Indien: Yoga und Ayurveda mit den Affen vom Himalaja

Morgendliche Yoga-Einheit.
Morgendliche Yoga-Einheit.(c) Stuhlpfarrer
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Entschleunigung in der Hauptstadt des Yoga, wo man Heidi Klum trifft, Affen füttert und die Beatles Erleuchtung gesucht haben.

Rishikesh teilt ein typisch österreichisches Schicksal, obwohl diese Stadt Tausende Kilometer von Österreich entfernt im Nordwesten von Indien liegt: International ist die 70.000-Einwohner-Stadt bekannt als Hauptstadt des Yoga, der Meditation und Regeneration. Aus allen Teilen der Welt reisen Menschen in dieses Gebiet, um Ayurveda und Yoga in seiner ursprünglichen Form ebenso zu erleben wie Hatha-Yoga. Also jene traditionelle Form der Regeneration und Ruhe, die weit entfernt ist von Modetrends wie Power-Yoga oder Bikram-Yoga in einem auf 40 Grad aufgeheizten Raum, was Trainingseffekte verstärken soll (US-Superstar Madonna liebt das – wir gönnen es ihr!).

Das „österreichische“ an dem Gebiet um Rishikesh: „Die meisten Menschen in Indien kennen Rishikesh nicht einmal“, meint Rushika, die in ihrem weißen Anzug entspannt im Schneidersitz neben mir sitzt. Der Schatten eines Baumes fällt auf ihr dunkles Haar, sie strahlt Ruhe und Ausgeglichenheit aus. „Die meisten Inder kennen nur Goa, Kerala oder Chennai.“ Also die touristischen Zentren (meist) am Meer, die Partymeilen pflegen und von internationalen Reisebüros groß (auch) als Badeurlaub vermarktet werden.

„Wer Geld verdienen will, geht in diese Zentren“, meint die Yogalehrerin, während im Hintergrund ein Affe gemächlich von einem Baum zum nächsten klettert. Warum sie trotzdem hier im Norden geblieben ist? An einem Platz namens Ananda, der eine Stunde vom nächsten Ort, Rishikesh, entfernt ist – auf einem Berg gelegen, der nur über eine mühsame Serpentinenstraße zu erreichen ist? „Diese Zentren sind laut“, meint Rushika. Sie zeigt zuerst auf die Berge hinter uns, dann auf den Fluss im Tal: „Hier ist Ruhe. Es ist ein Ort mit besonderer Energie.“ Und, nach einer Pause: „Das hier ist das ursprüngliche Indien.“

Das klingt für einen Mitteleuropäer sehr esoterisch. Aber es ist unbestreitbar ein eigenes Gefühl: Das mächtige Himalaja-Gebirge im Rücken, den heiligen Fluss Ganges zu Füßen – und dazwischen Ruhe. Ein Tagesablauf jenseits von Handystress, eine Entschleunigung vom Alltag, Ayurvedabehandlungen und Zeit, darüber nachzudenken, ob die Hektik des Alltags der richtige Weg ist – unterstützt von Entspannungsübungen, Massagen und Essen auf hohem Niveau, das in Form einer speziellen Ayurveda-Ernährung auf den jeweiligen Typ abgestimmt ist (Vata, Pita, Kapha). Immerhin bedeutet Ananda vollkommene und höchste Glückseligkeit bzw. dauerhafte Freude. Und es ist auch der Name eines der renommiertesten Luxusrefugien, die Indien zu bieten hat. Das bezeugen nicht nur Auszeichnungen als bestes Destination-Spa weltweit, sondern auch internationale Stars wie US-Talkmasterin Oprah Winfrey oder Supermodel Heidi Klum, die dort ihre Batterien aufladen. Auch Prominente wie Jerry Hall, Bill Gates, Kate Winslet, Nicole Kidman und Ricky Martin sollen dort schon gesichtet worden sein – ebenso wie Charles, Prince of Wales, und Camilla, Duchess of Cornwall. Die beiden Letztgenannten dürfte das Palastnebengebäude sehr erfreut zur Kenntnis genommen haben, ist es doch stilvoll in britischem Kolonialstil eingerichtet.

