Das Venedig Schwabens

Das romantische Lechviertel ist von Kanälen und Brücken durchzogen.
Das romantische Lechviertel ist von Kanälen und Brücken durchzogen.(c) imago stock&people (imago stock&people)
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Augsburg ist so reich – an Wasser in jeder Facette: Wassertürme, Wasserwerke, Kraftwerke, Kanäle und Monumentalbrunnen. Das europaweit einzigartige historische Wasserwerksensemble soll jetzt in die Unesco-Welterbeliste aufgenommen werden.

Breit und beständig kommt er daher, der Österreicher. Ein waschechter Vorarlberger, der aus dem Lechquellengebirge stammt und sich zunächst nach Tirol aufmacht, mitten durch die Allgäuer und die Lechtaler Alpen hindurch, um an der Fernpassstraße die Grenze zu überschreiten und sich fortan in Bayern kräftig auszulassen: Der Lech bildet auf seiner langen Reise 24 Stauseen wie den Mandichosee, gesellt sich zu den Königsschlössern Neuschwanstein und Hohenschwangau, mäandert sich durch die Auenlandschaft von Unterbergen, trifft auf das über 2000 Jahre alte Augsburg und wird zu reinstem Trinkwasser für eine ganze Stadt.

Textilien, Papier, Tafelsilber

Wasser: Das ist das Thema dieser Stadt, und das gilt es in allen Facetten und Formen zu entdecken – in den Brunnen und Becken, in Flüssen und Seen, Kanälen und Staugewässern sowie in Türmen und Kraftwerken. Die reiche Kaufmannsstadt Augsburg, die Stadt der Bankiers von Krone und Kirche, der Fugger und Welser, deren Gold Könige und den Papst finanziert haben, ist in Wahrheit durch reines Wasser zu ihrem Gewinn gekommen. Ja, die mit Textilien, Papier und Buchdruck reich gewordene Weltstadt des Handels, deren Silberschmiede das weltberühmte Augsburger Tafelsilber erzeugt haben, von dem an allen europäischen Höfen gegessen wurde, diese Stadt scheint ihren Reichtum vor allem dem Wasser zu ihren Füßen zu verdanken.

Innovation: Getrennte Kanäle

Es waren Lech, Wertach und Singold, die Augsburg zu Glanz und Glorie verhalfen – und ein kaiserliches Geheiß: Gaius Octavius ließ seine Stiefsöhne Drusus und Tiberius im Jahr 15 vor Christus ein Heereslager errichten – auf einer höher gelegenen Ebene zwischen Lech und Wertach, gut geschützt vor Hochwasser und Angriffen aus drei Seiten. Der nach Kaiser Augustus benannten Siedlung Augusta Vindelicorum verlieh Kaiser Hadrian 121 nach Christus dann das Stadtrecht. Bereits ab dem achten Jahrhundert wurde Flusswasser abgeleitet, wurden durch die Stadt führende Kanäle angelegt, Stadtgräben und Wasserkreuzungen wie das Aquädukt am Roten Tor errichtet.

Romantisches Viertel

Damit blühte das Handwerk auf, denn die Gold- und Silberschmiede, die Feilenhauer, Weber und Gerber, Müller und Drucker brauchten dringend Fließwasser. Wasserräder trieben Sägewerke, Papier- und Getreidemühlen an. Abwasserkanäle beförderten den Unrat aus der Stadt in den Lech. Als andere Städte ihr Trinkwasser noch dem einfachen Wassergraben entnahmen, gab es in Augsburg bereits getrennte Kanäle für Treib-, Trink- und Brauchwasser.

Heute sind die Lechkanäle nicht nur Zeitzeugen, sondern führen auch in das romantischste Viertel der Stadt: Zeitvergessen bummelt man im Lechviertel über das historische Kopfsteinpflaster und die blumentopfgefüllten Holzstege, entlang der Kanäle, dem Vorderen, Mittleren und Hinteren Lech oder dem Schwallech, an dem das hölzerne Wasserrad steht. Kanal, Steg, Brücke – immer wieder öffnet sich der Blick neu, betritt man eine der beplankten Brücken. Mit fünfhundert Brücken in der ganzen Stadt übertrumpft Augsburg sogar Venedig – rechnet man die kleinen Stege dazu, die zu den Hauseingängen führen.

Zahlreiche Wasserdenkmäler

Nun geht es um noch höhere Weihen: Mit „Wasserbau und Wasserkraft, Trinkwasser und Brunnenkunst in Augsburg“ bewirbt sich die Stadt um die Aufnahme ins Unesco-Welterbe, mit den wichtigsten architektonischen, kulturellen und technischen Wasserdenkmälern aus der Zeit vom 15. bis ins frühe 20. Jahrhundert. In 500 Jahren brachten technische Meisterleistungen und Innovationsgeist eine einzigartige Wasserwirtschaft hervor. Neben den Kanälen belegen auch die frühen Wasserwerke, dass Entwicklung und Wohlstand Augsburgs vom Wasser abhängig waren.

