, es sind Italiener.

E-Mails an: duygu.oezkan@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2018)

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