Fiat, auch eine europäische Geschichte

Sergio Marchionne hatte den Automobilkonzern Fiat zweifelsfrei vor dem Bankrott gerettet.
Sergio Marchionne hatte den Automobilkonzern Fiat zweifelsfrei vor dem Bankrott gerettet.(c) APA/AFP/MIGUEL MEDINA
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Genauer betrachtet gibt es wohl nur wenige Unternehmen, die im Nachkriegseuropa beiderseits des Eisernen Vorhangs so eine bedeutende Rolle im Leben der Menschen spielten, wie Fiat dies tat.

Ein früherer italienischer Korrespondentenkollege in Brüssel, der mittlerweile von Rom aus für die Deutschen Presseagentur berichtet, wies neulich, anlässlich des Todes von Fiat-Vorstandschef Sergio Marchionne, auf eine Paradoxie in dessen Schaffen hin: Marchionne hatte den Automobilkonzern Fiat zweifelsfrei vor dem Bankrott gerettet – aber er hatte dies nur dadurch vollbracht, indem er auf jene Unternehmensteile setzte, die mit den klassischen Fiat-Marken nichts zu tun hatten. Während Marchionne also vor allem auf dem nordamerikanischen Markt mit Chrysler höchst erfolgreich war und somit das Bestehen des Konzerns sicherte, ließ er die traditionellen Marken Fiat und Lancia darben. Konnte man angesichts dessen nun wahrheitsgemäß davon reden, dass Fiat gerettet sei? Oder eher „Fiat“, eine Hülle, die mit dem, was Sie und ich sich unter diesem Namen vorstellen, nur mehr wenig zu tun hat?

Genauer betrachtet gibt es wohl nur wenige Unternehmen, die im Nachkriegseuropa beiderseits des Eisernen Vorhangs so eine bedeutende Rolle im Leben der Menschen spielten, wie Fiat dies tat. Das erste Auto meiner Mutter in dem, was man damals noch Jugoslawien nannte, war ein Fićo, ein auf Lizenzbasis gefertigter Fiat 600. Meine Frau wiederum kaufte sich nach der Befreiung Polens vom Kommunismus von ihrem ersten Gehalt einen Polski Fiat 126, der ebenfalls kraft einer opportunistischen Vereinbarung der Fiat-Führung mit dem Regime in Warschau in Lizenz gebaut wurde. Jenes Familienauto, das mir aus meiner Wiener Achtzigerjahre-Kindheit am deutlichsten und liebsten in Erinnerung ist, war wiederum jener weiße Fiat Ritmo mit den coolen orangen und blauen Seitenstreifen.

All das waren, trotz ihrer Macken und Fehler, kleine Ingenieursmeisterstücke. Sie ermöglichten einfachen Bürgern aus höchst unterschiedlichen Ecken Europas Mobilität, ein bisschen Freiheit – und eine Markentreue, die man mit keinem noch so großen Werbebudget künstlich herbeizaubern kann.

E-Mails an:oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2018)

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