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Wie ein Stück 1683 nach Wien Meidling kam

Mitten im Gemeindebau: Moldauer Kapelle, Arnsburggasse.
Mitten im Gemeindebau: Moldauer Kapelle, Arnsburggasse.(c) Freitag
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Weil Geschichte nie so schwarz-weiß ist, wie es manche möchten: eine Nachschau am Tivoli.

Kürzlich war es wieder so weit: Da und dort wurde der Befreiung Wiens von der Belagerung durch Truppen des Osmanischen Reichs vor – diesmal – 335 Jahren gedacht. Und dieses Da samt diesem Dort konzentrierte sich, wie nicht anders gewohnt, auf den Kahlen- und den Leopoldsberg, und noch das Harmloseste daran blieb der gleichfalls altbekannte Disput, von welchem der beiden Hügel nun tatsächlich der Entsatz der Residenzstadt ausgegangen sei.

Nicht erst seit gestern wird das Signum 1683 religionspolitisch oder gar völkisch aufgeblasen, und wer noch aus Kindheitstagen die Sage in den Ohren hat, die Osmanen hätten nach der Eroberung Wiens auf die Spitze des Stephansturms den Halbmond setzen wollen, wird vielleicht überrascht sein zu hören, dass sich dortselbst schon vor der Ankunft Kara Mustafas längst eine Mondsichel befand – heute übrigens Teil der reichen Sammlungen des Wien Museums.

Dass Geschichte, genau besehen, ja nie so schwarz-weiß verläuft, wie sie uns von jenen Simplifizierern vorgestellt wird, die sie für ihre Zwecke in Dienst nehmen möchten, ruft auch die Moldauer Kapelle, Wien Meidling, in Erinnerung. Seit den 1920ern eingebettet in einen der erstaunlichsten Gemeindebauten Wiens, die Wohnanlage „Am Tivoli“, erinnert sie an die Beteiligung des Walachenfürsten Şerban I. Cantacuzino an den Belagerungstruppen der Osmanen. Genauer daran, dass dieser einzige christliche Führer im Gefolge des Großwesirs an ungefähr nämlichem Ort ein Kreuz errichten ließ, um dortselbst, seinerseits nicht ganz freiwillig in osmanischen Diensten, heimlich zu beten. Ganz nebenbei soll er freilich die Gegenseite mit Informationen über die Belagerer versorgt haben. Um das christliche Abendland zu retten? Wohl eher, meinen fantasielose Historiker, aus schlichtem Machtkalkül . . .

E-Mails an: wolfgang.freitag@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2018)

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