Northern Territories: Das Erbe der Regenbogen-Schlange

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Australien versucht heute, die Reste der indigenen Kultur touristisch zu vermarkten. Doch hilft das den Aborigines? Und welche ihrer Traditionen können Urlauber in Nordaustralien heute noch erleben?

Sechs dunkelhäutige Männer in blutroten Lendenschurzen und Federkopfschmuck betreten die Bühne. In groben Schlieren haben sie weiße Leuchtfarbe auf ihre schwarzen Körper geschmiert. Es sind: The White Cockatoo. Sie hämmern Schlaghölzer gegeneinander, stampfen mit den nackten Füßen. Im Hintergrund grollt ein Didgeridoo.

Jetzt bewegen sich die Tänzer wie vom Sturm aufgescheuchte Vögel, schlagen mit imaginären Flügeln. „Kunkurra“ heißt das Stück: „großer Wind“.

Immer schneller wirbeln die Füße. Dann schwillt Gesang an. Schrill und mit Obertönen. Es klingt wie das Heulen eines Orkans. Die Zuschauer des Darwin Festivals am Nordzipfel des australischen Kontinents springen von ihren Sitzen auf, tanzen mit, applaudieren.

Tausende Touristen aus Europa lockt die Faszination für die Kultur der Ureinwohner inzwischen jedes Jahr nach Nordaustralien. Auf „Traumzeitsafaris“ machen sie sich auf die Spuren dieser uralten Traditionen. Doch was von der indigenen Kultur – weiße Kolonialisten wollten sie im 19. Jahrhundert zuerst ausrotten und später die Aborigines durch Zwang assimilieren – lässt sich heute noch erleben?

Termiten schnitzen Instrumente

Im Northern Territory, dem riesigen Gebiet im Norden des Kontinents, wohnen die meisten Aborigines. Von Spiritualität ist in Darwin, der Hauptstadt des Territory, jedoch im Allgemeinen wenig zu spüren. Es ist eine Stadt mit 100.000 Einwohnern, breiten Straßen, Hochhäusern, Verwaltungsgebäuden. In den Museen und Galerien betrachten Weiße von Aborigines geschaffene Kunstwerke. Die Galerien gehören ebenfalls Weißen.

Es gibt sie aber, die Orte, an denen Aborigines direkt von der Vermarktung ihrer Kultur profitieren. Orte wie das Didgeridoo Hut. „Bouwuuuaaaauuuuu!“, dröhnt es durch den Laden. Genda, ein junger Musiker mit dunkler Haut und hellwachen Augen, bläst auf einem ausgehöhlten Baumstamm. Seine nackten Füße wippen im Rhythmus. Bald bildet sich eine Traube von Touristen um ihn.

Genda ist das gewohnt. Passiert fast immer, wenn er hier im Geschäft seines Freunds Dennis neue Didgeridoos ausprobiert. „Termiten schnitzen diese Instrumente“, erklärt Genda und lächelt: „Man muss die Baumstämme nur noch oben und unten abschneiden.“ Die meisten Bäume im nordaus-tralischen Busch seien hohl, von diesen Insekten zerfressen. Aber nur einer von tausend klinge wirklich gut.

Die gestohlene Generation

Die Wände des Ladens schmücken Gemälde indigener Künstler. Und auf Metallständern sind Dutzende mit Krokodilen, Echsen, Vögeln verzierte Didgeridoos aufgereiht.

Ein deutscher Urlauber mit Brille sucht sich einen armdicken hohlen Baumstamm aus und bläst mit voller Kraft hinein. Kein Laut dringt heraus. „Die Lippen flattern lassen“, erklärt Genda, „wie Kinder, die Autos nachahmen.“ Als der Deutsche mit vor Anstrengung gerötetem Gesicht gerade aufgeben will, erklingen klägliche Brummtöne.

Genda ist im nordaustralischen Buschland geboren. Seine Familie hat ihn das uralte Wissen seines Stammes gelehrt. Eine Ausnahme. Unzählige Aborigines wurden ihren Eltern entrissen und ihren Traditionen entfremdet. Zu den Nachkommen dieser „stolen generation“ gehört auch der schweigsame Dennis, der vor einigen Jahren das Didgeridoo Hut eröffnet hat. Nicht zuletzt, um indigene Künstler zu fördern.

An der Fannie Bay, der wohl schönsten Stelle der Uferpromenade von Darwin, wo Eukalyptusbäume rosa blühen, lehnt Genda später an der Brüstung einer Aussichtsplattform und lässt seinen Blick über die Küstenlinie schweifen. „All dies hat einst die Regenbogenschlange geschaffen“, sagt er, „erst die Bucht, dann den Hafen.“ Er deutet mit der Hand auf einen gewaltigen Fels, der sich aus dem Meer erhebt. Hinter jenen Klippen habe es der Schlange besonders gut gefallen. Dort ruhe sie sich bis heute aus. Ein heiliger Ort der Aborigines.