Prominente sind auch nur Menschen. Sie kommen aus denselben Gründen wie Nichtprominente an den Fuß des Himalaja, um in Ananda und rund um Rishikesh neue Energien zu tanken: Manche wollen mit Yoga und Ayurveda vom Alltag einmal abschalten und wieder zur Ruhe kommen. Manche mit einem Detoxprogramm zur Entgiftung und Regeneration den Körpers wieder in Form bringen. Manche wollen einfach nur in Ruhe einen Wellnessurlaub verbringen. Wobei Divya Babbar, seit Jahren bei Ananda tätig, aufhorchen lässt: „Wellness ist bei uns erst seit relativ kurzer Zeit ein Trend.“ Nachsatz: „Indien kannte das vorher nicht.“

Wunderbarer Blick auf den Ganges.
Wunderbarer Blick auf den Ganges.(c) Stuhlpfarrer

„Don't Touch the Monkeys“

Die Rahmenbedingungen, um neue Energien zu tanken, sind in Rishikesh ideal. Immerhin befinden wir uns im Norden des Ganges, wo es noch keine Industriebetriebe und Fabriken gibt, die dann wenige Kilometer flussabwärts ihre Abwässer direkt und ungefiltert in den heiligen Fluss leiten. Wir sind dort, wo man im Ganges noch baden kann. Zumindest, ohne sich Gedanken zu machen, was in diesem Fluss alles sonst noch herumschwimmt.

Unterbrochen wird die Ruhe nur von . . . Affen! „Don't touch the monkeys“, ist die erste Lektion. Sie wird freundlich-eindringlich mitgeteilt und naturgemäß ignoriert, bis man erkennt: Auch Affen können unter mangelnder Impulskontrolle leiden. Und sind Handgreiflichkeiten nicht abgeneigt, steht man ihnen blöd im Weg herum. Also alles wie zu Hause auf dem Wiener Praterstern. Nur mit dem Unterschied: Die Affen sehen das gesamte Gebiet um Rishikesh als ihr Revier. Der Mensch ist nur Gast, die Affen waren zuerst da.

Apropos: „Die Balkontür immer abschließen!“, ist einer der besten Tipps, die man dort bekommen kann. „Nicht nur die Balkontür zumachen, sondern von innen versperren“, wird immer wieder freundlich-eindringlich gewarnt. Damit kann man vermeiden, dass die Affen die Minibar ausräumen (für sie geht es um Erdnüsse, nicht um Prosecco!) und die Obstschale im Zimmer plündern. Die intelligenten Tiere haben nämlich gelernt, wie die Balkontür von außen zu öffnen ist – falls sie nicht versperrt ist. „Das sind keine schönen Szenen“, erklärt ein Kellner, dem kürzlich ein kleines Missgeschick passiert ist. „Der Schlüssel zum Speisesaal“, meint er zerknirscht, „ist leider stecken geblieben.“ Die Folge: Rund 30 Affen im Inneren, die ein hervorragendes Frühstück genossen und dieses naturgemäß gegen Gäste und Angestellte verteidigt haben. „Die hätten wir fast nicht mehr hinausbekommen“, meint der Kellner. Nachsatz: „Die Affen, natürlich.“

Nach einem solchen Erlebnis empfiehlt sich zum Ausgleich eine Yoga-Nidra-Einheit (Tiefenentspannung) oder ein kurzer Spaziergang zum Palast des dortigen Maharadschas: Ein wunderschönes historisches Gebäude. „Ein bis zweimal pro Monat kommt er noch vorbei“, ist dort zu hören. Historisch ist übrigens auch der dortige Billardtisch: Er gilt als ältester Billardtisch Indiens.

Wobei sich die Zeiten ändern. Maharadscha, die hinduistischen Fürsten, haben heute nur mehr repräsentativen Charakter und keine operative Regierungsfunktion. Trotzdem darf der dortige Maharadscha den historischen Palast, der als Außenstelle des offiziellen Regierungssitzes gilt, weiterhin uneingeschränkt nutzen: Er hat einfach die dortige Regierungschefin geheiratet. Nachdem hier das Thema Frauenrechte und Emanzipation gestreift wird, kommt man nicht an einem ernsten Thema vorbei. Es geht um sexuelle Gewalt und die Sicherheit von Frauen in Indien.

Ein ernstes Thema

Zur Klarstellung: Die Gegend um Rishikesh ist sicher – für Frauen und speziell für Touristinnen. Aber aus einigen Teilen des gigantischen Landes gibt es immer wieder schockierende Meldungen, zuletzt aus den Touristenzentren im Süden. Es sei ein gesellschaftliches Problem, es seien die patriarchalischen Strukturen, gerade in nationalistischen, wenig weltoffenen Teilen des Landes, schreiben dortige Medien. Die Inder selbst reden naturgemäß nicht gern über dieses Thema. Bei einer Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen seien einzelne Menschen, die derartige Verbrechen begehen, leider nicht auszuschließen, ist hier zu hören. Nachsatz: In China sei die Situation nicht besser, aufgrund der dortigen Regierung würden derartige Fälle aber nicht nach außen dringen: „Dass diese Fälle, so grauenhaft sie sind, immer öfter an die Öffentlichkeit kommen, zeigt, dass sich etwas ändert“, meint ein Inder, der seinen Namen nicht nennen möchte, nach einer buddhistischen Zeremonie am Ufer des Ganges.

