Das Welterbe Polens

Die Stadt Toruń bei Nacht.
Die Stadt Toruń bei Nacht.(c) Christian Schuhböck
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Das Land an der Ostsee kann zahlreiche Kulturdenkmäler sein Eigen nennen. Einige von ihnen wurden von der Unesco zum Welterbe der Menschheit erklärt. Die Stadt Thorn, Geburtsstätte des Astronomen Nikolaus Kopernikus, begeht heuer ihr zwanzigjähriges Welterbe-Jubiläum.

„Nicolaus Copernicus Thorunensis Terrae motor, Solis Caelique stator“ – diese Inschrift prangt an dem Sockel jener mächtigen Bronzestatue, die Nikolaus Kopernikus mit seiner rechten Hand zum Himmel weisend in der Professorenrobe und dem Astrolabium in der linken Hand darstellt („Nikolaus Kopernikus aus Thorn bewegte die Erde und hielt die Sonne und den Himmel an“). Der berühmte Astronom, Begründer des heliozentrischen Weltbildes, wurde 1473 in der Stadt Thorn (Toruń), einem bedeutenden Handelszentrum, geboren. Von 1491 bis 1495 studierte Kopernikus an der Krakauer Akademie Theologie, Jura, Medizin, Philosophie, Mathematik und Astronomie. Schon damals übten Krakauer Astronomen Kritik am geozentrischen Weltbild, wenngleich sie dieses nicht grundsätzlich ablehnten. Neben den akademischen Vorlesungen trug auch die intellektuelle und künstlerische Atmosphäre Krakaus zur Persönlichkeitsentfaltung des jungen Kopernikus bei. Als Administrator vom Ermland, einem Teil Nordpolens, seinen politischen, wirtschaftlichen und kirchlichen Verpflichtungen nachgehend, widmete er sich privat seinen Passionen – der Mathematik und Astronomie. Nach eingehendem Studium der Werke antiker und zeitgenössischer Philosophen und Astronomen sowie aufgrund eigener Beobachtungen entwickelte Kopernikus schließlich seine eigene Theorie. In seinem Hauptwerk, „Über die Umdrehungen der Himmelskörper“, an dem er seit 1515 gearbeitet hat, erläutert er seine Thesen, worin nicht die Erde, sondern die Sonne das Zentrum unseres Planetensystems bilde. Lange Zeit zögerte er mit der Veröffentlichung seines Werks, fürchtete er doch die Verdammung durch die Kirche. Denn das heliozentrische System erforderte eine Neuinterpretierung der Heiligen Schrift. Selbst der italienische Mathematiker und Physiker Galileo Galilei (1564–1642) musste 1633 einige Tage in Haft verbringen, hatte er sich gegenüber der Kirche zu sehr für die Anerkennung der kopernikanischen Lehre eingesetzt. Trotz Verurteilung und Abschwörung glaubte Galilei an die Thesen Kopernikus': „Eppur si muove“ (Und sie [die Erde] bewegt sich doch).

Flößerstatue, Froschsage

Nikolaus Kopernikus ist der berühmteste Sohn Toruńs, weshalb sich auch viele Produkte und Firmen der Stadt, angefangen vom köstlichen Pfefferkuchen bis hin zum Taxiunternehmen, gern mit seinem Namen schmücken. Die Kopernikus-Statue flankiert die südöstliche Seite des Altstädtischen Rathauses, eines zentral am Altmarkt gelegenen gotischen Baus, der zu den bedeutendsten Backsteinbauten dieses Typs in Europa zählt. Ältestes Element des Rathauses dürfte der mächtige, vierkantige Turm sein, der im Zuge des fünfjährigen Jubiläums der Eintragung Toruńs in die Unesco-Welterbe-Liste (1997) restauriert wurde. Die südwestliche Seite des kompakten Rathausbaus flankiert ebenso eine Statue, nämlich die des Flößers. Die Skulptur stellt einen Violine spielenden Flößerjungen dar, umkreist von Fröschen, die seinem Spiel lauschen. Die Statue spielt auf die in Toruń lebendige Sage an, wonach der Flößer die an der Weichsel gelegene Hansestadt von einer Froschplage befreit hat. Gegenüber dem Rathaus befindet sich der Artushof, ein ebenso imposanter Backsteinbau. Im ursprünglichen Gebäude, dem Sitz der (ehemaligen) Georgsbruderschaft, fanden städtische und staatliche Festlichkeiten statt, unter anderem der Friedensschluss zwischen dem polnischen König Kazimierz Jagiellończyk und dem Hochmeister des Deutschen Ritterordens Ludwig von Erlichshausen, der sogenannte Zweite Thorner Frieden. Er beendete 1466 den Dreizehnjährigen Krieg, in dem die Thorner Bürger 1454 die Ordensburg zerstörten, wovon heute nur noch Reste existieren.

