Nordrhein-Westfalen

Der Sternenkrieger der Nordeifel

Die Eifel von oben
Die Eifel von oben www.vogelsang-ip.de
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Im stillen und dunklen Sternenpark Nordeifel bestaunen Besucher die Wunder des Nachthimmels. Und eine schwierige Hinterlassenschaft aus der deutschen Geschichte dazu.

Mit seinen Gästen erkundet Harald Bardenhagen die längste Straße der Welt. Wie ein leuchtender Henkel spannt sich die Milchstraße hoch über den Erdball, und mit einem flaschengrün funkelnden Laserpointer zeichnet der 59-jährige Astronom die Stationen einer Reise durch den Kosmos nach: Hier das gestreckte W der Kassiopeia, dort der Stern Wega und das markante Sommerdreieck, die im Sommer gut sichtbare Konstellation von Wega, Deneb und Altair. Und natürlich der Große Wagen, jenes himmlische Nutzfahrzeug, das seit undenklichen Zeiten als Orientierungsgeber dient.

Die Himmelskunde war das erste Navigationssystem der Menschheit. Steinzeitjäger, Seefahrer und Wüstennomaden vermochten sich auch über weite Strecken danach zu richten. Etwas von dieser archaischen Verbundenheit mit dem Kosmos wird wieder wach, wenn Harald Bardenhagen zur „Astronomie-Werkstatt“ lädt. Mit uns hat sich ein Dutzend Gäste auf einer Waldwiese hoch droben bei Vogelsang im Mittelgebirge der Nordeifel eingefunden. Seit 2004 firmiert das dünn besiedelte Bergland in Nordrhein-Westfalen als Nationalpark, und kürzlich erhielt es auf seine Initiative hin auch noch das internationale Gütesiegel eines Sternenparks, als eine von nur wenigen International Dark Sky Places in Europa.

Dunkelheit schärft die Sinne

Es geht auf Mitternacht zu. Die Dunkelheit schärft die Sinne: für die duftende Blumenwiese, das schrille Zirpen der Heuschrecken, die huschenden Schemen der Fledermäuse. Am Abend hat unser Gastgeber zwei Teleskope sowie ein riesiges Fernglas installiert, das allein schon 50 Kilogramm wiegt. Doch schon mit bloßem Auge ist der Himmel eine wahre Pracht: So unfassbar viele Sterne! So hell! So nah! Wir bekommen ein fast verloren gegangenes Gut zurück. „So reich bestückt habe ich den Himmel zuletzt nach dem Krieg erlebt“, bekennt eine 85-jährige Dame aus Bonn, die bereits das fünfte Mal teilnimmt.

Künstliches Licht zensiert die Sterne. Selbst in klaren Nächten glimmt über den Städten nur ein mattes Häuflein am Himmel. Satellitenfotos zeigen denn auch ein dichtes Lichtgespinst über den Benelux-Ländern, dem Rheinland und dem Ruhrgebiet. Doch mittendrin klafft ein schwarzes Loch, das offenbar kaum Licht ins Weltall abstrahlt – das Herz der Eifel in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz.

Ohne dass jemand es berührt hätte, richtet das Spiegelteleskop sich wie ein Geschütz auf das gewählte Ziel aus: den Saturn. Den Paradeplaneten. Jeder will ihn sehen, jeder sein Ringsystem bestaunen. In der Draufsicht wirkt er wie ein Sombrero, den ein Mexikaner im Übermut an den Himmel geworfen hat. Die anderen beiden Geräte nehmen fernere Objekte ins Visier: Kugelsternhaufen und Rote Riesen.

Sperrgebiet wird Nationalpark

Drei Stunden lang lauschen die Teilnehmer den Erläuterungen ihres „Sternenrangers“, der zum Welterklärer wird. Am Ende gehen auch noch Sternschnuppen nieder. Die Nacht lässt nichts zu wünschen übrig.

Vor zwölf Jahren wurde hier auf den Höhen der Eifel eine Tarnkappe gelüftet. Bis dahin lag die Gegend nahe der belgischen Grenze verborgen inmitten eines riesigen Sperrgebiets. Die belgischen Streitkräfte hatten es seit Kriegsende als Truppenübungsplatz genutzt. Die Natur blieb sich selbst überlassen und musste nur gelegentliche Panzermanöver über sich ergehen lassen. Nach dem Abzug der alliierten Truppen wurde das Gelände dann zum Herzstück des Eifel-Nationalparks.

Kaderschmiede der SS

Unter der Tarnkappe kam allerdings ein schweres Erbe zum Vorschein. Hoch über dem Urftsee war während des Dritten Reichs eine Kaderschmiede für den Nachwuchs der NSDAP und SS entstanden, ein martialisches Refugium mit Wachturm, Sportanlagen, wuchtigen Wohnquartieren, Thingstätte und Bunkern. Es trägt ganz bewusst den unverfänglichen Namen Vogelsang und ist den Trutzburgen des Deutschen Ritterordens nachempfunden.

