Bayern: Mit den Fichtenstämmen die Isar entlang

Die Isar
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Die Fichten haben nur ein kurzes Zeitfenster, um geschlagen zu werden. Und eine viel längere Fahrt vor sich: In Lenggries geht es traditionell aufs Floß. Dann zeigt die Isar ihre Kräfte.

Morgens gegen fünf Uhr 30. Die aufgehende Sonne müht sich gegen den Frühnebel. Das Grün der Isar ist im Dämmerlicht nur zu erahnen. Der Fluss plätschert in Wolfratshausen, südlich von München, vor sich hin. Eine trügerische Ruhe. In wenigen Minuten wird der Langholztransporter anrollen, sein Gut abladen. Zeit für die Handvoll Männer am Ufer, zu ihren langstieligen Äxten zu greifen. „Das ist unser einziges Werkzeug. Mit der Schneide fangen wir die Bäume und drehen sie, mit der Rückseite, dem Schlaghaus, werden die Eisenkellen ins Holz hineingetrieben. So wird gebaut. Mehr haben wir nicht, mehr brauchen wir nicht“, sagt Floßmeister Michael Angermeier.

Mond ohne Wasserzeichen

18 Meter sind die Fichtenstämme lang, die gerade vom Lastwagen über die Marienbrücke herangekarrt werden. Geschlagen in den bayrischen Alpen, in einem ganz bestimmten Zeitfenster. Das frische Holz für die neue Saison wird Ende September, Anfang Oktober gefällt, bei abgehendem Mond ohne Wasserzeichen. Für das Schlägern bleiben gerade einmal drei bis vier Tage. Und entrindet müssen die Bäume werden, „geschebst“, wie Mattias Mederle, Vorsitzender des Holzhacker- und Flößervereins Lenggries, erklärt: „Sonst kann das Holz nicht austrocknen. Dürr soll es sein, dann verliert es über den Winter ein Drittel des Eigengewichts und schwimmt leichter.“

Was auf der Anhöhe der Uferböschung inzwischen bereitliegt, wird nun in Bewegung gebracht. Über eine Rampe rumpeln die Stämme ins Wasser, um es zu klatschender Gischt zu verdrängen. Im Fluss stehend fangen die Männer die Bäume mit hartem Axtschlag ein, klettern später auf das Rundholz, führen es zueinander in parallele Stellung, verbinden es mit Querstreben, Drahtgeflechten, Riemen und Eisenkellen. Bald ist statt des lieblichen Vogelgezwitschers nur noch das rhythmische Hämmern der Äxte auf Eisen zu hören. Jeder Handgriff sitzt. Die Arbeitsabläufe, seit Jahren eingeübt und seit Generationen von den Alten an die Jungen weitergegeben, sind automatisiert. Geredet wird kaum. Für die nächsten drei Stunden lassen die Flößer ihr Werkzeug sprechen. Knochenarbeit zur Morgenstund' für den Bau dreier 18 Meter langer und sieben Meter breiter 20-Tonner, versehen mit gezimmerten Holzpodesten für Gäste, Musikkapelle und Lebensmitteln. „Bau das Floß immer so zusammen, als ob du selbst mitfährst“, lautet das in die Tat umgesetzte Motto. In Kürze werden die Handwerker ihre Äxte zur Seite legen und die Schwergewichte ohne Antrieb und Bremse allein mit Holzrudern die Isar stromabwärts steuern. An Bord erwartet man je Floß 40 bis 50 Personen. Es ist acht Uhr 30. Der Touristenbus biegt um die Ecke.

Arbeiter beim Verladen und Transportieren von Baumstämmen an der Isar.
Arbeiter beim Verladen und Transportieren von Baumstämmen an der Isar.Imago

Überlebensgaudi

Die Idee, die Floßfahrt mit touristischem Personenverkehr zu reaktivieren, hatten Mitte der 1950er-Jahre ein paar Studenten. Die feuchtfröhlich inszenierte Gaudi sichert seitdem einem Gewerbe das Überleben, das seit rund 800 Jahren existiert und Mitte des 15. Jahrhunderts seine erste Blütezeit erlebte. Mangels Dampfmaschinen für Schifffahrt und Eisenbahn war der Holz- und Gütertransport auf dem Wasserweg per Floß die tauglichste logistische Lösung, um vom bayrischen Oberland in Städte wie München, Freising oder Landshut vorzudringen. „Allein beim Bau der Münchner Frauenkirche in den Jahren 1468 bis 1488 benötigten die Zimmermeister für den gewaltigen Dachstuhl 147 schwer beladene Bauholzflöße mit insgesamt etwa 630 Festmetern Rundholz“, erzählt Josef Seitner, Isar-Floßmeister in vierter Generation. Mitunter ging die Fahrt auch wesentlich weiter. „Teile des Dachstuhls des Wiener Stephansdoms sind aus dem Holz der Isar-Waldhänge“, so Mederle. Später, Ende des 17. Jahrhunderts, als venezianische Kaufleute ihre Märkte in Mittenwald im Landkreis Garmisch-Partenkirchen abhielten, wurden außer Baumaterial ebenfalls teuer gehandelte Marktwaren wie Südfrüchte, Gewürze, Ballen mit Baumwolle, Pfeffersäcke, Samt und Seide auf den Flößen bis Wien oder Budapest transportiert.

