Mein Dienstag

Cantat, Médine und das dünne Eis der Kunstfreiheit

Rapper Médine hat im Herbst zwei Auftritte im Pariser Klub Bataclan gebucht.
Rapper Médine hat im Herbst zwei Auftritte im Pariser Klub Bataclan gebucht.(c) APA/AFP/PHILIPPE LOPEZ
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Derzeit laufen in Frankreich zwei Debatten, die einen Einblick darin geben, wie wir mit den Grauzonen unserer ethischen Gewissheiten ringen, wenn es um die Kunst geht.

Derzeit laufen in Frankreich zwei Debatten, die einen Einblick darin geben, wie wir mit den Grauzonen unserer ethischen Gewissheiten ringen, wenn es um die Kunst geht. Die eine betrifft Bertrand Cantat, seinerzeit Anführer der Rockband Noir Désir. Er prügelte im Jahr 2003 in Vilnius seine Partnerin Marie Trintignant zu Tode und wurde dafür wegen Totschlags zu acht Jahren Gefängnis verurteilt, welche er zur Hälfte absaß. Kürzlich wurde ein Verfahren neu aufgerollt, in dem es um die Hintergründe des Selbstmordes von Cantats Exgattin Krisztina Ràdy vor acht Jahren geht. „Bertrand ist verrückt“, sprach sie sechs Monate vor ihrem Freitod auf ein Tonband. Cantats erste Konzerttournee seit der Haftentlassung rief wütende Proteste vor seinen Auftritten in Frankreich hervor, und wenn ein Veranstalter die Nerven behielt und Cantats Konzert über die Bühne gehen ließ, wurden die Besucher vor dem Einlass mit „Mörder“-Sprechchöre und verspritztem Theaterblut empfangen. Sonntag vorletzter Woche fand in Brüssel Cantats letzter Auftritt dieser Tour statt. Seinen kryptischen Ansagen zufolge könnte er sich fortan für immer von der Bühne zurückziehen.

Die andere Debatte dreht sich um den Rapper Médine. Der hat im Herbst zwei Auftritte im Pariser Klub Bataclan gebucht, wo islamistische Terroristen im November 2015 fast 100 Menschen ermordeten. „Kreuzigen wir die Laizisten wie in Golgotha“, reimt er in einer Textzeile, in anderen setzt er Terroristen und Regierungsbeamte als zwei Seiten derselben Medaille gleich, und so weiter, und so fort. Geht das, fragt man sich im einen wie im anderen Fall. Mich stoßen beide Männer zutiefst ab, doch auch wenn ich schwer mit meinen Gewissheiten ringe, finde ich, dass Dominique Nora recht hat, wenn sie bezüglich des Falls Cantat im „L'Obs“ einwendet: „Es liegt an den Konzertveranstaltern zu wissen, ob es angemessen ist, seine Konzerte zu veranstalten. Und am Publikum zu entscheiden, ob es sie anhören und seine Alben kaufen will – oder nicht.“

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2018)

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