Was tun mit einem solchen Vermächtnis? Noch dazu, wenn es nach dem Kölner Dom den größten Baukomplex der gesamten Region bildet? Eine Reihe von Institutionen und Initiativen versucht, den Ort quasi zu entgiften und seinem beklemmenden Geist eine positive Botschaft entgegenzusetzen. Vor ein paar Monaten hat nun auch das Besucherzentrum des Nationalparks dort oben eröffnet, und eine umfangreiche Ausstellung dokumentiert die Bestimmung der einstigen NS-Ordensburg. Das Rote Kreuz hat ein „Humanitarium“ eingerichtet, ein Museum der Menschlichkeit. Astronomie ist per se universell und passt ebenfalls gut in das Konzept, Vogelsang zu einer internationalen Begegnungsstätte zu machen. Das nostalgische Kino der belgischen Truppen beherbergt bereits eine Ausstellung über den „Verlust der Nacht“.

Das ist Bardenhagens großes Thema. Gemeinsam mit den Kommunen versucht er in geduldiger Kleinarbeit, die Lichtemissionen zu reduzieren, um die Auszeichnung als Sternenpark auch zu behalten. Die Ritterburg von Heimbach etwa wird allnächtlich angestrahlt. Bardenhagen hat erreicht, dass die Scheinwerfer gezielter ausgerichtet und mit Blenden versehen wurden und dass die Beleuchtung um 23 Uhr erlischt. Wenn er so als Missionar der Finsternis über die Dörfer zieht, wird er manchmal komisch beäugt. „Da kommt ja unser Sternenkrieger“, heißt es. Doch immer mehr Gemeinden machen mit.

Stählerne Schneckenhäuser

Am folgenden Nachmittag begleiten wir ihn zu einigen seiner Lieblingsplätze in der Eifel. Charakteristisch ist der abrupte Wechsel zwischen heideartigen Hochflächen und dicht bewaldeten Tälern. Im Herzen des Nationalparks kommen dann noch fjordartige Stauseen hinzu. Die Urfttalsperre wurde bereits vor über hundert Jahren errichtet und wirkt wie geschaffen für einen James-Bond-Film. Das dazugehörige Kraftwerk Heimbach war damals das größte und modernste in Europa. Bis heute beeindruckt der weiße, orientalisch anmutende Prachtbau als ein Tempel der Technik. Stählerne Schneckenhäuser bergen die Generatoren, die Schalttafeln prunken mit Marmor und Mahagoni. „Die Eifel war eine Pioniergegend“, erklärt Bardenhagen. „Früher als in mancher Großstadt hatte man hier elektrisches Licht.“

Der Griff nach den Sternen

Die Fahrt geht über kurvige Waldstraßen, die stellenweise ein fast alpines Gefälle aufweisen, und das am Rand der Norddeutschen Tiefebene! In Mariawald, einem Trappistenkloster, dessen Mönche sich einem strengen Schweigegelübde unterworfen haben, legen wir eine Pause ein. Kosten den berühmten Käse und genießen die demonstrative Ruhe, die über der Anlage liegt. Dunkle Orte sind auch stille Orte – auf Tuchfühlung mit den Rhythmen der Natur.

Bei einbrechender Dunkelheit nimmt Bardenhagen dann in den umliegenden Dörfern Lichtmessungen vor. Bei nächster Gelegenheit wird er sich mit Bürgermeistern oder Fabrikdirektoren unterhalten, ob sich die Beleuchtung nicht schonender und nachhaltiger gestalten ließe.

Dann geht es erneut hinauf nach Vogelsang. Es wird Zeit, die Instrumente aufzubauen. Eine Schulklasse hat sich angemeldet. „Sie erleben hier oben, dass Dunkelheit nichts Schlimmes ist, sondern natürlich und interessant. Der Großteil der Stadtkinder hat überhaupt noch nie die Milchstraße gesehen.“ So gerät seine „Astronomie-Werkstatt“ zur kosmischen Heimatkunde und zum Naturerlebnis dazu. Auch wenn manche ihn für einen Spinner halten – wer einmal an einer solchen Himmelsschau teilgenommen hat, geht fortan bewusster mit Licht um. Und kann die nächste sternklare Nacht kaum erwarten.

Auf einen Blick

Anreise: Von Köln aus ist es mit dem Auto eine gute Stunde Fahrt bis in den Nationalpark. Von Aachen und vom Eifelbahnhof Kall aus fahren auch Shuttlebusse hinauf, allerdings nur tagsüber und in langen Abständen.

Unterkunft: Vor Kurzem eröffnete direkt auf dem Gelände von Vogelsang in einem der einstigen Kameradschaftshäuser das kleine, flotte Gästehaus K 13: www.gaestehaus-k13.de

Nationalpark: 2004 gegründet, gehört die Eifel zu den jüngeren Schutzgebieten in Deutschland und ist als sogenannter Zielnationalpark noch in einem längeren Renaturierungsprozess begriffen. Ausführliche Informationen unter www.nationalpark-eifel.de und www.vogelsang-ip.de

Sternenschau: Weitere Auskünfte über den Sternenpark und Harald Bardenhagens „Astromie-Werkstatt“ gibt es unter www.sternenpark-nationalpark-eifel.de und www.sterne-ohne-grenzen.de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2017)

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