Berauschte verboten

Hauptziel blieb jedoch München. Zur Hochzeit der Isarflößerei, von 1860 bis 1876, fuhren jährlich über 8000 Flöße, im Rekordjahr 1864 waren es mehr als 11.000. Schon immer galt dabei die Devise, ausschließlich „Profis“ ans Werk zu lassen. „Nur gezunftete Flößer mit langjähriger Berufserfahrung, ehrbarem Namen, Besitz und Ehestand konnten Floßmeister werden“, erklärt Seitner. Vom Stolz der alten Zunft legen auf den Friedhöfen der Region Grabinschriften wie „Hier ruht die Flößersgattin . . .“ Zeugnis ab. „Jedes Floß musste zudem mit einer des Fahrens ,wohlkundigen Person‘ bemannt sein. Es war bei Strafe verboten, „berauschte Personen, Weiber oder Knaben zu verwenden‘“, so Seitner. Ab Scharnitz in Tirol war die im Karwendelgebirge entspringende Isar bei gutem Wasserstand floßbar, hinunter bis zur niederbayrischen Donaumündung bei Plattling, nahe Deggendorf. Eine 265 Kilometer lange Wasserstrecke mit etlichen gefährlichen Abschnitten.

Von Gefahr ist heute beim Start in Wolfratshausen auf dem Weg ins knapp 25 mäandernde Flusskilometer entfernte München nichts zu spüren. Seinem römisch-keltischen Ursprungsnamen, Isaria (übersetzt: die Reißende), wird der von Mineralien smaragdgrün gefärbte Fluss nur noch bei extremem Hochwasser gerecht. Umfangreiche regulierende Maßnahmen und der Bau von Wasserkraftwerken ab den 1920er-Jahren haben den Gebirgsfluss längst gezähmt. Es bedarf schon „künstlicher“ Hindernisse, um den Adrenalinspiegel der Touristen anschwellen zu lassen. Drei große Schleusen sind es, die passiert werden, jene beim Kraftwerk Mühltal ist die beeindruckendste. Nach einem mittäglichen Besuch des Gasthofs zur Mühle geht es über die längste Floßrutsche Europas. 360 Meter Länge mit 18 Metern Höhenunterschied bringen die ausgelassene Gesellschaft samt Musikanten kurz zum Verstummen.

Wandern im Karwendelgebirge
Wandern im KarwendelgebirgeTourismus Lenggries

Zwei Hände, zwei Damen

Während der Steuermann, der Stürer, die Ruder hochstellt, gibt's seitens des Floßführers, der Förg, ein Angebot: „Wer mog, der ko mit mia an da Hand nach vorn geh.“ Zwei Hände, zwei Damen und eine Schussfahrt mit bis zu 40 Kilometern pro Stunde. Das vom überschwappenden Wasser genässte Gewand sollte bis München trocknen, der Mut der Frontfrauen wird von Zusehern am Ufer jetzt schon mit Applaus und Gejohle quittiert. Es ist ein spektakuläres Zwischenspiel auf einer Fahrt, die davor und danach landschaftlich Beschauliches zu bieten hat. Etwa wenn sich zwei Kilometer nach Wolfratshausen die blaue Loisach und die grüne Isar vermengen oder es entlang der von Wäldern gesäumten Uferlandschaft durch unverbaute Naturschutzgebiete geht. Wer an den Auwäldern, wo sich Fichten, Kiefern, Tannen und Lärchen mit Laubbäumen wie Weißerlen und Weiden mischen, Gefallen findet, kann zu einer Wanderung wiederkommen. Zu entdecken gibt es im Frühling seltene Pflanzen wie Silberwurz, Graslilien, den Gemeinen weißen Schneeball oder Orchideenarten ebenso wie eine artenreiche Tierwelt mit Rehen, Füchsen und raren Vogelarten. Organisierte Touren an Land werden von Rangern geführt. Auch im Spätherbst sind die Wälder ein Ziel.

Georgs Stein

Zu Wasser wartet am Unterlauf der Isar indes der nächste Höhepunkt, der Georgenstein. Die Flöße befinden sich nahe Baierbrunn bereits im Landkreis München, wenn sie den fünf Meter hohen, einst vom Isarhang abgerissenen Felsblock aus dem Fluss ragen sehen. Die Ausmaße beeindrucken. Der Grundrissumfang von 23 Metern und 350 Kubikmeter Volumen ergeben ein Gewicht von mehr als 900 Tonnen. Was heute eine leicht zu umschiffende Attraktion ist, rang früher den Flößern höchsten Respekt ab. Das liegt vor allem an der Abflussgeschwindigkeit der Isar, die vor den Regulierungen sieben Mal schneller durchs Flussbett schoss als heute. Im Jahre 1805 kenterte an dieser für ihre Stromschnellen gefürchteten Stelle der Flößer Georg Müller. Der Legende nach soll er in seiner Not seinen Namenspatron um Hilfe gerufen haben. Nach seiner Rettung ließ er ein Heiligenbild auf dem Felsen anbringen. Der Georgenstein war aus der Taufe gehoben.

