Montenegro: Das steinereiche Land hinter den schwarzen Bergen

Blick von der Insel Gospa od Škrpelja auf die Insel Sveti Ðorđe vor dem Ort Perast.
Blick von der Insel Gospa od Škrpelja auf die Insel Sveti Ðorđe vor dem Ort Perast.Imago
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Berge und Buchten, Küsten und Schluchten. Das kleine Land hat ein großes Angebot für die verschiedensten Gäste.

Es gibt viele Wege nach Montenegro. Der schnellste: mit dem Privatjet direkt zum Airport Tivat. Von diesem ehemaligen Militärflughafen ist man in wenigen Minuten in Porto Montenegro, der Luxuspromenade an der Küste des Landes. An dieser Bucht hat man einen nigelnagelneuen Ort aus dem Boden gestampft, auf dem Reißbrett entworfen mit Strand-, Gastro- und Shoppingmeilen – chic und ges(ch)ichtslos.

Touristisches Kernstück dieses Stadtteils ist das Hotel Regent. Das Hauptgebäude ist im Stil angelehnt an die Luxushotels in den altösterreichischen Seebädern an der Adriaküste wie etwa in Abbazia. Dem hat man eine heutigen Bedürfnissen angepasste Note verliehen: Die Inneneinrichtung besteht zum Teil aus Schiffsinterieur, die Türen sind mit Luken versehen, die Möbel haben abgerundete Ecken, und an den Wänden hängen Schiffsinstrumente. Reist doch ein Teil der Gäste mit der eigenen Jacht an. Die kann man direkt vor dem Hotelgelände mit Bars, Swimmingpools und Liegeplätzen einparken. Wohl die komfortabelste Art anzureisen.

Der Küstenstreifen von Budva

Am anderen Ende der touristischen Skala steht Budva. Dorthin kommt man üblicherweise mit dem Bus oder bestenfalls mit dem Leihwagen vom Flughafen Podgorica. Der lang gezogene Kiesstrand zieht sich von der von den Illyrern im 4. Jahrhundert v. Chr. erstmals besiedelten Altstadt bis zum Ende der vorgelagerten Insel Sveti Nikola, der mit zwei Kilometern längsten des Landes. In den drei Sommermonaten paradieren dort Pauschaltouristen im Pulk zwischen Krimskramsständen und geräumigen Strandtrattorien. Die zuerst von den Venezianern und dann von den Österreichern zur Festung ausgebaute Altstadt selbst wurde 1979 von einem Erdbeben schwer erschüttert. Die beschädigten Gebäude wurden zwar nach historischen Plänen wieder aufgerichtet, doch der Charme blieb am Boden. Heute gibt es in diesem historischen Zentrum so gut wie keine Bewohner mehr, sondern nur noch grell erleuchtete Geschäfte sowie Gastronomiebetriebe, von chinesischen Restaurants bis italienischen Cafés und Bars. Dort kann man sich eine Auszeit vom Partygetriebe außerhalb der Altstadt gönnen.

Dazwischen (touristisch, nicht geografisch) liegt die Bucht von Kotor (Boka Kotorska). Sie bildet den End- und landschaftlichen Höhepunkt des einzigen Fjords südlich von Skandinavien. Durch die an ihrer schmalsten Stelle nur knapp 330 Meter breite Meerenge zwängen sich Kreuzfahrtschiffe in den geschützten Meerbusen von Kotor. Dreiecksförmig zieht sich die Altstadt hinauf auf den Berg – und hält dort eine skurril anmutende Rarität bereit: die circa 4,5 Kilometer lange chinesische Mauer.

U-förmig schlängelt sich dieses teure Bauwerk, an dem 400 Jahre gearbeitet wurde, auf den Berg um die Stadt. Wozu?, fragt sich der Betrachter. Jelena Jabučanin, Tourismusmanagerin in Kotor, schmunzelt und verweist auf die Lage der Stadt. Auf dem ihr gegenüberliegenden Ufer ragt ebenso ein Berg in die Höhe wie hinter ihr und verstellt die Aussicht auf die Einfahrt in den Fjord. Potenzielle Eroberer hätten deshalb unbemerkt bis vor die Stadt schippern und sie im Handstreich einnehmen können. Vom Gipfelpunkt der chinesischen Mauer hingegen konnte man lang vorher erkennen, wer da in die Meerenge eindrang. Den Osmanen gelang es deshalb nie, die Stadt zu erobern.

