Irland: Tendenz zu Tang und Trüffel

Wie fein: Brot aus der Bakery von Joe und Esther Barron in Cappoquin.
Wie fein: Brot aus der Bakery von Joe und Esther Barron in Cappoquin.Franz Lerchenmüller
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Nach der Krise erlebt die Insel einen kulinarischen Aufbruch, auch befeuert von jenen, denen die wirtschaftliche Flaute arg zugesetzt hat. Mittlerweile bestimmen regionale Zutaten eine ambitionierte Küche.

Die Iren an sich ernähren sich vorwiegend von Erd äpfeln, trinken gern große Mengen braunes, schaumloses Bier und singen dazu schicksalsschwere Balladen, oder? Da muss Ciaran Sweeney herzlich lachen. Das mag so gewesen sein, im vergangenen Jahrhundert, als in verrauchten Pubs ein fetttriefender Eintopf namens Irish Stew auf den Teller geklatscht wurde und zahnlose Fiedler dazu ein inbrünstiges "Oh Danny Boy" intonierten.

Doch das ist vorbei. Und zum Beweis zeigt der junge Küchenchef des Dubliner Restaurants Forest & Marcy seine Karte: Knäckebrot aus Quinoasamen mit Trüffelscheiben und Ziegenkäsecreme. Karotten im Salzmantel gebacken. Erdäpfelbrot mit Weißkohlrelish und rauchiger Specksauce.

In Irlands Krise von 2007 bis 2013 sahen sich wagemutige Naturen nach neuen Verdienstmöglichkeiten um. Viele versuchten sich als Kleinproduzenten und Neogastronomen. Als der Aufschwung 2014 einsetzte und der Tourismus wuchs, blühte eine bunte kulinarische Szene auf. Cafés öffneten, Kochkurse entstanden, im TV wurde Essen zum Thema. Und die ersten Michelin-Sterne funkelten über dem Land. Heute geben die Iren einiges für Essen aus und stellen Ansprüche. Das begünstigt das Aufkommen jener Kleinunternehmer, die sich der hohen Qualität regionaler Produkte besinnen und damit Nischen besetzen.

Tang mit vielen Optionen

Es gibt sie in ganz Irland. Aber im Ancient East, im Südosten des Landes, sind besonders viele zu Hause. In einer Gegend, in der sich alles findet, was die Insel so anziehend macht: Schwarz-weiße Kühe stehen wie Sujets für irische Butter auf satten Wiesen, Schafe sprenkeln die Hänge. Herrenhäuser, an deren Granitfassaden sich das Wetter seit Jahrhunderten abarbeitet, thronen zwischen uralten Eichen, und an den felsigen Küsten riecht es nach Gischt und Tang. Mittendrin, in Thomastown, rührt Mary Teehan, die "Trüffelfee", feinste Schokolade aus Belgien, Unmengen irischen Rahm und eine Kollektion ungewöhnlicher Gewürze zusammen. Seit einigen Jahren führt die gelernte Köchin ihren kleinen Laden, Truffle Fairy, in der kleinen Stadt. Tequila mit Salz und Limone, Chili, Orange, Ingwer, Meersalz und Milch, immer versucht sie Neues: Auch Seetang würde sie gern in irgendeiner Form für Trüffeln verwenden.

Seetang wurde an der Küste immer schon gegessen. Marie Power in Helvick Head erinnert sich, dass zu Hause oft größere Mengen Dilisk aufgetischt wurden: Lappentang, der mit seinen Spurenelementen und dem hohen Vitamin-B-Gehalt als besonders gesund galt. "Dabei schmeckte er leider wie zwei Tage lang gekochter Kohl." Früher Managerin in der Lebensmittelindustrie, fing sie vor elf Jahren an, sich mit dem Meeresgemüse zu beschäftigen. 15 essbare Arten wachsen an Irlands Küsten. Am felsigen Ufer findet sie purpurnen Knorpeltang, den sie zum Andicken von Desserts benutzt. Sie entdeckt Flügeltang, den die Japaner in Misosuppen geben, und lässt leicht salzigen, blassgrünen Meersalat verkosten. Sie selbst hat einen Riegel mit Seetang entwickelt und berät Unternehmen in der Verwendung der Pflanzen.

Auch Cormac O'Dwyer hat mit Seetang experimentiert und ein Seaweed-Bier kreiert, das mit Lappentang angesetzt wurde und eine leicht salzige Anmutung auf den Lippen zurücklässt. Die Geschichte der Dungarvan Brewing Company ist ebenfalls eine Krisen-/Erfolgsstory. Cormac braute Bier seit vielen Jahren, als Hobby im eigenen Keller. Als er 2010, um die 30 Jahre alt, keinen Job mehr als Lehrer fand, nahm er Mut und sein Geld zusammen und gründete eine Brauerei. Heute stehen das Copper Coast Irish Red und das Black Rock Irish Stout exemplarisch für den Erfindungsreichtum der Craft-Beer-Szene.

Edles Brot, feiner Fisch

Die Konkurrenz im kulinarischen Lager bringt manch alteingesessenen Bauern und Züchter dazu, neue Produkte zu entwickeln und sich zu professionalisieren. So presst Rod Calder in seiner High-bank-Apfelfarm in Cuffesgrange nicht mehr nur Saft und Cider, sondern brennt auch Apfelgin und -wodka. Die Forellenzüchter Ger und Meg Kirwan verkaufen nun Forellenkaviar, -pâté und Räucherforelle in Öl. Und die Betreiber von Barrons Bakery in Cappoquin, Esther und Joe Barron, werben mit ihrem schottischen Ziegelofen aus den Dreißigern und weisen darauf hin, dass die Bäcker sich vier Stunden Zeit für die Plain Loaves mit der krachenden Kruste und dem flaumigen Inneren nehmen, während Großbäckereien ihr Industriebrot in 17 Minuten durchjagen.

Auch bei Ciaran Sweeney, dem Dubliner Küchenchef, kommen die Klassiker nicht zu kurz. Beef & Oyster, ein traditionelles irisches Gericht, ist meist ein aus Rindfleisch, Austern und Bier zusammengekochter Eintopf. Er serviert es roh: kleine Zylinder aus Rindertatar, die mit Austernemulsion durchfeuchtet sind, dazu Selleriechips und einen Tupfer Estragonmayonnaise. Und die Gäste rennen ihm die Tür ein, die Iren an sich.

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