Geldkatzen jagende Räuber

Der Bildstock auf dem Stein, eine bemalte Blechfigur des Heiligen Georg, erinnert an Zeiten, in denen die Floßfahrt noch ein halsbrecherisches Gewerbe war. Regelmäßig mussten in den vergangenen Jahrhunderten Tote beklagt werden. „Die Gefahr war omnipräsent, ob beim Holzfällen, beim winterlichen Schlittentransport der Stämme ins Tal, beim Floßbau oder der Floßfahrt auf dem reißenden Gewässer“, erzählt Mederle vom harten Alltag anno dazumal. Selbst nachdem die Waren und Baumaterialien transportiert, die Flöße an den Floßländen entladen und danach auseinandergenommen waren, um als Bauholz Verwendung zu finden, konnten sich die Flößer nicht in Sicherheit wiegen. Mederle: „Wer etwa fünf Tage von Lenggries nach Wien fuhr, musste einen dreiwöchigen Fußmarsch zurück in die Heimat in Kauf nehmen. Das war nicht nur beschwerlich, sondern vor allem riskant.“ Dass die Flößer das verdiente Geld in ihren Gürteltaschen, den Geldkatzen, hatten, war auch den Räuberbanden bekannt.

Gut, aber aus

Die Erlebnistour auf der Isar geht für die fidele Floßgruppe in die Schlussphase. Mehr als sechs Stunden ist man nun unterwegs. Die Leberkässemmeln mit Senf und Gurkerln, auf weiß-blauen Papptellern serviert, sind gut, aber aus. Das Fassbier sickert nur noch anstatt zu strömen. Manche Herren haben sich einen Bierkrug gesichert, lassen ihn trophäenhaft mit einem Seil um den Hals baumeln. Die Musiker spielen unverdrossen auf, während die Endstation, München/Thalkirchner Floßlände, bereits in Sicht ist. Für die Touristen geht ein Sommertag am Fluss zu Ende, für die Flößer beginnt der Abbau des Floßes. Der Langholztransporter steht bereit. Morgen – so wie an jedem Tag in der Floßsaison werden der Lkw und die Handwerker am Ablegeplatz wieder rechtzeitig zur Stelle sein. Morgens gegen fünf Uhr 30.

AN DER ISAAR IN OBABAYAN

Vor Ort: Lenggries ist Bayerns flächenmäßig größte Gemeinde und liegt direkt hinter der österreichischen (Tiroler) Grenze und unweit von Bad Tölz – im Isarwinkel. Der Ort ist überdies für sein Skigebiet am Brauneck bekannt, wo regelmäßig FIS-Rennen stattfinden. Viele Gäste kommen auch zum Wandern ins Karwendelgebirge.

Essen: Eireiner's Restaurant: Regionale Wildspezialitäten, bayrische Schmankerln und Premiumsteakfleisch, zubereitet vom Küchenmeister Hans Georg Eireiner. Wildwochen bis 17. Dezember 2017. www.eireiners.de

Kultur: Heimatmuseum Lenggries: Direkt am Rathausplatz gelegen, zeigt das Museum in sieben Ausstellungsbereichen wertvolle kulturhistorische Stücke aus dem Isarwinkel, unter anderem zum Thema der Flößerei, für den das Internationales Flößerdorf Lenggries bis heute bekannt ist.Seit acht Jahren zählt Lenggries zum erlesenen Kreis von acht deutschen Flößerorten, die diesen Titel führen dürfen.

Hotel: Wirtshaus-Hotel Der Altwirt: Tipp zum Essen und Übernachten. Seit über 500 Jahren bildet dieses Haus den Mittelpunkt des Ortes. Aufwendig restauriert zeigt sich der Altwirt heute wieder im historischen Gewand. www.altwirt-lenggries.de

Tipp: „Laternentour mit dem Flößer“ am Abend durch den idyllischen Wintersportort.  Matthias Mederle vom Holzhacker- und Flößerverein, ausgestattet mit Öllampe und traditionellem Gewand, führt ab 2. Dezember samstags ab 17 Uhr durch den Ort. Stationen des zweistündigen Rundgangs sind der historische Kalkofen, die Pfarrkirche und das Heimatmuseum, in dem das harte Leben der Holzarbeiter anschaulich wird. Anmeldung bei der Tourist Information bis 17 Uhr am Vortag:  T 0049/8042/5008-800. Mindesteilnehmerzahl: vier Personen. Auf Anfrage Sondertermine für Gruppen. Voraussichtlich soll die „Laternentour mit dem Flößer“ im Januar fortgesetzt werden. Erwachsene: vier Euro, Kinder zwei Euro. Mit der Lenggrieser Gästekarte ist die Teilnahme kostenlos.

Infos: www.lenggries.de, www.toelzer-land.de, www.oberbayern.de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2017)

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