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Das Seitenstech-Rätsel

(c) FABRY Clemens
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Ist Seitenstechen ein Zeichen von Unsportlichkeit?

Es ist eine Art Outing. Wer beim Joggen plötzlich stehen bleibt, die Augen kurz zukneift, sich an die Rippen greift und dann nur noch weiterspaziert, der hat ziemlich sicher Seitenstechen und hat klarerweise zu wenig trainiert. Doch stimmt das eigentlich? Ist Seitenstechen ein Zeichen von Unsportlichkeit?

Es tut gut, als ab und zu von Seitenstechen geplagte Läuferin, ein „Nein“ von Sportarzt und Umweltmediziner Piero Lercher zu hören. Seitenstechen, so viel stehe wissenschaftlich fest, muss kein Zeichen von Trainingsmangel sein. Recht viel mehr weiß die Wissenschaft darüber überraschenderweise aber noch nicht. Seitenstechen scheint eben nicht nur für mich ein Rätsel zu sein. Der Sportarzt der Medizinischen Universität Wien kann zumindest einige Thesen aufstellen. Grund für das Seitenstechen könnte demnach Sauerstoffmangel und eine dadurch hervorgerufene schlechte Durchblutung des Zwerchfells sein. Genauso könnten aber auch üppiges Essen, eine Fehlbildung der Wirbelsäule, zu schwache Bauchmuskeln oder ein fehlendes Aufwärmprogramm ausschlaggebend für den stechenden Schmerz sein. Es handle sich um ein Warnsignal. Sorgen müsse man sich aber nicht machen. Es sei denn, sagt der Arzt, man würde das Seitenstechen auch beim Fußball-Weltmeisterschafts-Schauen verspüren.

Bekämpfen kann man akutes Seitenstechen am Besten durch Atmenübungen. Beim tiefen Einatmen soll man sich nach oben strecken. Das öffnet den Brustkorb. Beim Ausatmen gilt es die ausgestreckten Arme nach unten zu schwingen. Das, sagt der Sportmediziner, hilft – übrigens ebenso wie der instinktive Griff an die schmerzende Stelle. Hier wirke das Gatekeeperprinzip. Laut dem kann nämlich immer nur ein Reiz weitergeleitet werden. Der äußere Druck trickst also den inneren Schmerz aus.

Das nächste Mal, wenn ein Läufer mit schmerzverzerrtem Gesicht, geschlossenen Augen und einer Hand auf den Rippen an Ihnen vorbeispaziert, können nun auch Sie rätseln: Ist er unsportlich oder hat er einfach nur zu viel gegessen?

E-Mails an: julia.neuhauser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2018)

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