Kreuzfahrten: Reanimation eines Klassikers

Neue Häfen, gute Küche und eine Prise Individualismus: Kreuzfahrten kommen vermehrt ohne Animation und All-inclusive aus.

Das Jahr 2012 war eines der leeren Schiffe. Die Großen der Branche füllen ihre Spaßdampfer zu egal welchen Preisen, Auslastung zählt. Das Geschäft läuft ohnehin über die Nebenkosten. Benjamin Krumpen, Geschäftsführer des grundsoliden Veranstalters Phoenix, kontert: „Ich fahre lieber mit 40 leeren Betten, als mir meine Preispolitik kaputt zu machen!“ Doch wer 400 leere Betten beklagt, bleibt nicht so gelassen. Dann kommt ein Angebot für die Ein-Wochen-Tour in der Nebensaison zu 199 Euro mit Vollpension nicht mehr so selten daher. Hinter den Kulissen zermartert man sich die Köpfe: Kann denn das Schiffsunglück vor der Insel Giglio schuld daran sein, dass selbst Flussdampfer nicht mehr ausgelastet sind?

Unumkehrbar ist daher der Trend, die ohnehin unüberschaubare Palette der Angebote noch verwirrender zu machen: mit dem Herausnehmen oder Hinzufügen von Inklusivleistungen je nach Philosophie des Veranstalters. Hier wirbt man mit All-inclusive, damit der Kahn voll wird, dort bietet man vom Steakhouse über den Nobelitaliener bis zur Sushibar alles nur Mögliche an, damit der Rubel auch dann noch rollt, wenn doch eigentlich schon alles bezahlt ist. Wellnessprogramme, Brückenführungen für mehr als 100 Euro, Formel-1-Simulator, 4-D-Erlebniskino, Golfpaket und nicht zu vergessen die Einarmigen Banditen im Kasino, die den Passagieren die Dollars aus der Tasche ziehen – all das spült großen US-Spaßdampfern während der Reise weit mehr Geld in die Kassen als der Reisepreis selbst.
Ein Umstand, der manchmal kuriose Blüten treibt: Ein Busunternehmen, dem Restplätze auf einer in Dover endenden Kreuzfahrt zum Schnäppchenpreis angeboten wurden, wollte die Reise um einen Tag verkürzen, um mit einem Spezialangebot die Gäste mit eigenen Bussen in Amsterdam abholen zu können. Ergebnis: Dann kostet’s pro Bett 50 Dollar mehr. Die Amis rechneten ganz cool vor, was ihnen an Extraeinnahmen entgehe, wenn die Gäste vorher aussteigen, statt weiterhin Cocktails zu trinken, zum Friseur zu gehen oder sich für einen dreistelligen Betrag im Varieté-Dinnerzelt an Bord noch einmal Salto mortale auf Filet mignon zu gönnen.

Die Neubauten sind 2013 überschaubar, echte Neuheiten noch mehr. Bei MSC und Princess, Aida und Norwegian Cruise Line knüpfen die Schiffsjungfern nahtlos an die bestehende Flotte an: Kapazitätserweiterung statt Innovation. Hapag-Lloyd-Kreuzfahrten stellt der etablierten Europa eine etwas frischere Europa 2 zur Seite – größere Suiten, lockerer Umgangston, Freizeitlook statt Dinnerjacket.

Andere Anbieter üben sich in dem, was auf Neudeutsch „Fine Tuning“ heißt: Royal Caribbean zieht mit der „Barbie Premium Experience“ Kinder an, die vom Barbie-Dinner bis zur Barbie-Kabine alles in Rosa haben möchten. Die Reederei Deilmann motzt das „Traumschiff“ MS Deutschland mit französischen Balkonen auf. Die spektakulärste Novität aus 2012 blieb weitgehend unbeachtet: der zur Costa neoRomantica avancierte Oldie aus der Flotte der Gelbschornsteiner. Mit 80 Millionen Euro wurden nicht nur zahlreiche Balkone hinzugefügt, sondern das Innendesign völlig umgekrempelt. Liebhaber italienischer Avantgarde, die den zeitlos schönen ­Oceanlinern der 1960er-Jahre nachtrauern, werden jubeln. Viel Weiß und Silber, etwas Violett, schwarzer und weißer Marmor, Licht und viel Raum prägen den Kreuzfahrt-Twen. Der hat Jeans und Knitterpulli abgelegt und kommt als italienische Diva in kurzem Rock und Stilettos daher – eine Schiffslady, mit der man gern einmal ein Rendezvous hätte.

Wirklich neu und spektakulär ist der Zuwachs 2013 bei Häfen. Die Unsicherheit in vielen arabischen Destinationen lenkt das Interesse der Veranstalter auf neue Ziele, die einzige Ressource der Kreuzfahrt, die wirklich begrenzt ist. An der Ostseeküste ist Wismar, der alte Tiefwasserhafen der DDR, aus dem Dornröschenschlaf erwacht. Ein Liegeplatz, der nur 500 Meter vom backsteinernen Altstadtwelterbe der Unesco entfernt liegt, lässt hoffen, dass das Gründungsmitglied der Hanse seinen Rückstand gegenüber Kiel, Lübeck und Rostock aufholen kann. 86 Anmeldungen für die nächsten Jahre liegen schon vor.
An der Côte d’Azur buhlt Cannes darum, seine Bedeutung zwischen Monaco, Nizza und Marseille zu stärken. Es winken Ausflüge zum Segeln nach Antibes oder in die Parfumstadt Grasse. Neue Kreuzfahrt-Terminals plant man in London und Istanbul.

