Der kleine Slowake mit den blauen Augen

Mutig, intelligent und brillant war General Milan Rastislav Stefanik, einer der Gründer der Tschechoslowakei. Sein Monument aus Travertin steht auf dem Berg Bradlo.
Mutig, intelligent und brillant war General Milan Rastislav Stefanik, einer der Gründer der Tschechoslowakei. Sein Monument aus Travertin steht auf dem Berg Bradlo.Getty Images/iStockphoto
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Auf dem Berg Bradlo erinnert ein weißes Monument an einen der Gründer der Tschechoslowakei, General Štefánik. Das fruchtbare Land zwischen Hodonín und den Weißen Karpaten war eine Keimzelle des neuen Staates.

Das Dörfchen Košariská, in dem Milan Štefánik 1880 zur Welt kam, liegt zwischen goldgelben Haferäckern, Walnussbäumen und Hecken, in denen rosa Mirabellen von den Sträuchern purzeln. Für seine Landsleute ist der „kleine Slowake mit den blauen Augen“ der Größte überhaupt. Denn der gerade einmal 1,55 Meter große Mitbegründer der Republik führte ein Leben, das geradezu danach schrie, ein nationaler Mythos zu werden.

Vom Pfarrhaus, in dessen Räumen ein Museum sein Leben dokumentiert, zog er nach Prag und studierte Astronomie. Den Sternen nah wollte er sein, und das in aller Welt. Er reiste nach Turkestan, Ecuador und Tahiti und brachte das Fell eines selbst geschossenen Schneeleoparden mit, ausgestopfte Kolibris und geschnitzte Keulen. Auch sein weißer Safari-Anzug ist im Museum ausgestellt, und neobarocke Stühle aus seiner Wohnung in Paris. Dort traf er seinen Landsmann Tomáš Masaryk, der für den Aufbau eines eigenen tschechoslowakischen Staates warb. Mit ihm und Edvard Beneš gründete er den Tschechischen Nationalrat, eine Art Exilregierung. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, kümmerte er sich um den Aufbau tschechischer und slowakischer Legionen, die gegen Österreich-Ungarn kämpften.

„Mutig, intelligent, brillant – so war Milan“, seufzt der junge Museumsdirektor Marián Imriška hingebungsvoll. Und dann das Ende erst! Als 1918 in Prag die Republik ausgerufen wurde, wollte Štefánik von Italien aus im Triumphflug nach Bratislava zurückkehren. Kurz vor der Landung stürzte sein Flugzeug ab – und ab sofort war er die Lichtgestalt der jungen Nation. Im Museum sind Teile des Flugzeugwracks ausgestellt sowie die Uniform, in der er starb. „Er ist mein Held“, sagt Marián Imriška, Anfang dreißig. „Er ist unser Held“, bestätigt Reiseführer Juraj Žáry, Mitte sechzig, nachdrücklich.

Travertin-Sarkophag

Natürlich braucht ein nationaler Held ein entsprechendes Grabmal. Ein Fußweg über Bergwiesen führt hinauf auf den 543 Meter hohen Bradlo. Fast zehn Jahre dauerte es, bis der Architekt Dušan Jurkovič den wuchtigen Bau für seinen toten Freund errichten konnte. Auf einer dreistufigen Pyramide aus weißem Travertin thront ein steinerner Sarkophag, flankiert von vier Obelisken. Besucher schießen Selfies vor den strahlend weißen Reliefs der Lorbeerkränze. Das Land beiderseits der Grenze zwischen der Slowakei und Tschechien schwelgt in Ocker, Gelb und Grün, die fruchtbaren Auen an der March protzen mit Sonnenblumen, Mais und Buchweizen. Die Gegend zwischen Hodonín und den Weißen Karpaten gilt als eine Art Keimzelle der Ersten Republik. Denn auch Tomáš Masaryk, der erste Präsident des Staates, kam hier, im mährischen Hodonín, 1850 zur Welt. Das Schloss zeigt eine Ausstellung über sein Leben, die mit ihren vielen Fotos und Papieren aus den 1960er-Jahren stammen könnte.

Das historische Vorbild der Patrioten war das Großmährische Reich des neunten Jahrhunderts. Es umfasste neben der Slowakei und Tschechien Teile von Serbien, Polen, Ungarn und der Lausitz. Im archäologischen Park Mikulčice wurde eine der damaligen Siedlungen ausgegraben. Auf einer Sanddüne an der March fand man Grundmauern von Häusern und Gehöften, die sich um einen Fürstenpalast und mehrere Kirchen gruppierten. Als rund 1000 Jahre später, am 28.10.1918, der Nationalrat in Prag den selbstständigen Staat ausrief, zogen Optimismus und Gestaltungswille wie ein frischer Wind durch das erstarrte Land. Mit aller Macht wollte man nun nicht nur einen eigenen Staat, sondern auch eine eigene Kultur entwickeln. Zum Vorreiter in der Architektur wurde Dušan Jurkovič, der „Holzdichter“. Man beauftragte ihn, den Kurort Luhačovice in eine slawische Vorzeigestadt zu verwandeln.

Sieben seiner Bauten sind immer noch erhalten. Da ist das Hotel, in dem ein anderer Jungstar der Ersten Republik, der Komponist Leoš Janáček, regelmäßig nächtigte. Da ist das Sonnenbad mit seinen offenen Umkleidekabinen und einer strahlenden, hölzernen Sonne. Und da erhebt sich schließlich das Jurkovič-Haus selbst: Auf den Dächern sitzen Erker, auf den Erkern weiße Spitzen, die Fenster tragen Muschelbögen und geschnitztes Schwanengefieder. Das Haus ist ein Gesamtkunstwerk in Braun und Beige, Rosa und Rot. Von „Wohlfühlarchitektur“ spricht Reiseführer Juraj. Dass andere Landsleute Jurkovičs Werk als „Lebkuchenhäuschenstil“ schmähten, tat der allgemeinen Begeisterung damals aber keinen Abbruch.

Tipps

Anreise: Mit dem Auto von Wien über Reintal in zweieinhalb Stunden nach Luhačovice.

Einreise: Personalausweis genügt. Geld: 1 CZK (Tschechische Krone) = ca. 4 Cent, 1 Euro = ca. 27 CZK

Übernachten: Hotel Kopanice: Das ehemalige Internat ist ein großes, gut erneuertes Haus. Es hat respektable Zimmer und serviert ordentliche Hausmannskost. 68774 Zitková 160, +420/724 942 130, www.hotelkopanice.cz (DZ+F ab 78 Euro). Hotel Tatran: Zentraler kann man gar nicht wohnen. Der realsozialistische Chic ist noch nicht ganz aus dem Speisesaal und den Zimmern verschwunden. Aber das Personal verwöhnt mit Herzlichkeit, und die Inhaberin steht immer noch persönlich am Herd und kümmert sich um Knödel und Entenbraten. Nam. Slobody 7/98, 90901 Skaliza, Tel.: +421/346 64 44 91, www.hoteltatran.sk (DZ+F ab 37 Euro).

Essen und Trinken: Südmähren bringt ganz hervorragende Weine hervor. Eine Weinprobe empfiehlt sich also auf jeden Fall. Etwa im kleinen Petrov bei Straznice, wo die geweißten Weinkeller mit dem blauen Sockel in einer Reihe stehen und zum Wein Käse und Speck gereicht werden. Eine Übersicht über Verkostungsmöglichkeiten findet sich auf dem Veranstaltungskalender auf www.jizni-morava.cz. Infos: www.czechtourism.com, + 01/892 02 99, Penzingerstr. 11–13.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2018)

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