Eindrucksvolle Burganlage

Ganz im Gegensatz dazu befindet sich rund 140 Kilometer nördlich von Toruń, unweit der Ostsee, die größte noch erhaltene Burg des Deutschen Ritterordens – Marienburg (Malbork). Der ebenfalls 1997 zum Unesco-Welterbe ernannte mächtige Backsteinbau war von 1309 bis 1466 Hauptsitz der Deutschen Ordensritter und ist eine der eindruckvollsten mittelalterlichen Burganlagen Europas. Die Schäden aus dem Zweiten Weltkrieg konnten in den 1960er- und 1970er-Jahren behoben werden.

Die schwersten Schäden richtete der Zweite Weltkrieg in der Hauptstadt Polens an. 1945 waren am Tag der Befreiung mehr als Dreiviertel der Gebäude dem Erdboden gleichgemacht. Mit enormem Aufwand begann das polnische Volk den Wiederaufbau und vollendete die gelungene Restaurierung der historischen Bauwerke aus der Zeit der Gotik bis zum Klassizismus. Die Unesco würdigte diese Leistung und trug die Altstadt Warschaus (Warszawa) trotz der nicht mehr gegebenen Authentizität (historischen Echtheit) 1980 in die Welterbe-Liste ein. Das Zentrum der Altstadt bildet wiederum der Marktplatz; das ab 1971 rekonstruierte frühbarocke Königsschloss dominiert den Schlossplatz mit der 1633 aufgestellten Sigismundsäule.

Gedenkstätten

Die Gräuel des Zweiten Weltkriegs spiegeln sich insbesondere im Konzentrationslager Auschwitz (Oświęcim) wider, das die Unesco als Mahnmal der menschenverachtenden Herrschaft der Nationalsozialisten bereits 1979 zur Welterbestätte erklärt hat. „Arbeit macht frei“ verheißt die Aufschrift am Eingangstor in das größte der zahlreichen Vernichtungslager, aus dem es für vier Millionen Menschen jedoch kein Zurück mehr gab. Ihr Leben endete in den „Badeanstalten“, Leichenkellern und Krematorien, die die „Endlösung“ herbeiführen sollten: die völlige Vernichtung der europäischen Juden.

60 Kilometer östlich von Oświęcim liegt Krakau (Krakow; seit 1978 Welterbe), bis 1596 Hauptstadt und vom elften bis zum 18. Jahrhundert Krönungsort der polnischen Könige. Auf dem Marktplatz, einem der größten Stadtplätze des Mittelalters, stehen die Tuchhallen und die gotische, im 14.Jahrhundert umgebaute Marienkirche mit ihren unterschiedlichen Türmen und dem berühmten Hochaltar von Veit Stoß. Der an der Weichsel (Wisła) gelegene Wawel mit dem Königsschloss dominiert das Panorama der Kulturhauptstadt Polens.

Im Vorortbereich von Krakau liegt in mehr als 100 Metern Tiefe das 1978 zum Welterbe ernannte Salzbergwerk Wieliczka. Über eine Länge von 288 Kilometern erstrecken sich unterirdisch die auf neun Ebenen verlaufenden Bergwerksstollen, deren Schmuckstücke eine riesige Kapelle, zahlreiche aus Salz gemeißelte Altäre und Skulpturen sind. Die Welterbestätte wurde 2013 um das unweit entfernt gelegene Salzbergwerk Bochnia erweitert. Im Süden Krakaus breitet sich Kalwaria Zebrzydowska aus (seit 1999 Welterbe), eine Nachbildung Golgathas bei Jerusalem. Mit 42 Kirchen und Kapellen ist der Kalvarienberg ein wichtiges Pilgerziel der Polen. Ebenso zum Welterbe zählen mittlerweile die Jahrhunderthalle in Breslau (Wrocław), die außergewöhnlichen Friedenskirchen in Jauer (Jawor) und Schweidnitz (Świdnica) sowie die Holzkirchen im Süden Kleinpolens und in den Karpaten.

Polens einzige Weltnaturerbestätte ist der Nationalpark Białowieża, der grenzüberschreitend zu Weißrussland als nahezu menschenleere Urwaldregion das in Mitteleuropa bereits ausgerottete Wisent mit rund 300 Exemplaren beheimatet. Als eine der ersten Idealstädte Europas gilt Zamość (seit 1992 Welterbe). Die um die Marktplätze errichteten Bürgerhäuser beeindrucken durch Laubengänge und schöne Fassadenornamente.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2017)

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