Schweiz: Mit dem Roller über die Alpen

Start der Töffli-Tour ist mitten im Graubündner Chur.
Start der Töffli-Tour ist mitten im Graubündner Chur.Graubünden Ferien/Chur Tourismus Switzerland Tourism/Ivo Scholz
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Braucht Sitzfleisch, macht Freude: Töffli-Touren führen von Chur über den San-Bernardino-Pass an den Lago Maggiore nach Ascona. Und mit einer Vespa 946 sind Höhenmeter und Distanz gar kein Problem.

Das Töff ist schon in der Garage für Sie bereit“, flötet die Hotelrezeptionistin in Chur. Wie bitte? Töff? Eine Vespa 946 steht dort, strahlend weiß mit knallrotem Sattel. Töff ist Schweizerdeutsch und nicht abwertend gemeint. Das chromglänzende Gefährt, das sich preislich nicht wesentlich von einem Kleinwagen unterscheidet, ruft bei Designfans Begeisterung hervor und ist auf den Straßen von Graubündens Hauptort ein echter Hingucker. Doch schafft es auch Alpenpässe über 2000 Meter? Keine Frage, wie sich schnell herausstellen wird. Die Alpentour über den San-Bernardino-Pass ist auch die Route einer Schweizer Töffli-Tour, bei der meist über 100 Mofas teilnehmen. Allerdings sind diese Gefährte so getunt, dass praktisch alle die offizielle Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h überschreiten. Nicht wenige knattern mit 60 km/h die gut ausgebauten Landstraßen entlang. Manche sind recht betagt und hatten ihre Jugend in den 1970ern oder 1980ern, genau wie ihre Fahrer. Auch ein Velosolex, also ein Fahrrad mit Hilfsmotor, hat sich unter die bunte Schar gemischt.

Serpentinen, ganz locker

Startpunkt ist der Arcas, der Altstadtplatz in Chur, der ältesten Stadt der Schweiz. Morgens um sieben Uhr geht es los, denn die Route ist lang. Um 17 Uhr soll der Zieleinlauf im 150 Kilometer entfernten Ascona sein. Die Beschleunigung der Vespa ist zwar nicht gerade rekordverdächtig, doch auf der Landstraße im breiten Tal schnurrt der Roller vor sich hin.

Erster Haltepunkt ist die Viamala-Schlucht – Zeit für einen klitzekleinen Schluck Röteli. Das ist der Likör aus dem Tessin, der seine rote Farbe von Kirschen erhält, dazu sind Alpenkräuter gemixt. Nach und nach treffen die Töfflis ein, bis hier haben alle durchgehalten. Durch malerische Dörfer so urtümlichen Namen wie Rongellen, Zillis-Reischen oder Clugin geht es hinauf auf den berühmten San-Bernardino-Pass. Die Serpentinen nimmt die Vespa locker, hier zeigt der Motor seine ganze Agilität. ABS-System und Traktionskontrolle hat er serienmäßig. Der Verbrauch liegt bei sparsamen drei Litern Superbenzin auf 100 Kilometer, auch im bergigen Gelände. Der Flitzer macht sich gut für ein Erinnerungsfoto am offiziellen San-Bernardino-Gipfelschild mit der Höhenbezeichnung 2066Meter. Auch die Töfflis, die die Steigungen erstaunlich gut meistern, halten hier zum Erinnerungsselfie. In der Mittagssonne rollt man dann gemächlich talwärts. Zur Stärkung gibt es in einem Grotto, so heißen die Tessiner Gastgärten, Jause und ein kühles Bier. In Ascona ist der Zielpunkt das Hotel Eden Roc direkt am Seeufer. Hier scheint es fast immer Sommer zu sein, das mediterrane Klima lässt zumindest Palmen wachsen. Der grau melierte Fahrer eines blankpolierten Aston Martin, der gerade vor das Hotel vorfährt, staunt nicht schlecht, als er von einer Schar knatternder Mopeds umzingelt wird. Die Mofapiloten mit ihren Helmen – das ist die Schweizer Höflichkeit – werden hier genau so behandelt wie jeder andere Hotelgast auch. Zur gleichen Zeit findet an der Seepromenade ein Harley-Davidson-Treffen statt – doch die Kerle in Lederkluft haben mit den Töffli-Fahrern so viel gemeinsam wie der Eurovision Song Contest mit einem Sinfoniekonzert.

In der Abendsonne geht es dann mit dem Töff durch die kleinen Altstadtgassen von Ascona, auch ins fünf Minuten entfernte Locarno lohnt sich der Abstecher. An der Piazza Grande herrscht südliches Leben. Die vor dem Straßencafé geparkte Vespa fällt sogleich zwei älteren Herren auf, die mit einer Fachsimpelei anfangen.

Der zweite Tag ist für Seetouren entlang des Lago Maggiore reserviert. Da das Gefährt gemietet ist, darf man nur auf der Schweizer Seite fahren, also bis Brissago. Die Straße schlängelt sich hier die ganze Zeit direkt am Ufer entlang, rechts die mondänen in den Hang gebauten Villen, links der See. Palmen und üppiges Grün – die Hügel rundum sind alle dicht bewaldet – sorgen für herrliche Fotomotive. Im See könnte man natürlich baden, und es ließen sich das Maggiatal, das Centovalli oder Valle Onsernone erkunden. Doch vorher geht es noch einmal in ein Grotto, diesmal ins Grotto Ticinese, um die Spezialität zu probieren: Risotto mit Merlot und Radicchio. Auch die Bratwürstel hier sind sagenhaft und sehr herzhaft. Mit dem Töff braucht man nicht einmal einen Parkplatz zu suchen – es wird direkt vor der Eingangstür abgestellt.

BERGWERTUNG

Info: Eine Töffli-Tour gibt es jedes Jahr im Mai ab Chur nach Ascona. Dabei handelt es sich um kein Rennen, sondern um einen „Ausflug“ Gleichgesinnter auf 150 Kilometern. Die Strecke über den berühmten San-Bernardino-Pass von Graubünden bis ins Tessin ist auch so reizvoll.

www.myswitzerland.com

Vespas zum Mieten: Ranzoni Moto SA,

Piazzale Cinque Vie, 6600 Locarno.

Buchtipp: „Schweiz“ von Geraldine Friedrich im Marco-Polo-Verlag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2017)

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