Die Offenbarungen des Kommandanten Strelkow

Ein Jahr nach der russischen Invasion der Krim werden immer mehr Details der Geheimoperation bekannt. Ein zentraler Akteur von damals, Igor Girkin, spricht in Interviews offen über die bewaffnete Machtübernahme.

Dass die Krim sich heute in russischer Hand befindet, ist Ergebnis einer Geheimoperation, an der russisches Militär, Geheimdienstler und prorussische Aktivisten beteiligt waren. Ein zentraler Akteur, der Moskauer Igor Girkin, hat zuletzt darüber berichtet, was sich in den Februartagen des Jahres 2014 auf der ukrainischen Halbinsel zugetragen hat. Girkin, der später unter dem Kampfnamen „Strelkow“ berühmt wurde, kam nach eigenen Angaben am 21. Februar 2014 auf die Krim.

Am 27. Februar 2014 stürmten frühmorgens Bewaffnete das Regionalparlament der Krim und erzwangen Veränderungen an der politischen Spitze der Autonomen Republik. Girkin stellte sich unlängst in einem Fernsehinterview als einer der Kommandanten dieser „Volkswehr“ dar. Der mutmaßliche frühere Offizier des russischen Militärgeheimdienstes GRU bestätigte damit, dass die Absetzung des bis dahin im Amt befindlichen Ministerpräsidenten Anatolij Mohiljow und die Machtübernahme des prorussischen Krim-Premiers Sergej Aksjonow unter Androhung von Waffengewalt vor sich ging – und keine freie oder geheime Wahl der anwesenden Parlamentarier war. „Die Volkswehr hat die Abgeordneten versammelt, sie in den Saal gedrängt, damit sie die Anordnung (über die Vereinigung der Krim mit Russland, Anm.) unterschreiben.“ Girkin schilderte weiter, dass die ukrainischen Sicherheitsbehörden in diesen Tagen vor allem eines waren: untätig. Aktiv angeschlossen hätten sich den russischen Kräften allerdings nur die Männer der ukrainischen Polizei-Spezialeinheit Berkut.

Nachdem Girkins Operation auf der Krim so erfolgreich verlaufen war, bekam er einen Trupp Männer – und zog mit ihnen in Folge in den Donbass, wo er die Stadt Slawjansk am 12. April nach ähnlichem Muster unter seine Kontrolle brachte. Seine Männer erbeuteten die Polizeiwache im Zentrum – und damit zahlreiche Waffen. Seine Einheit habe „das Schwungrad des Krieges angeworfen“, erklärte er noch Ende des vergangenen Jahres in einem Interview. „Wir haben alle Karten am Tisch neu gemischt. Und wir haben von Anfang an begonnen, ernsthaft Krieg zu führen.“

Später stieg Girkin zum Verteidigungsminister der sogenannten Volksrepublik Donezk auf – bis er Mitte August abgesetzt wurde. Als Verteidiger von Slawjansk hatte er versagt, die Separatisten mussten die Stadt Anfang Juli aufgeben, als die ukrainische Armee vorwärts rückte. Andererseits wurde die riesige Popularität Girkins dem Kreml wohl unheimlich: Er machte bereits Präsident Putin in Rankings Konkurrenz. Girkin ist nun zurück in Moskau, wo er im Oktober 2014 seine Bewegung Noworossija gegründet hat. In dieser Bewegung hat sich ein Teil der nationalistischen, großrussischen Szene konsolidiert, die seit der Krim-Krise enormen Zulauf erhielt und aus deren Reihen sich viele freiwillige Kämpfer im Donbass rekrutieren.

Gleichzeitig kontrollieren die russischen Sicherheitsbehörden diese Gruppen genau: Sie sind im Untergrund nützlich, aber sollen nicht zu mächtig werden. Girkin, der sich in der Vergangenheit bei Historienspektakeln gerne als General der Weißen Armee darstellte, sei ein „erfahrener Akteur in Sachen Eigen-PR“, sagt der russische Extremismus-Experte Nikolaj Mitrochin zur „Presse am Sonntag“. Warum er nun Einzelheiten, die für den Kreml nicht angenehm sind, der Öffentlichkeit preisgibt, erklärt Mitrochin mit den Worten: „Girkin wurde entfernt. Er hat verstanden, dass die russischen Behörden ihn ausgenutzt haben.“ Offenbar gilt für ihn kein eiserner Maulkorb, der ihn zum Schweigen zwingt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2015)

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