Trendsetter beim Erobern neuer Häfen ist seit jeher Hapag-Lloyd. Sogar die beiden Luxusschiffe der Flotte steuern in den Sommermonaten die Inseln und Seebäder an Nord- und Ostsee an, die sonst kaum Beachtung finden. 88 Häfen haben heuer bei Hapag-Lloyd Anlaufpremiere. Allein 48 entfallen auf das kleinste und älteste Schiff der Flotte, den gemütlichen „Dickhäuter“ MS Bremen mit seinem Eispanzer für Expeditionen in Polargebiete. An Schiffen, die mit individuellen Routen punkten können, ist der deutschsprachige Markt auf einmal wieder sehr reich. „Die sieben Zwerge“ haben sich etabliert, sieben Ein-Schiff-Gesellschaften, denen eines gemein ist: ein etwas höherer Preis und ein unglaublich liebevoll gemachtes Produkt.
Die Delphin beispielsweise hat nach ihrem Comeback sämtliche drei Küchenchefs bekommen, die früher eine ganze Flotte betreuten. Die Küche ist exzellent, auch, wenn sich das Schiff im Winter auf exotischen Wegen in die Antarktis und weiter in die Karibik bewegt. Ähnliche Routen dampft auch die MS Hamburg von Plantours. Die Berlin, ehemals TV-Traumschiff, heute bei FTI in deutsche Hand zurückgekehrt, punktet damit, dass ihr schlanker Body die spektakuläre Passage des Korinth-Kanals meistern kann. Die Astor und die Deutschland sind Klassiker mit vier bzw. fünf Sternen und individueller Gästebetreuung.

Jungfernfahrt mit 53 Jahren.
Und während Ambiente Kreuzfahrten in Berlin pausieren muss, weil sich für die Chartersaison 2013 kein geeignetes Schiff fand, geht Hansa Touristik in Stuttgart mit einem eigens umgebauten und aufgehübschten Oldie an den Start: Ocean Majesty heißt das Schiff mit dem schönen Swimmingpool samt Bar am Achterdeck, dessen Mannschaft den Passagieren wertvolle Einkaufs- und Kulinariktipps für den Landgang verspricht.

Wer’s noch individueller mag: Ende März geht MS Serenissima auf „Jungfernreise“ – bei einem 53 Jahre alten Schiff mutet der Begriff zwar etwas merkwürdig an. 40 Jahre hat die ehemalige Harald Jarl Postdienst für Hurtigruten an Norwegens Küsten versehen, dann wurde sie mit Salons im Gustavianischen Stil und 106 Passagierbetten zum Liebling aller Individualisten. Nun kehrt sie zurück: Kroatiens Küsten, die Hebriden, Norwegen und die Ostsee stehen auf dem Fahrplan. Im Grunde ist sie das marktgerechteste aller schwimmenden Feriendomizile: Je schmaler die Nische zwischen den Global Playern wird, desto kleiner das Schiff, das sie füllt.

TIPP

Österreichs größter Kreuzfahrtenanbieter:
Seetour Austria/Ruefa Rennweg 46–50 1030 Wien Ferienmesse Wien: Halle A/Stand A0115 Service-Team 0810 200 400 www.seetour-austria.at

Reedereien: Hapag-Lloyd Kreuzfahrten
Ballindamm 25 20095 Hamburg Deutschland +49(0)/403 070 30 70 www.hlkf.de Ferienmesse Wien: Halle A/Stand A0432

Costa Crociere S.p.A.
Österreich-Niederlassung: Kraußstraße 10/2 4020 Linz 0732/335 377 Ferienmesse Wien: Halle A/Stand A0307 www.costakreuzfahrten.at

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Reise

Kreuzfahrt: Auf die Strecke kommt es an

Die richtige Route ist für Kreuzfahrten entscheidend. Neue Destinationen zu erschließen ist dabei aber gar nicht so einfach.
Reise

MS Europa: See-Sterne an Bord

Ein eigener Kaviarkühlraum, kandierter Ingwer gegen Seekrankheit und gemahlene Austernschalen: Einblicke in die Küche auf der MS Europa.
Reise

Korsika: Die Insel der Verwegenen

Bergurlaub auf einer Insel? Ja! Auch wenn Korsikas Strände zu den schönsten des Mittelmeeres zählen, sollte man ein paar Tage fürs Landesinnere veranschlagen.
Reise

Sizilien: Rosmarin und Rosen

Sizilien ist ganz großes Theater: Kulissen der Antike, fruchtbare Haine, ein spuckender Vulkan und das große Blau des Mittelmeers.
Reise

Irland: Vom Leben im Torf

Der Westen von Irland ist leer an Menschen und voll von Grün- und Brauntönen. Mauern, Meer und Moore begleiten den Gemütsreisenden durch Connemara.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.