Frischwasser heraufgepumpt

Das wohl wichtigste Monument ist für Führungen geöffnet: Der Große und der Kleine Wasserturm am Roten Tor – sie sind quasi Nachbarn der Augsburger Puppenkiste – haben große Geschichte geschrieben. Die beiden Wassertürme haben die Häuser der reichen Bürger auf der Hochterrasse – der heutigen oberen Stadt – von 1416 bis 1879 mit reinem Trinkwasser versorgt. Über einen Steg betritt man das Brunnenmeisterhaus. Bronzene Delfine zu beiden Seiten lassen Wasser in fröhlichen Fontänen aus ihren Nasenlöchern sprudeln.

Innen ziehen sich hölzerne Wendeltreppen bis hinauf zur Turmspitze. Oben angekommen, erklärt Turmführerin Elisabeth Retsch die Funktion des jahrhundertealten Pumpwerks: „Die Bürgerhäuser standen ja auf einer Schotterterrasse 16Meter über dem Flussspiegel. Um das Wasser dort hinaufzubringen, hatten die Brunnenmeister die Idee, es mit wasserradgetriebenen Kolbenpumpen und Archimedischen Schrauben in die Wassertürme nach oben zu heben. Das Gefälle genügte, um es durch hölzerne Rohrleitungen in die Brunnen der Hochterrasse zu leiten.“

Die Techniken wie das Prinzip der kommunizierenden Röhren waren seit der Antike bekannt, doch das Wissen lag tief vergraben in den Klosterbibliotheken. In Deutschland waren die Augsburger die Ersten, die so Trinkwasser hoben und verteilten.

Augustus und die Flussgötter

1879 übernahm ein Stauwehr die gesamte Wasserversorgung der Stadt: der Hochablass, dessen Geschichte bis ins Jahr 1000 zurückreicht und der heute auch besichtigt werden kann.

Und dann gibt es noch die Trilogie der Augsburger Prachtbrunnen, die im Weltwassererbe mitnominiert sind und auf die man bei jedem Stadtspaziergang trifft: den imposanten Herkulesbrunnen als kraftstrotzendes Denkmal mittig auf die Maximilianstraße gesetzt, den zwischen Cafés und Gastgärten heiter wirkenden Merkurbrunnen und den herrschaftlichen Augustusbrunnen mit dem Namensgeber der Stadt. Der Herrscher ist nicht allein auf dem Rathausplatz – vier Flussgötter, fast menschengroß, umgeben Kaiser Augustus: Das sind der Lech, die Wertach, Singold und Brunnenbach – der seit Jahrhunderten fließende Reichtum Augsburgs.

Augsburg, dem Wasser entlang

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256 Kilometer misst der Lech, der bedeutendste Fluss Augsburgs. Von der Herkunft ein Österreicher entspringt der Lech in Vorarlberg, durchfließt Tirol, überquert die deutsche Grenze, füllt den Forggensee, dient als Freizeitsee (Mandichosee), wässert das Naturschutzgebiet Lechauwald im Süden Augsburgs und liefert das Trinkwasser, bevor er nördlich der Stadt in die Donau mündet.

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Fünf Millionen Kubikmeter Wasser kann der Mandichosee im Süden Augsburgs speichern. Das mit 160 Hektar größte Gewässer im Landkreis, bekannt als Lechstaustufe23, trägt den Namen des Bajuwarenführers Mandicho, der im sechsten Jahrhundert den Ort Merching besiedelt hat. Der See dient der Wasserkraftgewinnung und den Augsburgern als großes Naherholungsgebiet zum Baden, für Wassersport und Radfahren. Kiosk, Wassersportcenter und großer Parkplatz am Ostufer.

