Wo die Apfelbutzen, die wir in die Donau werfen, landen

Das Inselstädtchen Vilkovo in der Ukraine.
Das Inselstädtchen Vilkovo in der Ukraine.(c) imago/ZUMA Press (imago stock&people)
  • Drucken

Donaudelta. Bevor die Donau ins Schwarze Meer fließt, teilt sie sich in drei Hauptarme: Das Delta im rumänisch-ukrainischen Raum ist ein Naturparadies und Refugium Hunderter Tier- und Pflanzenarten.

Ein Schnattern, Piepsen, Pfeifen, Krächzen und Gurren ist das in aller Früh. Die Morgensonne dringt immer mehr durch den leichten Nebel. Die Vögel sind kaum auszumachen, aber lautstark zu hören. Einzelne Fischerboote schaukeln in der Nähe des Ufers, das von Sträuchern, Bäumen und Schilf gebildet wird, die Fischer gehen frühzeitig, oft schon nachts, ihrer Arbeit nach. Langsam dringt die MS Nestroy nun vor in die Sphären des Naturreservats Donaudelta.

Das Ziel dieser Reise, das für andere auch den Beginn bedeutet, ist beinahe erreicht. Auf dem Programm der bilder- und erlebnisreichen Kreuzfahrt, die auf der Donau von Wien über Budapest, Belgrad und Bulgarien nach Rumänien und in die Ukraine ans Schwarze Meer führt, steht nun das ukrainische Städtchen Vilkovo (auch Wylkowe) an der rumänischen Grenze – letzter besiedelter Ort vor der Donaumündung mitten im Donaudelta.

Das schöne, weite Delta.
Das schöne, weite Delta. (c) imago/blickwinkel (imago stock&people)

„Wenn wir anlegen, werden wir von Bewohnern der Stadt und einem Kinderchor empfangen. Es kommen nicht allzu oft Schiffe vorbei, die Ukrainer freuen sich wirklich über unseren Besuch, das ist nicht nur Show“, sagt Kreuzfahrtdirektor Niki Nikolaus. Und tatsächlich wartet beim Anlegen bereits eine Abordnung der Stadt auf die Passagiere der Nestroy. Eine Gruppe von Mädchen singt und tanzt, begleitet von Akkordeonklängen, der Dorfälteste reicht, wie hier üblich, Brot und Salz zur Begrüßung.

Stadt auf der Insel

Vilkovo wird auch „Inselstadt“ genannt. Direkt am Chilia-Arm (auch Kilijaarm), einem der drei Donauarme im Delta, gelegen, stehen viele der Wohnhäuser auf kleinen Inseln, verbunden durch ein System von Kanälen, Brücken, Holzpfaden und Stegen. Haupteinkommensquelle der Bewohner ist noch immer der Fischfang inklusive Verarbeitung und Verkauf, wobei die großen Verarbeitungsbetriebe schon vor Jahren dichtgemacht haben. Die Häuser sind von Gärten umgeben, in denen im Frühling ein wahrer Blütenrausch zahlreicher Blumen und Straucharten herrscht. Drei Kirchen, zwei davon dem Schutzheiligen Nikolaus von Myra geweiht, ein Rathaus, ein Kinotheater, ein Naturkundemuseum gibt es sowie einige Geschäfte und Lokale. Jeden Tag außer Montag und an Feiertagen ist Markttag, die Städter bieten ihr selbst gezogenes Gemüse, Obst, Milchprodukte etc. und natürlich Fisch, roh oder geräuchert, zum Verkauf an. Die orthodoxe Sankt-Nikolaus-Kirche ist für die Touristen leider geschlossen – zu oft wurde die Bitte, sich bedeckt zu kleiden, von den Besuchern einfach ignoriert.

Insel der Gärten

Der Nachmittag ist für eine Fahrt mit einem kleineren Ausflugsschiff vorgesehen, das intensivere Einblicke in die Natur dieser märchenhaften Gegend erlaubt. Putzig reihen sich kleine Häuschen mit blühenden Gärten und Obstbäumen aneinander – wer es sich leisten kann, hat neben seinem „Stadthaus“ hier eine Art Schrebergarten. „Vilkovo ist auch die Insel der Gärten“, erzählt Olga, Guide auf dem Schiff. „Mit dem schlammigen Boden ist das eine schwierige Arbeit. Aber es wird viel produziert. Jetzt ist die Zeit der Erdbeeren, dann kommen die Quitten – eine Frucht wird von der anderen abgelöst. Auch Wein wird angebaut.“ Das Problem sei aber, so Olga, dass die Jungen die Stadt für Beruf und Ausbildung verlassen und oft nicht mehr zurückkommen. „Die Eltern bräuchten dringend die Hilfe der Kinder in der Landwirtschaft und der Fischerei“, meint sie besorgt. Jede Familie hat zumindest ein Boot: „Jeder kann fahren, von den Kindern bis zu den Omas.“ Die Boote, Nachbauten von Kosakenbooten, sind aus Fichtenholz gezimmert und können mit ihrem breiten Rumpf bis zu zwei Tonnen Fracht transportieren, was notwendig ist, denn auf den Wasserstraßen sind sie hier die wichtigsten Transportmittel.