(c) Stuhlpfarrer

Zurück zu angenehmeren Dingen. Die Gegend um Rishikesh, die (wie erwähnt) als emanzipiert und sicher gilt, erfindet sich gerade neu. Neben dem Ausbau des Wellnessangebots rund um die Yogawelthauptstadt entwickeln sich derzeit immer mehr Angebote für Aktivreisende: Rafting, Paragleiten, Ausflüge und Klettertouren werden am Fuß des Himalaja-Gebirges boomen.

Hier gilt dasselbe wie bei einem Urlaub in Griechenland: Man sollte (wenn möglich) vorab die Qualität des Anbieters checken. Gegenüber der „Presse“ klagte ein Anbieter in Rishikesh über unseriöse Firmen, „die mit Billigstangeboten nur das schnelle Geld machen wollen, aber die Sicherheit vernachlässigen“.

Apropos Ruf. Die Inder sind ein offenes, kommunikatives Volk. So trifft man beim Spaziergang nach der morgendlichen Yogaeinheit einen indischen Geschäftsmann, bis das Gespräch etwas, sagen wir: schwierig wird.

Wie korrupt ist Österreich?

„Woher sind Sie?“ „Aus Österreich“, antwortet man. „Ich kenne Österreich gut, ich war schon ein paar Mal in Wien.“ Das freut einen Österreicher in Indien natürlich. „Auf Urlaub? Beim Riesenrad? Schloss Schönbrunn?“, will man wissen. Die Antwort: „Nein. Wiener Handelsgericht.“

Tja, der stämmige Inder ist Unternehmer, hatte Waren an einen Wiener Geschäftspartner verkauft, der nicht bezahlt hatte. „Drei Mal musste ich nach Wien fliegen“, hält der Inder fest. Nachsatz: „Wie sieht es überhaupt mit Korruption in Österreich aus?“ Man entscheidet sich für peinlich berührtes Schweigen und verweist auf den nächsten Ayurveda-Termin, weshalb man nun leider gehen müsse.

Apropos gehen: Eine Wanderung zum nächsten Tempel ist absolut empfehlenswert. Nach anspruchsvollem Aufstieg spendet man dort Geld für den Tempel und bekommt (nach Momenten des Innehaltens) eine Art Popcorn, das postwendend an die dortigen Affen verfüttert wird. An dieser Stelle überlegt man, ob die Beatles 1968 auch diesen beschwerlichen Weg genommen haben, um Affen zu füttern. Obwohl: Damals waren John Lennon und Co. mehr auf der Suche nach Erleuchtung denn auf der Suche nach Affen.

„Es ist der Beginn eines Wegs“, meint Rushika zum Abschluss: „In einer Woche hier kann man sein Leben nicht ändern. Aber es beginnt ein Weg, den man zu Hause weitergehen kann“, erklärt die Yogalehrerin. Mit einem Lächeln meint sie: „Manche kommen wieder. Und einige bleiben für immer.“

Ayurveda und Indien

Rishikesh im Nordosten des Landes
gilt nicht nur als die Welthauptstadt
des Yoga, sondern auch als Gegend, in der das ursprüngliche Indien erlebt werden kann. Heute ist es ein Zentrum für Ayurvedakuren, Wellness und Aktivurlaube mit Rafting etc. Allerdings
ohne den Lärm und die Partymeilen der südindischen Destinationen wie etwa Kerala
Unterkünfte. Nahe Rishikesh liegt zwischen dem heiligen Fluss Ganges und dem Himalajagebirge das Ayurvedawellnessressort Ananda in the Himalaya (www.anandaspa.com). Es gilt als führendes Luxus-Ayurveda-Spa in Indien: nicht nur wegen zahlreicher Auszeichnungen, sondern auch wegen internationaler Celebritys wie Heidi Klum oder US-Talkmasterin Oprah Winfrey, die hier ihre Batterien wieder aufladen.


Erreichbarkeit. Flug von Wien nach Delhi mit Air India, danach Inlandsflug nach Dehradun und weiter mit dem Pkw/Taxi.

Buchungen. Luxusreiseveranstalter wie das Münchner Unternehmen Design-Reisen, das sich (auch) auf das ursprüngliche Indien spezialisiert hat, bieten entsprechende – auch maßgeschneiderte – Reisepakete samt entsprechender Beratung.
(www.designreisen.de)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2018)

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