Baltikum: Der Untergrund federt mit

Lahemaa-Nationalpark in Estland
Lahemaa-Nationalpark in Estland(c) imago/Westend61 (imago stock&people)
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Wanderungen durch die Nationalparks von Estland, Lettland und Litauen führen über Ebenen voll Moor und über Berge aus Sand.

Raivo, Ranger im Lahemaa-Nationalpark, lädt komische Plastikteile aus seinem Kombi und verteilt sie an die wartenden Wanderer. Das sollen Moorschuhe sein? Sie sehen wie Schneeschuhe aus. „Früher gingen die Esten mit ähnlichen Schuhen Beeren pflücken, Heu machen oder die Nachbarn am anderen Ende des Moors besuchen“, erklärt Raivo. „Mit ihnen sinkt man nicht so schnell ein.“ Vorsichtshalber bleibt er mit der Gruppe am Rand, denn trotz der Moorschuhe würden auf sehr sumpfigem Boden nur die Ersten hinter ihm durchkommen. „Für die Letzten kann ich nicht garantieren“, scherzt er. Ungewohnt ist es, auf so großen Füßen durchs Gelände zu gehen. Mancher stolpert, aber der Boden ist weich und federnd. Souverän schreitet die lettische Wanderführerin Aija über graue, gelbe und grüne Torfmoose voraus – sie wird die ganze Reise durchs Baltikum begleiten. Raivo drückt etwas Moos aus und demonstriert, wie viel Wasser es enthält. Heißt es doch bei Droste-Hülshoff: „Unter jedem Tritte ein Quellchen springt . . .“ Schaurig ist der Moormarsch aber nicht, den Rückweg durch den Kiefernwald nutzen viele, um Heidelbeeren zu naschen.

Die Wanderung endet beim Herrenhaus Palmse, das sich bis 1923 im Besitz der deutschbaltischen Familie von der Pahlen befunden hat. Das restaurierte Herrenhaus ist heute der Sitz der Verwaltung des Lahemaa-Nationalparks. Das Schutzgebiet wurde 1971 als erster Nationalpark im Baltikum gegründet, um die nordestnische Landschaft mit ihrem Ökosystem und ihrer Artenvielfalt für künftige Generationen zu erhalten. Einige vom Aussterben bedrohte Tiere wie Moorschneehuhn, Schwarzstorch und Nerz haben hier Zuflucht gefunden, zumal es Totalreservate gibt, die nicht von Menschen betreten werden dürfen. Dadurch hat sich seit der Unabhängigkeitserklärung Estlands ein sanfter Tourismus entwickelt, in den die früheren Güter Palmse, Sagadi und Vihula als restaurierte Gästehäuser einbezogen wurden.

Dörferverschlingende Dünen

Der meistbesuchte Nationalpark ist die Kurische Nehrung, wegen seiner einzigartigen Dünen- und Küstenlandschaft Unesco-Weltkulturerbe. Dieser 100 Kilometer lange Landstreifen, von dem heute 52 Kilometer zu Litauen und der Rest zu Russland (Oblast Kaliningrad) gehören, trennt das Haff mit seinem Süßwasser von der Ostsee. Vom idyllischen Fischerdorf Nida mit seinen blauen und rotbraunen Holzhäusern führt eine Treppe hinauf zur Hohen Düne, mit über 50 Metern eine der größten Europas und mit Strandhafer und Heckenrosen bewachsen. Durch frühere rigorose Abholzung waren auf der Nehrung Wanderdünen entstanden, die ganze Dörfer unter sich begraben haben. Es ist ein Genuss, durch den feinen weißen, windgeformten Sand zu wandern. Man glaubt sich in der Sahara, schrieb Literatur-Nobelpreisträger Thomas Mann, der zum Haff hin ein hübsches Sommerhaus besaß. Zwischen Gräsern leuchtet purpurfarben Tausendgüldenkraut. Etwas weiter sind ganze Flächen mit den hellblauen Köpfen der Skabiose durchzogen. Hinter Heide und Kiefernwald liegt schließlich der breite Strand der Ostsee, in deren Wellen sich trotz 16 Grad etliche Badende tummeln.