Die Donau bringt jedoch nicht nur Nahrung – Donauhering, Hausen, Zander, Karpfen, aber immer weniger Störe –, sondern auch oft Not über die Bewohner: große Überschwemmungen.

Immer weiter geht es Richtung Donaumündung, vorbei an Inseln, auf denen Pferde, Kühe, Schafe, Schweine, zum Teil bis zum Bauch im Sumpf, grasen. „Viele Pferde sind mittlerweile verwildert“, sagt Olga. Die Tour führt vorbei an kleinen und großen glitzernden Wasserflächen, Lagunen, an Wäldern oder vereinzelten Bäumen, die aufgrund des hohen Wasserstands zu ertrinken scheinen, Büschen, Sandbänken, und dann kilometerlang nur mehr an Schilflandschaften.

Fast 6000 Quadratkilometer groß ist das Donaudelta, sieben mal so groß wie Berlin, drei Viertel davon stehen unter Naturschutz. Es ist Heimat von mehr als 5000 Tier- und Pflanzenarten, allein mehr als 100 Fisch- und etwa 300 Vogelarten. Einige davon lassen sich auch hier sofort erblicken, ganz ohne Fernglas: Pelikane, Kormorane, Störche, Reiher, Schwäne, Enten, Gänse, Bussarde, Schnepfen, Möwen, Schwalben und viele mehr. Und dann kommt „Kilometer null“, jener Punkt, an dem sich die über 2850 Kilometer lange Donau auf ukrainischer Seite ins Schwarze Meer ergießt und sich das schlammig grün-braune Wasser mit dem Blau der offenen See vermischt.

Bis zum Punkt null

Noch am Abend verlässt die Nestroy den ukrainischen Teil und tuckert in Richtung Donaudelta-Hauptstadt Tulcea in Rumänien. Üblicherweise peilt der Kapitän den Punkt „Mila 35“ als Anlegestelle an, doch aufgrund des Wasserstands bleibt das Schiff diesmal direkt vor Tulcea. Auf den ersten Blick ist Tulcea keine Schönheit, mit den üblichen Plattenbauten und moderneren Gebäuden im Hafen, ein zweiter bleibt den Passagieren jedoch vorerst verwehrt. Schwerpunktmäßig ist es auch hier das Donaudelta, das die Besucher anzieht.

Mit Ausflugsbooten fahren die Passagiere in die Seitenarme des Donaudeltas, näher an die besondere Flora und Fauna. Gemächlich durchpflügt das Boot zuerst den St.-Georgs-Arm und dann zielgerichtet ein scheinbares Labyrinth. Am Bug des Schiffs ist es windstill, die Sonne lacht und lässt Wasser und Pflanzen am Ufer in den schönsten Grüntönen erstrahlen. Die Äste hängen tief über das Wasser, Bäume, Schilf und Sträucher wechseln einander am Ufer ab. Und endlich sind auch Eisvögel, die blau-grün-braun schimmernd über das Wasser flattern, zu sehen. Ornithologen, Fotografen und Naturliebhaber kommen wieder voll auf ihre Kosten. „Ich war eigentlich nur Begleitperson für meine Mama“, sagt eine Dame aus Wien, „normalerweise reise ich mit meiner Familie individuell mit dem Auto. Aber ich bereue keine Minute. Die Landschaft, die Natur, das Angebot auf dem Schiff – es ist einfach wunderbar.“

Punkt minus acht

Der Nachmittag führt erneut an die Donaumündung, diesmal jedoch über den dritten Arm, den Sulina-Arm, auf die rumänische Seite. Stromkilometer null ist auch hier das Ziel, aber eigentlich führt die Fahrt vorbei an diesem Punkt. Aufgrund jahrhundertelanger Anschwemmungen und der Verlandung wächst das Delta – der einst erbaute Leuchtturm, der Punkt null markieren sollte, befindet sich mittlerweile im Landesinneren, die Mündung selbst auf minus acht Kilometer. Das Schiff gleitet vorbei an Fischerhütten, Bauernhöfen, alten Fabriksgeländen, Schiffswracks und am Wasserturm von Sulina.

