Jeju: Erntezeit für Meeresschnecken

Jeju
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Auf der Insel Jeju tauchen Frauen seit Jahrhunderten nach Tang und Meeresfrüchten. Es ist harte Arbeit – und ein Spektakel für Touristen.

Sind das Pinguine, die zum Wasser watscheln, diese Gruppe schwarzer, fröhlich schnatternder Lebewesen? Nonnen? Totengräber? Beim Näherkommen löst sich das Rätsel schnell: Rund 50 Frauen in schwarzen, abgeschabten Neoprenanzügen, mit einer roten Boje und einem grünen Netz auf den Schultern, ziehen gemeinsam hinaus zum Ufer, um ihrer Arbeit nachzugehen. Sie sind Haenyeo, Taucherinnen, Bäuerinnen der Meere. Ihr Feld ist die See. Ihre Früchte sind Seeigel, Meeresschnecken, Abalonen, Seegurken. Und Cheocheo, Seetang – er wird heute Nachmittag gesammelt.

1400 Menschen leben in der Gemeinde Hado an der Nordostküste der südkoreanischen Ferieninsel Jeju. Ein Drittel davon sind Mitglieder der Fischereikooperative, 100 Frauen verdienen ihr Geld als Berufstaucherinnen, die meisten sind über 50 Jahre alt. Etwa 5000 von ihnen gibt es noch auf der Insel. Am Ende des Kais setzen sich alle auf die Betonrampe und streifen ihre Flossen über. Per Megafon verkündet ein Mann, dass die älteren Frauen heute in Ufernähe arbeiten, während die kräftigeren hinaus dürfen bis zur Kanincheninsel in fast einem Kilometer Entfernung. Hado hat das Glück, eine flache Küste zu besitzen. In anderen Dörfern müssen sie erst mit dem Schiff zu ihren Sammelgründen fahren.

Bis zu 20 Meter Tiefe

Nach dem Heulen der Sirene gleiten alle nacheinander ins Wasser und verteilen sich rasch. Bald sieht man nur noch rote Bojen auf dem Wasser schwimmen und ab und zu ein paar schwarze Flossen daneben, wie Froschfüße, die kurz in der Luft strampeln. Ihre Körper, haben Wissenschaftler herausgefunden, sind imstande, mehr Sauerstoff aufzunehmen als die anderer Menschen. Dadurch ertragen sie Kälte besser und können länger tauchen – und bis zu 20 Meter tief. Im leichten Wind hört man gelegentlich verwehte Pfiffe übers Wasser. „Sumbisori“ nennt man die Laute, die die Frauen ausstoßen, wenn sie nach eineinhalb, zwei Minuten wieder an die Oberfläche kommen und die Lunge leerpusten.

Nach Meeresfrüchten und Tang tauchten die Bewohner der Küste von Jeju seit Jahrhunderten, erfährt man im Haenyo-Museum in Gujwa. Ganz wurde diese Arbeit den Frauen aber erst überlassen, als die Regierung Männern für das Tauchen hohe Steuern auferlegte. Von da an trugen sie den Großteil zum Familieneinkommen bei. Manche fuhren sogar nach Japan und Russland, um dort ihrer Arbeit nachzugehen. Männer lernten, damit zu leben, dass keine wichtige Entscheidung, weder im Haushalt noch in der Gemeinde, gegen ihre Frauen getroffen werden konnte. Von 1920 bis 1930 waren es ebenfalls die Haenyeo, die zum Widerstand gegen die japanischen Besatzer aufriefen. Sie organisierten mehrere Demonstrationen, manche von ihnen mussten im Gefängnis dafür büßen. Ein Monument neben dem Museum erinnert an ihren Mut.

Nach eineinhalb Stunden kommen die Ersten zurück zum Ufer gepaddelt und schieben ein volles Netz vor sich her. Vier Männer sind nötig, um den triefenden Ballen mit brauner Pflanzenmasse aus dem Wasser zu zerren und auf einen der kleinen Lkw zu wuchten. Cheoncho, wie dieser Tang heißt, wird in der Medizin- und Kosmetikindustrie verwendet, für einen Ballen zahlen die Einkäufer um die 70 Euro. Die Männer haben bisher zwischen den Lastwagen gewartet, geraucht und schon einmal eine Flasche mit Reisschnaps herumgehen lassen. Einige von ihnen sind Fischer, manche haben einen kleinen Hof, andere kümmern sich um den Haushalt.