Inseln in der Bucht von Kotor

Vom Erdbeben blieb auch die Altstadt von Kotor nicht verschont. In deren labyrinthischen Gassen hat man jedoch vorsichtiger restauriert als in Budva und deshalb das Flair der Stadt erhalten. Obwohl sie als Weltkulturerbe auch Hotspot für Besucher ist, findet noch normales städtisches Leben statt. Hierher kommen weniger Badeurlauber als Kreuzfahrtpassagiere.

Deren Besichtigungstour führt dann meist noch ins nahegelegene Städtchen Perast. Dort tummeln sich jede Menge Boote, um Reisende auf die malerisch in die Bucht gestreuten Inseln Sveti Ðorđe (hl. Georg) und Gospa od Škrpelja (Jungfrau Maria vom Felsen) zu bringen. Letztere Insel wurde in Form eines Schiffs künstlich aufgeschüttet – mit Geröll, Erde und gestrandeten Booten. Vom sehenswerten Kirchlein mit seinen auffälligen Votivtafeln und einem angeschlossenen Museum hat man einen wunderbaren Rundblick über die malerische Bucht.

Im seit je begehrten Küstenstreifen spielt sich ein Großteil des montenegrinischen Lebens ab. Landeinwärts wird es rau und unwirtlich. Schon um in die alte Hauptstadt Cetinje zu kommen, muss man sich von Kotor auf unzähligen Kehren mühsam hinauf ins karstige Gebirge schlängeln. Auf fast 700 Metern Seehöhe liegt dann in einem Kessel das schmucke Städtchen mit circa 23.000 Einwohnern. Cetinje ist der kulturelle Höhepunkt des Landes. Dort stehen nicht nur der königliche Palast von Nikola I. (1841–1921) und seiner Frau, Milena, sondern die meisten Museen des Landes. Die Residenz des Langzeitkönigs darf man sich nun nicht wir ein Loire-Schloss vorstellen, eher wie eine Sommervilla Sisis. An der Schlichtheit dieses Repräsentationsbaus lässt sich die Ärmlichkeit des Landes ablesen. Lord Byron nannte das Land einmal „stein(e)reich“.

Erste Feministin des Balkans

Tatsächlich sind die karg bewachsenen Felsen dasjenige, wovon das Land am meisten besitzt. Aus Mangel an Mitteln blieb König Nikola gar nichts anderes übrig, als weniger auf militärische Stärke denn auf Diplomatie, Heiratspolitik und Gastfreundschaft zu setzen. Die Adelsgeschlechter Europas gaben sich in der roten Villa in Cetinje die Klinke in die Hand.

Schwer vermittelbar war allerdings die schöne Prinzessin Xenia (1887–1960). Sie war die erste Frau auf dem Balkan, die ein Auto lenkte, sie fotografierte, schrieb und musizierte; kurzum, sie war die erste Feministin auf dem Balkan. Trotz zahlreicher Verlobungen blieb sie letztlich unverheiratet. Von Cetinje ist es nicht weit zur Lipa-Tropfsteinhöhle. Für hitzegeschädigte Touristen eine Wohltat, hat es im Inneren des Bergs doch das ganze Jahr über zwischen acht und zwölf Grad. Über 400 Meter führt eine Tour in die beeindruckende Fantasiewelt der Stalaktiten und Stalagmiten. Diese Märchenwelt stimmt auf die schwarzen Berge hinter der jungen Hauptstadt mit ihren Klüften und Schlunden ein.

