Warum eins und eins nicht immer zwei ergibt

Wien wächst. Aber wie schnell?
Wien wächst. Aber wie schnell? (c) Freitag
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Was man im periphersten Niederösterreich über den Wiener Bevölkerungszuwachs erfahren kann.

Zahlen zählen. Kein Wunder, ist ihnen doch etwas wunderbar Absolutes eigen, der Odeur einer höheren Autorität, die uns jene Sicherheit gibt, nach der wir in scheinbar so unsicheren Zeiten gieren. Schließlich: Eins und eins, das macht zwei, darauf dürfen wir vertrauen, denn daran kann's keinen Zweifel geben. Oder doch?

Nein, hier folgt kein Ausflug ins höher Mathematische, sondern in die niederösterreichische Peripherie, dorthin, wo sie am periphersten ist: in einen nördlichen Grenzland-Flecken, in dem ich kürzlich einem emsigen Lokalmandatar begegnet bin, der meine mir in Volksschuljahren angelernte Rechenweisheit durcheinandergewirbelt hat. Schuld daran? Das Wiener Parkpickerl.

Nachdem mir der Herr Stadtrat ein paar Schätze seiner Heimat nähergebracht hatte, kamen wir auf die Probleme zu sprechen, die eine Randlage wie die seiner Gemeinde stets mit sich bringt, namentlich das Thema Abwanderung: In der jüngeren Vergangenheit, so sein Rapport, schrumpfe die Bevölkerungszahl nicht zuletzt deshalb, weil viele Hauptwohnsitzer, die über einen Nebenwohnsitz in Wien verfügen, ihren Hauptwohnsitz nominell nach Wien verlegen, um nicht fürs Parken zahlen zu müssen. Denn ein Hauptwohnsitz in Wien ist wiederum Voraussetzung dafür, das Parkpickerl zu erhalten. Und weil sich auch die Bevölkerungsstatistik an den Hauptwohnsitzen orientiert, findet statistisch solchermaßen eine Parkpickerl-getriebene Scheinwanderungsbewegung statt, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt.

Die handfeste Folge des falschen Zahlenzaubers: Die Gemeinde verliert Mittel aus dem Finanzausgleich, denn auch die werden nach Hauptwohnsitzen zugemessen. Anders gesagt: Das Wiener Parkpickerl blutet finanziell das Grenzland aus – und beschert Wien ein (zusätzliches) Wachstum, das Wien gar nicht hat. Wien wächst? Kein Zweifel. Aber wie schnell eigentlich?

E-Mails an: wolfgang.freitag@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2018)

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