Nur mit Leibchen im Winter

Neoprenanzüge nutzen die Haenyo erst seit den 1970er-Jahren. Davor trugen sie weiße Leibchen aus Baumwolle und kurze, schwarze Hosen – auch im Winter. „Ich habe geweint, wenn wir durch Graupel und Schnee zum Meer hinauslaufen mussten“, erzählt Gwanja Jang. Die lebhafte 74-Jährige spielte von klein auf an und in der See. Von Mutter und Großmutter lernte sie alles, was es übers Tauchen zu wissen gab, mit 15 wurde sie professionelle Taucherin. „Es war schrecklich kalt manchmal. Aber das Wasser war klarer, und man fand mehr zum Sammeln.“ Zwischendurch wärmten die Frauen sich am Bulteok auf, einem halbrunden Windschutz aus Steinen, in dem ein Feuer brannte – im Museum ist einer nachgebaut.

Obwohl die Haenyeo das Geld in die Familien brachten, waren sie früher nicht besonders geachtet. Das änderte sich in den 70ern, als der Tourismus aufkam. Heute landen jeden Tag 200 Flugzeuge, zwölf Millionen Besucher überschwemmen die Insel, um zu wandern, zu schwimmen oder die Flitterwochen zu genießen. Und die Haenyeo profitieren davon: Sie führen im flachen Wasser ihr Handwerk vor und verkaufen anschließend den Fang. Manchmal gibt es Konzerte, bei denen sie ihre traurigen Lieder singen: „Schritt für Schritt muss ich ins Meer.“ Und auch die Gemeinderestaurants funktionieren bestens. Eigentlich ähneln sie eher einer Kantine mit hellen Holzmöbeln und offener Küche.

Auf der Tafel stehen Nudelsuppe mit Meeresfrüchten, gegrillter Snapper und ein köstlicher Eintopf mit Taschenkrebs, Seespinne, Oktopus und Abalone. Frischer bekommt man Meeresfrüchte nirgends. Der Tourismus hat den Haenyeo mehr Geld gebracht und ihr Selbstwertgefühl enorm gestärkt. „Deshalb würde ich es heute wieder machen“, lacht Frau Jang, „und wegen der kostenlosen Gesundheitsfürsorge.“ Ihren beiden Söhnen und Töchtern hat sie trotzdem empfohlen, in den Tourismus zu gehen, in dem inzwischen 80 Prozent der 600.000 Inselbewohner tätig sind: Die Arbeit ist leichter, ungefährlicher, und es kommt regelmäßig Geld aufs Konto.

Tipp

Anreise: Jeju ist eine Ferieninsel mit touristischer Infrastruktur. Vom Festland kommt man mit dem Flieger (1 h) oder per Fähre ab Busan (12 h).

Aktivitäten: Mit Bussen kommt man fast überall hin, sonst gibt's Mietautos. Rad- und Wanderwege sind gut ausgeschildert, man kann tauchen, reiten, paragliden. Asiatische Gäste reisen gern zu den zahllosen Filmdrehorten. Schräge Museen.

Haenyeo-Museum: Geschichte der Meerestaucherinnen ansprechend aufbereitet. www.haenyeo.go.kr

Übernachten: Von der einfachen Pension bis zu Fünf-Sterne-Hotels: www.ijto.or.kr

Essen/Trinken: In der Hauptstadt Jeju gibt es ganze Straßenzüge mit Lokalen einer kulinarischen Richtung: Guksu Geori (Nudelstraße). Heukdwaeji Geori (Straße des schwarzen Schweinefleisches).

Info: Jeju-Tourismus: www.ijto.or.kr. Visit Korea, www.german.visitkorea.or.kr, T: 0049/69/233226

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.1.2018)

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