Untermalt von dramatischer klassischer Musik – passenderweise auch vom Soundtrack der TV-Serie „Die Onedin-Linie“ über einen englischen Reeder und seiner Familie – und begleitet von pathetischen Worten des Kreuzfahrtdirektors brummt die Nestroy auf das Schwarze Meer zu: „Wollten Sie immer schon wissen, wo Ihr Apfelbutzen landet oder Ihre Flaschenpost? Wo fließt alles hin? Wollten Sie immer schon an diesen Sehnsuchtsort? Jetzt können Sie sagen: Sie waren hier!“

Faszinosum Donau

Obwohl Niki Nikolaus in zehn Jahren bereits Hunderte Male auf dieser Strecke zwischen Wien und Donaudelta und retour unterwegs war, kann er nicht genug davon bekommen, schon gar nicht von diesem speziellen Augenblick. Und tatsächlich ist es ein erhebender Moment, an dem Ort zu sein, wo „unsere Donau“, wie er gern wiederholt, oder noch lieber: „mein Bacherl“, ins Schwarze Meer übergeht.

Seine langjährige, noch immer wachsende Begeisterung für die Donau erklärt sich Nikolaus mit der reichen Geschichte: „Der Fluss ist Heimatkunde für Fortgeschrittene. Der Donauraum hat eine uralte, große Vergangenheit, viele Kulturen haben ihn als Siedlungsraum und den Fluss als Transportweg genutzt“, sagt der Kreuzfahrtdirektor. Viele Menschen hätten eine falsche Vorstellung von den Ländern im südosteuropäischen Raum, eine Schiffsreise auf dem längsten Fluss Europas (die Wolga nicht mitgezählt) sei ein Augenöffner. „Ob Serbien mit seiner römischen Vergangenheit, der plakativen Naturschönheit des Eisernes Tores, Bulgarien mit seiner reichen Geschichte und seinen großartigen Klöstern und Ikonen, seinen Skigebieten und den Magurahöhlen; oder Budapest mit seinen vielen Sehenswürdigkeiten an der Donau und in alten Vierteln: Eine Donaukreuzfahrt ist wie eine Speisekarte – jedes Land hat etwas ganz Typisches und Spezielles“, schwärmt Nikolaus, ohne zu pausieren.

Der Kapitän ließ die Nestroy die letzten Kilometer flussabwärts rückwärts gleiten. Für wenige Minuten befindet sich das für Flüsse konstruierte Schiff auf hoher See, was aber nur bei nicht allzu starker Dünung möglich ist. „Es kommt nicht oft vor, dass der Kapitän ein Flusskreuzfahrtschiff aufs Meers hinausbringen kann. Sie gehören zu den Menschen, die das erlebt haben“, unterstreicht Nikolaus die Bedeutung dieser Situation. Dann treiben die Motoren das Schiff, begleitet von den Klängen des „Donauwalzers“, wieder flussaufwärts, Richtung Tulcea: für die nächsten Passagiere und den Start einer Reise vom Delta bis Wien.

MIT DEM FLUSSKREUZFAHRTSCHIFF INS DONAUDELTA

Die Route: Die neuntägige Kreuzfahrt von GTA Skyways mit der MS Nestroy beginnt in Wien/Nußdorf. Die folgenden Stationen sind Budapest und Belgrad (jeweils mit Stadtrundfahrten) und das Durchbruchstal der Donau in Serbien mit dem Eisernen Tor.

In Bulgarien legt das Schiff in Rousse an mit Ausflugsmöglichkeiten nach Veliko Tarnovo und Arbanassi.

In Rumänien ankert das Schiff in Oltenita, ein Ausflug nach Bukarest ist möglich. Weiterfahrt ab Cernavoda. An Tag sieben ist Ankunft im Donaudelta in Vilkovo, Ukraine. An Tag acht steht das Donaudelta in Tulcea auf dem Programm.

An Tag neun ist Ausschiffung.

Für Reisen 2018 sind nur mehr wenige Plätze frei. Buchungen für Termine von/bis Wien ab April 2019 werden bereits angenommen. Reisen auch ab/bis Linz. Infos: www.gta-sky-ways.at und im Reisebüro

Die MS Nestroy

2007 gebaut und 2017/18 komplett renoviert; unter Schweizer Flagge;

Länge 125 Meter, Breite 11,45 Meter, Tiefgang 1,55 Meter, Höhe (über Wasserspiegel) sechs Meter.

Vier Decks, 113 Kabinen, 37 davon mit französischem Balkon, 35 mit (nicht zu öffnenden) Fenstern, zwei Suiten.

Restaurant, Panorama-Lounge, Bar, Sonnendeck, Fitnesscenter, Aufzug.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.