Der größte Nationalpark des Baltikums, Gauja, ist etwa 60 Kilometer von der lettischen Hauptstadt, Riga, entfernt. An seinem Rand liegt die kleine Stadt Sigulda, „das Herz der lettischen Schweiz“. In diesem hügeligen Gebiet fahre sie Ski, erzählt Aija und verweist auf die Bob- und Rodelbahn, auf der sogar Weltcuprennen stattfinden. Vom bewaldeten, teilweise sumpfigem Ufer der träge fließenden Gauja, Lettlands längstem Fluss, sieht man zwar schon das Tagesziel. Doch bis zur Burg Turaida geht es noch lang bergauf durch naturbelassene Wälder. Erster Stopp ist die Schwertritterburg Sigulda, wo eine von der Republik Georgien spendierte Seilbahn die tiefe Schlucht (ein Urstromtal der Gauja) zum Schloss Krimulda überwindet. Nicht weit davon befindet sich die Gutmannshöhle mit ihrer Quelle. Der Legende nach wurde das Wasser von einem „guten Mann“ an Pilger als heilkräftig verteilt. Eine weitere Geschichte erzählt von der schönen Maja, die darin umgebracht wurde. Begraben ist die „Rose von Turaida“ unter einer Linde im Gelände der mittelalterlichen Bischofsburg Turaida, die nach zehn Kilometern Fußmarsch erreicht ist.

Nationalparks schließen den Menschen nicht aus, auch wenn darin die Natur zum großen Teil sich selbst überlassen bleibt. So gilt die litauische Seenlandschaft um die sehenswerte mittelalterliche Wasserburg von Trakai ebenfalls als schützenswert, was bei der Flut von Touristen und Erholungs-suchenden sicher nicht ganz einfach ist. Die Wasserburg und die nah gelegene Stadt Trakai gehören zum gleichnamigen Nationalpark.

Stille Hügel, ruhige Seen

Das größere Schutzgebiet, der Aukštaitija-Nationalpark im Nordosten Litauens, ist dagegen fast menschenleer. Vom Imkereimuseum Stripeikiai aus führt Aija durch uralte Kiefern- und Eichenwälder. Umgefallene Bäume bleiben einfach liegen. Die sanften Hügel wurden in der Eiszeit geformt. Die Luft ist klar und rein. Zwischen Laubbäumen blinzeln immer wieder Wasserflächen hervor: an die 126 kristallklare Seen. Schon früh haben sich hier Siedler niedergelassen. Und ab und zu trifft man auf der zehn Kilometer langen Wanderung auf Holzhäuser, die im Sommer bewohnt sind. Von Wölfen, Luchsen und Elchen, die es auch geben soll, keine Spur.

BALTISCH WANDERN

Infos zu Litauen: www.lithuania.travel

Lettland:www.latvia.travel/de

Estland:www.visitestonia.com

Anbieter: Die Alpinschule Innsbruck bietet die Reise „Das Baltikum gemütlich erwandern“ an, www.asi.at

Baltikum u. a. auch bei Kneissl Touristik, www.kneissltouristik.at

Übernachten: Ferienanlage Levalaukis: Bauernhof beim Dringis-See, beim Aukštaitija-Nationalpark, www.levalaukis.lt

Nerija Hotel in Nida, neben einem Kiefernwald, www.neringahotels.lt

Konventa Seta in Riga, in einem ehemaligen Konvent, www.hotelkolonna.com/konventa-seta

Hotel Apardjods in Sigulda, Hotel aus einzelnen reetgedeckten Häusern, www.hotelaparjods.lv

Arensburg Boutique Hotel auf der Insel Saaremaa, nahe der Bischofsburg, www.arensbugr.ee

Gutshof Sagadi Manor, historisches Anwesen im Norden Estlands – im Lahemaa-Nationalpark, www.sagadi.ee

Park-Hotel Palmse, stilvolles Ambiente, bodenständige estnische Küche, www.phpalmse.ee

Essen: Krimuldas pagasts: Blockhaus an einem Teich, unweit der Burg Turaida. Hervorragendes Essen, info@kungurija.lv

Trahter Postipoiss in Pärnu: gute russische Küche, www.trahterpostipoiss.ee

Lahemaa Kohvikann: deutsch-russische Gastgeber, ausgezeichnete saisonale Küche, www.kohvikann.ee

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2017)

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