Von Wasser eindrucksvoll geformte Landschaften findet man nördlich von Podgorica zuhauf. Die Sechs-Flüsse-Stadt selbst ist Ausgangspunkt sämtlicher Unternehmungen ins Landesinnere. In ihr muss man nicht länger verweilen als nötig. Sogar Montenegriner empfinden die Mischung aus sozialistischen Beton- und postmodernen Glaspalästen als scheußlich. Besuchenswert ist eigentlich nur die Plantaže. Auf einem ehemaligen Militärgelände gleich hinter dem Flughafen hat man nach dem Zerfall Jugoslawiens Schwerter zu Pflugscharen gemacht und Wein angebaut. Auf einer Ebene von 2300 Hektar wurden über 11,5 Millionen Weinreben gepflanzt. Stollen, in denen früher Kampfflugzeuge versteckt waren, dienen heute als Lager für unzählige Weinfässer. Mit dem Vranač ist man auf den internationalen Weinmessen längst im Spitzenfeld. Weingenießer können auf der Plantaže jedenfalls edle Tropfen schlürfen und sehr günstig erwerben.

Dahinter ragen im Norden die schwarzen Berge auf. Um in das Ski-, Sport- und Wandergebiet von Žabljak zu kommen, muss man allerdings stundenlang durch die Tara-Schlucht kurven. Die ist für Outdoor-Sportler (Stichwort Rafting) ein Paradies, für Handelsreisende eine Mühsal. Denn hier verläuft die Hauptroute von Podgorica nach Belgrad.

Der Grand Canyon Europas

Jugoslawien hat den Montenegrinern auf dieser Strecke eine eindrucksvolle Bahnverbindung hinterlassen, die Chinesen bauen ihnen dort jetzt die erste und einzige Autobahn des Landes, nicht aus Wohltätigkeit, sondern, um später die Maut zu kassieren. Wenn die Autobahn fertig ist, wird man deutlich schneller als heute zum Grand Canyon Europas fahren können. Die längste und tiefste Schlucht Europas wird überspannt von einer imposanten Brücke über die Tara, auf der man 745 Meter tief in den Abgrund blicken kann.

Von dort geht es weiter hinauf auf die Hochebene des Nationalparks Durmitor, des Wintersportzentrums Montenegros, mit seinen in die Landschaft gestreuten dreieckigen Hütten als Touristenunterkünfte. Im hintersten Winkel am Fuß des höchsten Berges (des 2522 Meter hohen Bobotov Kuk) liegt noch ein wildromantisches Juwel: der glasklare, eiskalte Gletschersee Crno Jezero (Schwarzer See). Dann hat man eine Ahnung von der Vielfalt Montenegros.

Tipps

Anreise. Egal, ob per Bahn, Bus, Auto, Jacht, Kreuzfahrtschiff oder mit dem Flugzeug, man erreicht Montenegro zu allen Zeiten mit allen Verkehrsmitteln. Montenegro Airlines fliegt von Wien fünf Mal in der Woche nach Podgorica.

Unterkünfte. Es gibt ca. 400 Hotels mit etwa 40.000 Betten. In den vergangenen Jahren war man bemüht, die Kategorien auf Vier- und Fünfsternehotels zu heben. Eine Übersicht findet man unter: www.montenegro.travel/de/unterkunft/uberblick. Oder die örtlichen Tourismus-Agenturen, etwa www.kotor.travel.

Urlaubsarten. Das größte Reisesegment bilden die Badeurlauber. In letzter Zeit setzte man verstärkt auf die Aktiv- und Kurzurlauber. Das Angebot reicht von Wandern und Skifahren über Klettern, Paragliding, Mountainbiking, Kajakfahren, Canyoning, Rafting bis zu Kitesurving, Tauchen, Hochseeangeln und Vogelbeobachtung.

Nationalparks. Montenegro besitzt insgesamt fünf Nationalparks, 50 Gipfel über 2000 Meter, 2883 Pflanzenarten und eine vielfältige Tierwelt, u. a. mit Bären. Einen Überblick bietet die Website www.nparkovi.me. Sehenswert auch die Lipa-Tropfsteinhöhle nahe der alten Hauptstadt Cetinje: www.lipa-cave.me bzw. das Weingut: www.plantaze.com.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.04.2018)

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