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Bremerhaven: Klimawandel im Klimahaus

Spektakuläre Architektur, brisante Themen: Klimahaus in Bremerhaven
Spektakuläre Architektur, brisante Themen: Klimahaus in BremerhavenKlimahaus (Marcus Meyer)
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Fünf Kontinente, acht Länder, neun Orte: Einmal um die ganze Welt reisen, immer entlang des achten Längengrads! Das Klimahaus Bremerhaven 8° bringt Entdeckern die Erde an einem Tag näher.

Wir sind geschrumpft. Ameisengroß bewegen wir uns zwischen haushohen Grashalmen. Der Hirschkäfer, groß wie ein Löwe, sitzt auf einem Halm wie zum Sprung bereit. Über unseren Köpfen breitet ein Falter meterlange Flügel aus. Da eine Hütte! Sie entpuppt sich als zerbeulte Getränkedose – und ist groß genug, um uns aufzunehmen. In der Mega-Dose steht ein modernes Terminal und darauf ein Rätsel: „Kann der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen?“

Rätsel und Lösungen, Erkenntnis und Erlebnis – darum geht es in dieser Welt, wassernah errichtet. Die Form ähnelt einem gigantischen Luftkissenboot, 125 Meter lang, 30 Meter hoch türmt sich das Gebäude in Bremerhaven, gleich neben dem Zoo am Meer. Betritt man das visionäre Schiff, nimmt dieses Klimahaus Bremerhaven 8° Ost seine Besucher mit auf eine Weltreise entlang des achten östlichen Längengrads und seiner Verlängerung über die Pole. Fünf Kontinente, neun Orte an einem Tag.

Start ist Isenthal im Schweizer Kanton Uri. Der achte östliche Längengrad führt über die Biwaldalp: Es gibt Almwirtschaft mit allen Sinnen zu erleben. Mit dem Geruch von frischem Heu in der Nase geht es über Felsen zum Gipfelkreuz, in eine real vereiste Gletscherhöhle und dann bergab mit dem nächsten Ziel Sardinien. Um die Mittelmeerinsel als eine Art Mikrokosmos zu erkunden, war optische Schrumpfung notwendig. Nun will die Riesenblechdose, dass wir uns in ihrem Inneren mit dem Schmetterlingseffekt beschäftigen: Ähnlich dem Schneeballeffekt, bei dem sich Kleines per Kettenreaktion bis zur Katastrophe verstärkt, ist dieser zusätzlich durch Unvorhersehbarkeit geprägt. So wird den Klimahaus-Besuchern veranschaulicht, dass der Klimawandel nicht nur die Lebensbedingungen für uns Menschen verändert, sondern auch für die kleinsten Lebewesen fatale Folgen haben kann. Die 18.800 Quadratmeter große Wissens- und Erlebniswelt setzt auf ihrer virtuellen Weltreise auch starken Fokus auf das Klima und seinen -wandel.

Dunkelheit, trockene Hitze, warme Erde: Wir sind im Niger bei 35 Grad Hitze angekommen und haben uns auf ein Lager in der Steinwüste gebettet. Über uns weiter Nachthimmel. Eine alte Tuareg-Frau erzählt von Zeiten, als es noch viel Wasser gab im Niger, aus dem die Tiere tranken: „Ich sah Dinge, die ich jetzt nicht mehr sehe. Giraffen, Strauße, Antilopen. Manchmal regnete es eine ganze Woche lang, und dann wuchsen viele Pflanzen und Bäume.“

Kettensäge bis Land unter

Der längste Weg liegt noch vor uns, nächste Station Kamerun, die Reise geht durch den nächtlichen Regenwald. In der Dunkelheit Tiergeräusche. Es tröpfelt von den Bäumen. Der Weg endet am Fluss. Die Mitreisenden verharren, beraten. Wer traut sich über die wacklige Hängebrücke? Einige wagen es. Unter dem sich bewegenden Steg ziehen pfeilschnell Fische – Nachfahren der einst von einem Biologen aus Kamerun hergebrachten Vorgänger. Auf dem Weg ins Dorf Ikenge holen die anderen auf, die einen alternativen Landweg gefunden haben. Bei den Hütten hört man Regen auf die Blechdächer prasseln und sieht Kinder ausgelassen tanzen. Dann ertönt im Wald die Kettensäge. Stämme fallen, der Regenwald wird abgeholzt. Schweigen im Walde.

Noch tiefer in den Süden geht es, bis ins Königin-Maud-Land in der Antarktis. Fröstelnd bei minus sechs Grad stehen wir auf echtem Eis und vor einem Iglu, spärlich erhellt Dämmerung durch ein glimmendes Licht. Legt man die Hand auf die Eiswand, bleibt ein Abdruck. Schnell hinein in die Neumayer-Station, die nachgebaute Forschungsstation des berühmten Alfred-Wegener-Instituts. Aufwärmen! Zig Klimazonen an einem Ort dicht beieinander: Das gibt es sonst nirgendwo auf der Welt.

Vor mehr als zehn Jahren, als die Idee zur Erlebniswelt entstand, war der Klimawandel nur unter Wissenschaftlern ein Thema. Und auch 2009, als das Klimahaus eröffnet wurde, hatte man darüber als Zukunftsszenario diskutiert. Längst hat die Realität Einzug gehalten. Sonderausstellungen zeigen die ganz aktuellen Bedrohungen. Im Bereich „Perspektiven“ wird ein neuer Blick auf die Auswirkungen in der Zukunft geworfen und werden neueste Erkenntnisse präsentiert, die aus der Nordseestadt selbst kommen: Bremerhaven als Standort des renommierten Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung ist federführend in der internationalen Klimaforschung.

Wie bedroht die Ozeane sind, wird in „Samoa“ deutlich: Ein weißer Sandstrand, Palmen, 30 Grad Wärme und Luftfeuchtigkeit mit 80 Prozent vervollständigen das Südseeerlebnis. Dann fällt der Blick auf den Strommast mit den abgerissenen Leitungen, Symbol für die zunehmenden Wirbelstürme. Das Wasser am Fuß der Kirche zeigt die Überflutungsgefahr. Das Saumriff, durch das man schreiten kann, lebt von seinen Bewohnern, Fischen und Korallen des Südpazifiks. Wenn die Riffe durch Erwärmung weiter absterben, geht Artenreichtum verloren.

Über St. Lawrence Island in Alaska führt die Reise wieder nach Europa. Mit einem Zwischenstopp auf der Hallig Langeneß kehren wir nach Bremerhaven zurück, noch immer mit der Frage beschäftigt, wie es ist, mit der Realität „Land unter“ zu leben, wenn die Meere ansteigen. Draußen vorm Klimahaus fällt der Blick gegenüber aufs Deutsche Auswandererhaus, Monument der Erinnerung an sieben Millionen Menschen, die einst in die Neue Welt auswanderten. Das ist wohl keine Option mehr, denn der Klimawandel ist global.

klimahaus.bremerhaven.de
zoo-am-meer-bremerhaven.de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.1.2018)

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