Die sich ins Dasein sangen

Die Sonne ist inzwischen rotgolden im Ozean versunken. Genda erzählt noch immer von der „Traumzeit“, in der alles erschaffen worden sei: Aus einer finsteren Ebene, über der sich ein nackter Himmel wölbte. Die Ahnen kamen damals – von der Regenbogenschlange erweckt – aus dem Boden, erzählt er, begannen weite Wanderungen, und sangen die Welt mit magischen Liedern ins Dasein. Wenn sie müde wurden, legten sie sich an markanten Orten in der Landschaft zur Ruhe. So wie die Regenbogenschlange auf dem Felsen vor Fannie Bay.

Andere Ahnen ruhen, so die Legende, in heiligen Felsgrotten im heutigen Kakadu-Nationalpark. 200 Kilometer östlich von Darwin liegt dieser Park. Er gilt als Symbol für ein neues, gerechteres Australien. Denn das Gebiet, größer als Schleswig-Holstein, wird von Weißen und Aborigines gemeinsam verwaltet. Knapp 2000 Menschen leben das ganze Jahr über hier – und hundertmal so viele kommen als Besucher, um einen Einblick in das traditionelle Leben der indigenen Bevölkerung zu bekommen. In das Leben von Menschen wie Mandy Muir.

Die junge Aborigine mit den langen schwarzen Haaren watet durch den Schlamm. Bis zu den Knien steht sie im Morast und jagt am Ufer eines Flüsschens nach Wasserschildkröten. Plötzlich hält sie ein strampelndes Tierchen mit schlangenförmigem Hals in die Luft. „Langnackenschildkröten!“, ruft Mandy triumphierend: „Gestern habe ich 40 Stück gefangen!“ Sie zeigt auf die fetten Schenkel der Schildkröte: „Yammy!!“

Mandy ist Anfang 30, klein und hat ein ansteckendes Lachen. Sie trägt ein dunkles T-Shirt und einen bunt gescheckten Rock. In Darwin ging sie aufs Gymnasium. Doch anstelle einer Karriere in der Stadt kehrte sie in den Busch zurück. Hier lebt sie von der Jagd. Und vom Fremdenverkehr: Allein im vergangenen Jahr kamen 700 Urlauber, um bei ihr das traditionelle Flechten von Armreifen und Körben aus Palmblättern zu lernen.

Plötzlich steigen im seichten Wasser des Uferbereichs verdächtige Luftblasen auf. Gibt's hier etwa Krokodile? Mandy nickt: Fünf oder sechs leben derzeit im Flüsschen. Doch sie beruhigt: „Wir Buschleute können Krokodile riechen.“

50.000 Jahre alte Malereien

Im Überschwemmungsgebiet Yellow Water, etwas weiter westlich, können Touristen – von einem sicheren Boot aus – Krokodile beobachten. Und Mandy führt manche ihrer Gäste auch zum Ubirr Rock: zur Hauptattraktion des Nationalparks. Die Felsformation birgt die wohl älteste Gemäldegalerie der Welt. Mit bloßen Fingern, Zweigen und Pinseln aus Menschenhaar haben indigene Künstler sie auf Steinwände gebannt. Manche der Malereien sind 50.000 Jahre alt.

Skizzen von Picasso?

An einer Steinwand prangen Manifeste der Fruchtbarkeit: Goanas, Krokodile und Kängurus mit riesigen Geschlechtsteilen. An einem weiteren Felsen leuchten rennende, mit Speeren bewaffnete Krieger – mit wenigen Pinselstrichen in vollem Lauf auf der Steinwand verewigt. Der Stil erinnert an Skizzen von Pablo Picasso.

Später an diesem Abend sitzt Mandy mit einer Gruppe von Urlaubern im Schneidersitz auf der Wiese vor ihrem Holzhaus. Männer und Frauen aus Europa flechten nach ihrer Anleitung aus Palmblattfasern Armreifen. Ihr Sohn Travis bläst dazu auf dem Didgeridoo. Unter der Woche geht er in Darwin aufs Internat. Mandy kann seine Ausbildung nicht zuletzt dank der Einnahmen aus den Handarbeitskursen im Busch finanzieren. Und so wie sie und ihre Familie profitieren allmählich immer mehr Aborigines von der Sehnsucht vieler Europäer nach einem ursprünglicheren Leben.

LEBEN WIE GESTERN

Anreise: Wien–Darwin–Wien (via Frankfurt oder London) kostet bei Qantas, zeitgerecht lange im Voraus gebucht, rund 1500 Euro (T 01/587 77 71, www.quantas.com).

Kakadu-Nationalpark: 200 km östlich von Darwin, größter Nationalpark Australiens, UNESCO-Weltnaturerbe und Schatzkammer der indigenen Kultur. Auf Bootsfahrten bei Yellow Waters kann man Salzwasserkrokodile beobachten. Zahlreiche Veranstalter bieten geführte Touren in den Park an. Z. B. Odyssey Tours & Safaris: drei- und fünftägige Entdeckungsreisen, www.odysaf.com.au

Didgeridoo Hut: www.didgeridoohut.com.au

Weitere Informationen: Tourism NT in Frankfurt am Main erteilt Auskünfte zum Urlaub im nordaustralischen Outback sowie zu Safarireisen auf den Spuren der indigenen Traditionen; T 0049/69/274 00 618, weitere Hinweise auch unter: www.australiasoutback.de und http://de.travelnt.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2008)

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