Josef Stalin

Der Urlaub des Despoten

Stalin
Stalin Reuters
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Zwischen Kaukasus und Schwarzem Meer. Der sowjetische Diktator liebte Abchasien, wo er mehrere Datschen errichten ließ. Heute kann man sie besuchen.

Stalin erwartet Sie“: Mit dieser halb höflichen, halb beunruhigenden Botschaft nahm der Assistent die Gäste meist in Empfang und wies sie Richtung Garten: Dort würden sie den alternden Diktator finden – beim Zitronenbäumestutzen oder Rosenschneiden. Und es konnte vorkommen, dass Stalin den Besuchern einen Vortrag über Botanik hielt. Etwa über seine Lieblingsblume, die Mimose.

Die Mitglieder des Politbüros hatten unterschiedliche Urlaubsvorlieben. Außenminister Wjatscheslaw Molotow schätzte die Krim. Stalin zog Abchasien vor, weil nahe am heimatlichen Georgien. Gleich mehrere Datschen ließ er erbauen. Er war so sehr von der kleinen Schwarzmeerrepublik begeistert, dass er während seiner letzten acht Jahre viel Zeit dort verbrachte. In „The Court of the Red Tsar“ berichtet der britische Historiker Simon Sebag Montefiore, dass Stalin einen Favoriten unter den fünf Ferienresidenzen hatte: Diese eine liegt bei Cholodnaja Retschka nördlich von Gagra und kann besichtigt werden.
Eine schmale Straße windet sich durch üppige Landschaft. Die Berge steigen schnell vom Schwarzen Meer auf. Eine Zypressenallee flankiert das letzte Stück bis zum Gut. Ein paar neugierige russische Touristen warten darauf, von den Soldaten hinterm Tor eingelassen zu werden. Abchasiens derzeitiger Präsident, Raul Chadschimba, nutzt den ersten Stock als Amtswohnung, darum die Sicherheitsvorkehrungen. Schnell wird klar, warum Stalin von dem Ort derart angetan war, dass er entschied, die Datscha zu seiner Heimat im Süden zu machen. Auf der Veranda öffnet sich ein Panoramablick aufs Schwarze Meer. Subtropische Vegetation polstert die Abhänge. Die Fassade in gedämpftem Grün fügt sich gut ein.

In dieser Isolation pflegte Stalin einen einsamen Tagesrhythmus: am mittleren Vormittag aufstehen, spätes Frühstück auf der Terrasse, nachmittags im Garten spazieren, bis spät in die Nacht lesen. Bücher, Zeitschriften und Stapel von Dokumenten lagen überall in der Datscha verstreut. Verschiedene Holzarten tauchen die Räumen in eine Fülle an braunen, roten und goldenen Schattierungen. Die Oberflächen glänzen glatt und lackiert. Entworfen hat die Datscha der Hofarchitekt Stalins, Miron Merschanow. Wenn der Despot Gäste empfing, lud er sie oft ins Kino des Hauses ein oder zu einem Billardspiel, das das Staatsoberhaupt der UdSSR angeblich gut beherrschte. Albert, ein junger Soldat des abchasischen Sicherheitsdienstes, begleitet durch die Räume. Weil ihn Wache allein wenig fordert, übernimmt er auch die Rolle als Reiseführer. „Vergangene Woche war eine chinesische Delegation hier, ihre Mitglieder stellten mir vielen Fragen. Die Datscha scheint historisch gesehen von besonderem Interesse für sie,“ schildert Albert.

Networken auf Sowjetisch

Stalin in Abchasien aufzusuchen war in der Sowjetunion der beste Weg zum Networking. Ein Besuch in den Datschen war entspannt, die Stimmung informell. Laut Historiker Montefiore wurden auf den sonnigen Terrassen mehr Karrieren geformt und mehr Intrigen geplant als im Kreml. Am schweren Ess- und Konferenztisch wird vorstellbar, wie es zuging, wenn die politische Führung nach Abchasien einlud: Das Abendessen wurde in die Länge gezogen, die Gäste hielten Reden und sagten Trinksprüche auf. Der Wirt ließ sich von seinen Mitverschwörern komplimentieren. Die berüchtigte Mannschaft um Stalin bestand neben Molotow aus dem Chef des Sicherheitsdienstes, Lawrenti Beria, dem Verteidiger Stalingrads, Nikita Chruschtschow, sowie den Ministern Anastas Mikojan und Lasar Kaganowitsch. Eine eng verbundene Gruppe, die privat verkehrte und gemeinsam Urlaub machte. Auch der beliebte Parteichef Abchasiens, Nestor Lakoba, nahm an der Runde teil – bis Beria ihn 1936 ermorden ließ. „Hätte es dich nicht gegeben, Genosse Stalin, dann hätte die UdSSR nicht gegen Trotzki gewonnen, nicht im Zweiten Weltkrieg gesiegt, nicht die Atombombe entwickelt oder ein solches Reich für den Sozialismus erobert“, lautete ein Trinkspruch Molotows. Stalins Entscheidung, die ehemaligen Parteikollegen Nikolai Bucharin und Alexei Rykow 1938 im Zuge der Moskauer Prozesse hinrichten zu lassen, gefiel einem anderen Gast, Privatsekretär Alexander Poskrjobyschew: „Du hattest recht gehabt, Stalin – wenn sie gewonnen hätten . . .“
Albert treibt die letzten Besucher an und leitet sie höflich Richtung Ausgang – eine weitere offizielle Delegation hat ihre Ankunft in Stalins Datscha angekündigt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.2.2017)

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