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Fünfzehn Radminuten von der Lech-Staustufe entfernt liegt der Landgasthof Aumiller in der Nähe des Freizeitparadieses Mandichosee. Der Gasthof in Merching mit anheimelnd eingerichteten Zimmern im Landhausstil empfiehlt sich für einen Aufenthalt in wirklich ruhiger Umgebung. Auch das Naturschutzgebiet des Lechauwaldes bei Unterbergen liegt quasi vor der Haustür der Familie Aumiller und kann mit dem Fahrrad und wandernd gut erreicht werden. Die Gastgeber, Angelika Aumiller und Barbara Hogrefe, sind für ihre Küche weithin bekannt: gut, regional, bayrisch-schwäbisch mit Spezialitäten, serviert in Gaststube und Kellerstübl. Das Restaurant verfügt zudem über einen großen Biergarten: Unter Kastanien werden süffiges Bier von Hacker-Pschorr und dazu hausgemachte Brotzeiten aufgetischt. 30 Komfortzimmer mit Frühstück, WLAN und Parken ab 55 Euro. www.landgasthof-aumiller.de

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154 Kubikmeter Wasser pro Sekunde fließen den „Bach“ hinunter, wird der Grundablass geöffnet. Das Stahlbetonkonstrukt, das sich auf 145Metern dreimal geknickt durch den Lech spannt, ist als Hochablass der wichtigste Part der Augsburger Wasserversorgung. Über den Hauptstadtbach wird Lechwasser durch die Augsburger Altstadt geleitet.

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24.000 Zuschauer finden entlang der olympischen Strecke des Eiskanals Platz. Auf der Wildwasserstrecke mit Stufen, Walzen und Kehrwassern werden Welt- und Europameisterschaften ausgetragen. Der 660 Meter lange Kanal wurde für die Olympischen Sommerspiele 1972 errichtet; sein Wasser kommt vom Lech. www.eiskanal-augsburg.de

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200 Gulden kostete der private Wasseranschluss in Augsburg im 16. Jahrhundert. Das Wasser wurde im Großen und Kleinen Turm am Roten Tor hochgepumpt und durch hölzerne Rohre in die Oberstadt geleitet. Der Große Turm, 1416 erbaut und vermutlich der älteste Wasserturm Mitteleuropas, kann in der Sommersaison besichtigt werden: Führungen jeden ersten Sonntag im Monat, von zehn bis 16 Uhr, von Mai bis Oktober.

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500 Brücken überspannen Augsburgs Fließgewässer, viele davon im Lechviertel. Vier Ableger, abgezweigt beim Hochablass, durchfließen die Innenstadt: der Vordere, Mittlere und Hintere Lech sowie der Schwallech, an dem das gleichnamige Schaufelrad steht. Beim Bummeln entlang der Kanäle über historisches Kopfsteinpflaster, vorbei an mittelalterlichen Handwerkshäuschen und kleinen Cafés wird Augsburg höchst romantisch.

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2,20 Meter groß ist das bronzene Kammerfräulein, die junge Badende des italienischen Bildhauers Giacomo Manzù. Der 1985 eröffnete Manzùbrunnen auf dem Königsplatz ist besonders bei Kindern beliebt, die auf der ins Pflaster integrierten Wasserfläche plantschen.

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27 Zentner wiegt der Kaiser! Über den Augustusbrunnen auf dem Rathausplatz herrscht Stadtgründer Kaiser Augustus – und macht dies deutlich: Die 2,50 Meter hohe Figur erhebt die Rechte für die Ansprache ans Heer. Ihn begleiten Löwen, Delfine und Tritonen, Mensch-Fisch-Wesen, sowie vier Wassergötter für die Flüsse Lech, Wertach, Brunnenbach und Singold.

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Sieben Köpfe hat die Hydra, das geschuppte Ungeheuer, das Held Herkules mit seiner Flammenkeule erschlägt, womit er den Sieg des Menschen über die wilde Kraft des Wassers darstellt. Der im Jahr 1600 von Adriaen de Vries entworfene Herkulesbrunnen steht vor dem Schaezlerpalais auf der Maximilianstraße.

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Vier Seiten im Zehneck ist das Brunnenmaß für den dritten der drei Augsburger Monumentalbrunnen: Der Merkurbrunnen, auch ein Werk von de Vries, steht gegenüber der Moritzkirche, der weißen Kirche. Mercurius mit Flügelhelm symbolisiert die Bedeutung der Handelsmetropole.

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Drei mal acht Meter misst das Floß, das das Lechmuseum in Langweid als historischen Nachbau zeigt. Solche Flöße fuhren zu Spitzenzeiten im 20-Minuten-Takt den Lech hinunter. Im historistischen Bau, in dem seit 1907 Strom aus Wasserkraft gewonnen wird, gibt's eine multimediale Inszenierung des Flusses, der mitgeholfen hat, das südliche Bayern zu elektrifizieren. Highlight ist eine begehbare Turbinenkammer. www.lechmuseum.de


Infos: bei Augsburg Tourismus, www.augsburg-tourismus.de

Lesetipps: „Wasser Kunst Augsburg“, Verlag Schnell & Steiner, www.schnell-und-steiner.de

Broschüre „23Denkmäler der Wasserwirtschaft“ gratis bei Touristeninfo, Rathausplatz 1

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2018)

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