Das Kerbholz hat doch nicht alle Tassen im Schrank

So manchen Begriff verwenden wir, ohne seinen Ursprung zu kennen.
So manchen Begriff verwenden wir, ohne seinen Ursprung zu kennen.(c) Clemens Fabry
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So manchen Begriff verwenden wir, ohne seinen Ursprung zu kennen. Darüber sollten wir reden.

Es war ein Moment der Romantik. Gerade ging es daran, auf Tuchfühlung zu gehen. Doch plötzlich blinkte sie auf: die Frage, woher dieser Begriff eigentlich kommt. Nun, ursprünglich hatte das mit sexueller Anziehung nichts zu tun. Eher im Gegenteil, kommt es doch vermutlich aus der militärischen Sprache – wenn Soldaten so nahe beisammenstehen, dass sich der Stoff ihrer Kleidung, also das Tuch, schon berührt. Tuchfühlung halt. „Hast du eigentlich noch alle Tassen im Schrank?“, fragte das Gegenüber. Tja, auch das ist eine dieser Redewendungen, deren Ursprung anders ist, als wir vermuten. Die gängigste Deutung ist, dass es vom jiddischen „Toshia“ kommt, was Verstand oder Gemüt bedeutet. Daraus dürften dann die Häferln geworden sein, in denen man auch einen Sprung haben kann. Apropos Sprung, springen wir zu einem weiteren Begriff, den wir gern einsetzen, ohne seine ursprüngliche Bedeutung zu kennen: dem Kerbholz. Dabei handelt es sich um ein längliches Stück Holz, auf dem Dinge eingeritzt wurden, etwa Schulden, die jemand hatte. Das Holz wurde dann so gespalten, dass Gläubiger und Schuldner später beim Zusammenfügen feststellen konnten, ob etwas daran manipuliert worden war. Etwas auf dem Kerbholz zu haben bedeutet also, Schulden zu haben. Und will man jemanden am Schlafittchen packen, bezieht sich das auf den Schlagfittig – so wird im Niederdeutschen der Flügel einer Gans bezeichnet. Hat man den Vogel daran gepackt, kommt er nicht mehr allzu weit. Dieser Begriff hat sich später auf die Kleidung einer Person übertragen und wird heute dafür gebraucht, wenn man jemanden am Kragen oder Ärmelzipfel hält.
Der romantische Abend ging dann übrigens in die Binsen. Die Herkunft dieser Redewendung könnte man natürlich auch noch erklären. Aber irgendwie ist mir jetzt die Lust daran vergangen . . .

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